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Ausgabe:

1884 Nr. 10

Spalte:

237-242

Autor/Hrsg.:

Sickel, Th.

Titel/Untertitel:

Das Privilegium Otto I. für die römische Kirche vom Jahre 962 1884

Rezensent:

Ropp, ...

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 10.

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könnte, dafs Erigena der Liebe eine befondere Bedeutung
in dem Verhältnifs des Menfchen zu Gott beigelegt
habe. Was hier für eine Liebe gemeint ift, lehren die
fpeculirenden Kirchenväter von Clemens Alexandrinus ab.

Dr. Buchwald, der diefe treffliche Arbeit vorgelegt
hat, ift der glückliche Entdecker ungeahnter Luther-
fchätze auf der Rathsbibliothek zu Zwickau. Bald nach
der Publication der hier vorliegenden Differtation konnte
der Verf. die bisher unbekannten Vorlefungen Luther's
über das Buch der Richter als erfte Probe der Zwickauer
Anccdota Lutherana veröffentlichen. Weitere Veröffentlichungen
werden folgen; man darf aber fchon jetzt fagen,
dafs der überrafchende Fund in guten Händen ift.
Giefsen. Adolf Harnack.

Sickel, Th., Das Privilegium Otto L für die römische Kirche
vom Jahre 962. erläutert. Innsbruck, Wagner, 1883.
(V, 182 S. gr. 8.) M. 6. —

Als das Papftthum im 13. Jahrb. feine weitgehenden
territorialen Aufbrüche rechtlich zu begründen fuchte,
berief es fich — abgefehen von der Schenkung Con-
ftantin's — in erfter Linie auf die auch fchon vorher
vielfach als Waffe benutzten Privilegien, welche Pippin
754, Karl d. Gr. 774, Ludwig d. Fr. 817, Otto I 962
und Heinrich II 1020 der römifchen Kirche ertheilt
haben. Die im Mittelalter unangefochtene Echtheit diefer
in fich eng zufammenhängenden Gruppe von Urkunden
ift in allcrjüngfter Zeit wiederum Gegenftand einer lebhaften
und noch keineswegs abgefchloffenen Controverfe
geworden, deren Literatur zuletzt Martens ,Neue Erörterungen
über die röm. Frage unter Pippin und Karl
d. Gr.' (Stuttg. 82) zufammengeftellt hat '). Der Streit,
mit welchem fich vielfach kirchlicher und politifcher
Eifer verquickt hat und verquickt, erhielt feinen unendlichen
Charakter zumeift dadurch, dafs wir über die
Verleihungen der beiden erften Karolinger nur durch
das Papftbuch in dem Leben P. Hadrian 1 Auskunft
erhalten, während die Urkunden von Ludwig und Heinrich
in fpkteren Copien überliefert find und nur das Pactum
Otto I angeblich in der Urfchrift im vatikanifchen Archiv
aufbewahrt fein follte. So verficherten die Archivare
und Hiftoriographen der Curie feit Jahrhunderten, doch
wurde die Einfichtnahme und Prüfung des Stückes allen
nicht der Curie angehörigen Gelehrten argwöhnifch verweigert
. Jede Erörterung der Echtheit diefer Urkunde
mufste deshalb von der äufseren Befchaffenheit des angeblichen
Originals abfehen und fich ebenfo wie bei den
anderen Privilegien auf die Beurtheilung des Inhalts in
materieller und formeller flinficht befchränken. In um-
faffendfter Weife hat diefes zuletzt Ficker in feinen vortrefflichen
Forfchungen zur Reichs- und Rechtsgefchichte
von Italien gethan und fein Urtheil hier dahin zufammen-
gefafst, dafs unzweifelhaft echte Urkunden vorhanden
gewefen find, jedoch .keiner der Texte, welche uns vorliegen
, unverfälfeht geblieben fein kann' (2,333 . Specicll
bezüglich der Urkunde Otto's gelangte er zu dem
Schluffe (2,358 ff.), dafs nur ein höchft ungefchicktes
und einfach aus der Angabe des Papftbuches über die
Schenkung Karl's abgefchriebenes Einfchiebfel 7 nach
Sickel's Eintheilung) in der gregorianifchen Periode
hineingefälfeht, der ganze übrige Inhalt echt fei. Als
nun das N. Archiv f. ält. D. Gefchichtsk. 7, 190 zuerft
die Mittheilung brachte, dafs Sickel Dank der Zugäng-
lichmachung des vatikanifchen Archivs durch P. Leo XIII
und Cardinal Hergenröther die Erlaubnifs erhalten habe,
das Original der Urkunde Otto's einer eingehenden Prüfung
zu unterziehen — auch die photographifchc Aufnahme
wurde geftattet — da erwartete man allfeitig eine endgültige
Entfcheidung der Frage, hat eine Interpolation

I) Vgl. auch Waitz, Deutfche Verfaflungsgefch. 3, 218 (3. Aufl. 1883).

j ftattgefunden oder nicht? Damit wäre in der That ein
fefler Punkt gewonnen für die Beantwortung einer ganzen
Anzahl von weiteren Controverfen, welche die Gefammt-
gruppe diefer Pacta betreffen.

