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Ausgabe:

1884 Nr. 10

Spalte:

242-245

Autor/Hrsg.:

Wiclif‘s, Joh.

Titel/Untertitel:

Lateinische Streitschriften 1884

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 10.

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wie ^ 7 auch im Jahre 962 genau copirt und fo von
neuem fanctionirt worden' heifst es S. 153. Und doch
fährt Sickel unmittelbar darauf fort: ,diefe ganz mecha-
nifche Behandlung tritt um fo greller hervor, als das

auf eine einzige Copie des II, Jahrh. zurückgehen, auf
eine Privilegienfammlung, welche in den letzten Jahren
Gregor VII angefertigt fein mufs, ferner dafs das Original
1245 bereits verfchollen war. Um zu diefem Ergebnifs

Ottonianum auf der anderen Seite ebenfo deutliche Spuren ' zu gelangen, werden höchft werthvolle Unterfuchungen
reiflicher Ueberlegung und gefchickter Conception in all ' mitgetheilt über die Handfchriften der verfchiedenen
den Theilen an fich trägt, in welchen die Gegenwart zu ' canoniftifchen Sammlungen, welche die Urkunde ent-
ihrem Rechte kommen foll'. Dementfprechend betont , halten (Bonizo, Anfelm von Lucca, Deusdedit), über Beer
wiederholt, dafs dem Pactum längere Verhandlungen fchaffenheit der Chartulare, Bedeutung des Wortes Pactum,
und vorläufige Aufzeichnungen voraufgegangen feien, j Einflufs der neurömifchen Urkunde auf Geftaltung der
dafs die Staatsmänner Otto's die einfehlägigen Acten- | Privilegien u. f. w. Das Ludovicianum felbft prüft Sickel
ftücke der Vorzeit recht gut gekannt und fpecicll die | nur auf feine formelle Befchaffenheit und weift nach,
Acten von 824 ftudirt haben müffen (S. 159 fr.), dafs die j dafs diefe keine gewichtigen Mängel darbiete; den mate-
Annahme nahe liege, ,dafs Otto's Pläne betreffs der Be- j Hellen Inhalt der Urkunde gleich erfchöpfend zu Überziehungen
zu den Päpften und zu der römifchen Kirche fuchen, hat er nicht unternommen. Er bemerkt nur,

lanafam herangereift find, dafs feine beften Staatsmänner 1 dafs er in Beurtheilung der dem Ludovicianum eigen
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an den Berathungen theilgenommen, zu diefem Behufe
auch die Quellen der Vergangenheit durchforfcht haben
— kurz dafs das Pactum in der Hauptfache fchon vor
dem Aufbruche nach Italien entworfen und aufgefetzt
worden ift' (S. 167)! .Mufste' da wirklich .bezüglich der
Befitzanfprüche der Status quo ante der Privilegien unge-

thümlichen Stellen über Eicker's Refultate nicht hinausgekommen
fei, und glaubt, ,dafs wir in Anbetracht der
Ueberlieferung darauf verzichten müffen, in der Frage,
wie weit in territorialer Beziehung die Schenkung oder
Beffätigung Ludwig's gegangen ift, je vollftändig klar zu
fehen. In höherem Grade unlösbar erfcheinen dann die

prüft und unbefehen angenommen werden'? So lange ; Räthfel der Vorgänge in den Zeiten Pippin's und Karl's
nicht ein zwingender Beweis für die Exifcenz diefes 1 (S. IOO).

Muffen erbracht worden ift, und er wird kaum jemals j Als Beilagen hat Sickel fchlicfslich die beiden Pacta
erbracht werden können, fo lange wird auch der Zweifel j Ludwig's und Otto's in forgfältigfter Weife herausgegeben

berechtigt fein, ob zwei faft untrennbare Beftandtheile
eines Staatsvertrages in fo eminentem Sinne wie die
eines Pactums zwifchen Kaifer und Papft derart ungleich
behandelt werden konnten.

Dagegen fpricht obendrein, auch abgefehen von der
inneren Unwahrfcheinlichkeit, noch ein weiteres. Die §§ .
7 und 13 des Ottonianum widerfprechen einander. Wie | Wiclif's, Joh., Lateinische Streitschriften. Aus den Hand-
man den $ 7 auch auslegen mag, ganz unzweifelhaft fchriften zum erftenmal hrsg., kritifch bearb. und

und ein auf Grund der photographifchen Aufnahme angefertigtes
Facfimile des unteren Stückes des Ottonianum
beigefügt.

Giefsen. von der Ropp.