Sickel hat nun das Document mit jener peinlichen
Umficht und vollen Beherrfchung aller einfchlägigen
1 Fragen geprüft, welche feine Arbeiten in fo hervor-
! ragender Weife auszeichnen und auch die vorliegende
I als ein Mufter für ähnliche methodifche Unterfuchungen
erfcheinen laffen. Der erfte Abfchnitt ,Das Exemplar
des Privilegiums Otto's im vatikanifchen Archive' enthält
eine genaue Befchreibung desfelben unter forg-
I famfter Berückfichtigung aller äufseren Merkmale und
gelangt zu dem Schluffe, dafs dasfelbe, welches auf
! Purpurpergament mit Goldtinte gefchrieben und von
farbigen Randminiaturen eingefafst jedoch niemals be-
fiegelt gewefen ift und aller Kennzeichen der Vollziehung
I entbehrt, zwar nicht als Original, wohl aber als eine ,mit
l Wiffen und Willen des Kaifers' angefertigte (S. 41),
j ,direct auf das eigentliche Original zurückgehende' (S.
34) kalligraphifchc Copie zu betrachten iff. Sickel verweift
dabei auf die vielfach bezeugte Mehrzahl von
1 Ausfertigungen königlicher Praecepte und insbefondere
I auf den Bericht der V. Hadriani, nach welchem Karl
j d. Gr. 774 eine von ihm und feinen Grofsen eigenhändig
J unterfertigte Urkunde in feierlicher Weife dem h. Petrus
tradirt und zwar zuerft auf dem Altar und dann in der
1 Confeffion hinterlegt, hierauf ein zweites Exemplar
i gleichfalls mit eigener Hand in der Gruft des Heiligen
deponirt und endlich einige, von einem Schreiber der
j Curie angefertigte Exemplare mit in die Heimath ge-
I nommen haben Poll. Er vermuthet deshalb, dafs das
; vorliegende Ottonianum als Schau- und Prachtftück nicht
; für Rechtszwecke, fondern zur Erinnerung für die
Confeffion zu S. Peter beftimmt gewefen fei (S. 41)
1 und beruft fich auf das zu Wolfenbüttel aufbewahrte,
I gleichfalls auf Purpur mit Gold gefchriebene und mit
1 Randverzierungen ausgefchmückte praeeeptum dotis (Ausstattung
) Otto II für feine Gemahlin Theophano von 972,
welches in jeder Beziehung das Seitenftück zu dem
Pactum Otto I bilde. Allein an der Abfaffung der
} Wolfenbüttler Urkunde hat, wie die Recognition bezeugt,
die kaiferliche Kanzlei einen ganz beftimmten Antheil
genommen (S. 110), während uns bei dem vatikanifchen
Diplom eine .pofitive Bürgfchaft für Anfertigung auf
Geheifs des Kaifers nicht geboten ift. Nur die Möglich-
• keit, dafs die vatikanifche Urkunde officielle Ausfertigung
i fei, befteht, indem die Schrift zeitgemäfs ist' (S. 38)! Die
Schrift gehört unzweifelhaft der zweiten Hälfte des 10.
Jahrh. an und Sickel, hier gewifs die competentefte
Autorität, erbringt obendrein den Nachweis, dafs der
Schreiber ein Italiener war. Mag diefer aber noch fo
j fklavifch die Vorlage nachgemalt haben, der Einfchub
einer Wendung, ,welche ficher in keinem Original nach-
j gewiefen werden wird' (ac suomm episcoporum, abbatum
et comitum, S. 32, 182 Z. 57) bezeugt bereits mindeftens
; einen gewiffen Eigenwillen des Copiften.

Hiernach ift zunächft die Zeit Gregor VII von dem
Verdacht der Fälfchung diefer Urkunde jedenfalls frei-
1 zufprechen und damit immerhin fchon manches gewonnen.

Dagegen ift, wie Sickel felbft betont, ,der Gedanke an
I Fälfchung {in parte oder in toto) in diefem [X.] Jahrh.
noch nicht geradezu ausgefchloffen' (S. 43).

Sickel will diefen Gedanken durch die Behauptung
zurückweifen, dafs er ,in dem, was wir fonft von den
damaligen Zuftänden und Richtungen des Papftthums
| wiffen, keine Unterftützung' finde, die Begründung diefes
j Satzes ift ihm jedoch nicht gelungen. Gewifs ift die
Kunde,. die von jener Zeit auf uns gelangt ift, dürftig
i genug, allein, dafs die territorialen Anfprüche der Päpfte
j bereits im 10. Jahrh. wieder in das Ungemeffene gingen,
I ift hinreichend bezeugt. Selbft wenn wir von dem Libcllus
de imperatoria potestatc und anderen dafür fprechenden