überweift er der römifchen Kirche cunetum ducatum Spoli-
tanum, während der aus dem Ludovicianum herftam
mende § 13 dem Kaifer die dominatio über diefes Herzogthum
vorbehält und fich dabei auf den Verzicht

fachlich erläutert von Rud. Buddenfieg. Mit 1
Schriftentaf. Leipzig, Barth, 1883. (XV, C, 840 S.
gr. 8.) M. 24. —

bezieht, den einfe Hadrian zu Gunften von Karl gcleiftet. Es ift ein fehr werthvolles Gcfchcnk, welches der

Dafs die eine Verfügung die andere ausfchliefst, hat ! für die Erforfchung der Gefchichte des grofsen engli-
Sybel (Hift. Ztfchr. N. F. 8, 79 ff.) erwiefen und Sickel j fchen Reformators fchon mehrfach verdienftvoll thätige
wirft denn auch die Frage auf: .follte die Unverträglich- 1 Herausgeber uns mit der erftmaligen Veröffentlichung

keit beider Verfügungen.....der Aufmerkfamkeit der j diefer Streitfchrifr.cn macht. Nur der Tractat de Christo

Ottonifchen Staatsmänner und Dictatoren entgangen fein ? et adversario suo Anticliristo (p. 633—692) war von B.
Das ift felbft in dem Falle nicht anzunehmen, dafs das j gleichfam als Vorläufer fchon vorausgefchickt (Dresden,

Concept des Vertrages von 962 ftückweife.....zu Programm des Vitzthum'fchen Gymnafiums 1880. 4.)'.

Stande gekommen wäre'. Freilich fährt er gleich fort: Diefe polemifchen Tractate, 26 an der Zahl, welche von

,es fcheint vielmehr auch hier die Auffaffung und die

wefen zu fein, dafs der auf den Befitzftand der Kirche

B. unter die beiden Rubriken: A. Streitfchriften wider

Behandlung der ganzen Angelegenheit mafsgebend ge- die Secten (1—20) und B. Str. wider den Papft (21—26)

gebracht find, vergegenwärtigen uns die aufserordentliche

bezügliche Theil, wie er in den Vorurkunden lautete, literarifche Rührigkeit Wiclif's in feinen letzten Lebens-
ungeprüft wiederholt werden follte' (S. 1534). jähren und die Zähigkeit, Unermüdlichkeit und princi-

Jene Hypothefe von der unbefehenen Beftätigung pielle Gefchloffenheit feiner Oppofition gegen die herr-
der kirchlichen Befitzanfprüche mufs alfo auch hier jeden I fchende Kirche, zu welcher er zuletzt gelangt war.
Einwand befeitigen, und trotzdem mufs Sickel, wie oben Sieht man ab von der wahrfcheinlich, wie B. zeigt, unbemerkt
, eine Ausnahme von feiner Regel gelegentlich
der Weglaffung des einen Paffus aus dem Ludovicianum
conftatiren!

Ich kann dem gegenüber nur geftehen, dafs ich jene
Hypothefe für irrig und das Ottonianum in der auf uns
gekommenen Faffung nach wie vor für eine um den 5 7
nachträglich bereicherte Fälfchung halte.

Auf der anderen Seite erkenne ich um fo bereitwilliger
die Fülle von Belehrung an, die ich dem Sickel'fchen
Buche verdanke. Es bezeugt nicht nur auf das Glän-

echten Nummer 19 [de religionc privata I), und von dem
klei nen Stück de duobus generibus haereticoruvi (Nr. 16),
welches von B. mit überzeugenden Gründen fchon den
70er Jahren zugewiefen wird, fo wie endlich von den
kleinen fragmentartigen Stücken 14. 25. 26, die fich zeitlich
nicht wohl beftimmen laffen, fo ift alles Uebrige
den letzten Lebensjahren W.'s 1381 —1384 zuzuweifen,
ja, wenn ich mich nicht täufche, fogar nur 1382—84.
Denn wenn B. Nr. 3: de rtova praevaricatitia mandatonim
in die erfte Hälfte des Jahres 1381 zu fetzen geneigt ift

zendfte die umfaffende Kcnntnifs des Verfaffers und (p. III sq.), fo ift dies der einzige Fall, wo mir die von
feinen feinen Scharffinn bei Behandlung der verzwick- | ihm verfuchte, übrigens keineswegs apodiktifch hinge-
teften Fragen aus der Palaeographie und Diplomatik, i Hellte, Zeitbcftimmung nicht einleuchtet. Denn der dort

fondern enthält auch in zahlreichen, dem Text einverleibten
kleineren Ausführungen wichtige Beiträge zur
Lehre beider Disciplinen. So vor allem in dem der
Urkunde Ludwig's von 817 gewidmeten Abfchnitt (S

als iste refuga (p. 128, 20) bezeichnete Papft kann meines
Erachtens nicht Clemens VII fein, welcher 1379 vor dem
Gegenpapft nach Frankreich hatte fliehen müffen, fondern
nur diefer felbft, Urban VI, welcher. 1383 von Rom nach

50—100). Hier weift Sickel nach, dafs alle unferc Texte Neapel entwich. Dafs er freiwillig ging, aus politifchen