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Ausgabe:

1883 Nr. 7

Spalte:

164

Autor/Hrsg.:

Oehler, V. Fr. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

‘Halte was du hast’. Zeitschrift für Pastoral-Theologie. 6. Jahrg. 1882/83. 12 Hefte 1883

Rezensent:

Krauss, Alfred

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163

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 7.

1C4

Bassermann, Prof. Lic. H., Vier Predigten vom Reiche

Gottes. Gehalten im Univerfitätsgottesdienft zu Heidelberg
. Heidelberg 1882, Koefter. (46 S. gr. 8.)
M. 1. 20.

So viel auch in der neueren Theologie der bi-
blifche Fundamentalbegriff vom Reiche Gottes betont
und mit Recht eingehender als früher gewürdigt wird,
vielfach freilich mit ftarker Neigung zu unbeftimmter,
die Grenzen des Humaniftifchen und Chriftlichen ver-
wifchender Allgemeinheit, fo ift doch kein Ueberflufs an
befonderen Predigten über das /Reich Gottes'. Mit In-
tereffe haben wir darum die vorliegenden, dies Thema
im Zufammenhang behandelnden Predigten des begabten
Verf.'s in die Hand genommen. Die erfte Predigt behandelt
das Reich Gottes als Lebensaufgabe des Chriften
auf Grund von Matth. 6, 33., die zweite handelt von der
Arbeit für das Reich Gottes auf Grund von Matth. 9,
35 — 38., die dritte von den Hindernifsen des Reiches
Gottes auf Grund von Matth. 13, 1—9., die vierte von
dem Sieg des Gottesreiches auf Grund von Act. 1, 6—8.
mit befonderer Rückficht auf die Zeit des Sieges und
der Vollendung des Gottesreichs. Die Predigten find
mit grofser formaler Gewandtheit und vielem rhetorifchem
Gefchick gearbeitet, forgfältig und gründlich durchdacht,
auch nicht ohne religiöfe Wärme, und die Diction ift
eine edle, aber fie find zu fehr homiletifche Kunftpro-
ducte mit vorwiegend lehrhaft entwickelndem Tone,
nicht genug Gewiffen fchärfende und Glauben weckende
Zeugnifse aus dem Leben und für das Leben, und Eins
vermiffen wir hauptfächlich an ihnen, was ein unver-
gefslicher Prediger auf derfelben Heidelberger Kanzel,
was ein Rothe einft in feiner ebenfo fchmucklofen, als
bedeutenden Predigt fo überzeugend und herzgewinnend
verftand: die Predigten ,treiben', um einen Luther'fchen
Ausdruck zu brauchen, nicht genug ,Chriftum', die Perfon
des Herrn tritt nicht genug in den Vordergrund. Am
kräftigften bezeugt die vierte Predigt Chriftum, nach
utiferem Eindruck überhaupt die befte; dagegen vermifst
man namentlich in der dritten Predigt, deren Text befonderen
Anlafs dazu bot, ein tieferes Eingehen auf die
Geftalt des Herrn und auf den innerften Grund feiner
heiligen Erlöferarbeit. Nicht dafs wir den Predigten
den chriftlichen Charakter abfprächen und fomit unter
den Bann fielen, welchen der Verf. im Vorwort in ziemlich
gereiztem Tone gegen Alle fchleudert, die fich gewöhnt
haben, die Producte der Heidelberger theolo-
gifchen Facultät von vornherein als feelengefährlich und
verderblich anzufehen; aber dafs der chriftliche Charakter
in der angedeuteten Richtung noch entfchiedener hervortrete
, fcheint uns allerdings ein begründetes Defi-
derium zu fein. Charakteriflifch ift in diefer Beziehung
auch u. A., dafs der Verf. in einer gewiffen Scheu vor
einer kirchlich ausgeprägteren Geftalt des Chriftenthums,
fo nahe es ihm auch an verfchiedenen Stellen, fpeciell
bei der dritten Predigt lag, wo von der Ausbreitung des
Reiches Gottes fo viel geredet wird, von der äufsern
Miffion ganz fchweigt, während er allerdings der Arbeit
der innern Miffion, jedoch ohne den Ausdruck zu brauchen,
gedenkt.

Um noch ein Einzelnes herauszuheben, fo hat uns
in der dritten Predigt auf S. 8 ein Ausdruck eigenthüm-
lich berührt, der an die Sprachweife des moralifirenden
Rationalismus erinnert, von der fonft die Predigten frei
find, und mindenftens einen fchiefen Gedanken ausfpricht;
der Verf. fpricht von den Fortfehritten in der ,Nach-
ahmung' Chrifti. Wir follen Nachfolger Chrifti fein,
aber nicht Nachahmer, nicht Copien Chrifti. (Auch die
,tmttatio Christi' des Thom. a Kempis ift doch in dem
Sinne der inneren Nachfolge Jefu gemeint, und diefe
Ueberfetzung darum die richtige.)

Was den Gebrauch der Fremdwörter in der Predigt
anlangt, fo find wir dagegen nicht fo fpröde, dafs wir

meinten, fie gänzlich aus der Predigt zu verbannen; find
fie im allgemeinen Sprachgebrauch reeipirt und. drücken
fie den zu bezeichnenden Gegenftand deutlicher aus, als
es im Deutfchen möglich ift, fo wäre es pedantifch, den
fremden Ausdruck zu vermeiden, zumal wenn er zum
Ton der Predigt ftimmt. Dies fcheint uns aber von
folchen Ausdrücken gefelliger Sprache nicht zu gelten,
wie: ,Etiquette' (3. Predigt S. 6).

Dresden. Meier.

,Halte was du hast.' Zeitfchrift für Paftoral-Theologie.
Unter Mitwirkung vieler in Wiffenfchaft und Praxis
bewährter evangelifcher Theologen hrsg. von Pfr. V.
Fr. üehler. 6. Jahrg. Decbr. 1882 — Novbr. 1883.
12 Hfte. Heilbronn, Henninger. (1. Hft. 48 S. gr. 8.)
Vierteljährlich M. 2. —

Diefe Zeitfchrift dient nicht fowohl der Förderung
der Wiffenfchaft der praktifchen Theologie als vielmehr
der den praktifchen Geiftfichen in ihrem Amte zu gewährenden
Handreichung. Die Abhandlungen im 1. Heft
des neuen Jahrganges betreffen Paftoralcs (Bedeutung der
Krankheit für das individuelle Heiligungsleben und ihre
feelforgerifche Behandlung; die methodiftifche Propaganda
). Vielen werden die aus dem Nachlaffe mitge-
theilten Vorlefungen Palmer's über die Perikopen fehr
willkommen fein. Es bedarf nicht mehr grofser Arbeit,
um danach Predigten zu halten. Die Bücherfchau erflreckt
fich über eine recht gute und paffende Auswahl gröfserer
und kleinerer Schriften, deren Kenntnifs den Pfarrern
erwünfeht fein mufs. Ton und Richtung entfprechen der
durch die Namen Oehler und Palmer charakterifirten und
würdig vertretenen Theologie.

Strafsburg i/E. Alfred Kraufs.

Preusser, Annette, Diaconissin Louise Rätze. Ein Cha-
racterbild. Leipzig 1882, Dörffling & Franke. (V, 238 S.
m. Portr. in Stahlft. gr. 8.) M. 3. —

Das vorliegende Buch enthält fall ausfchliefslich
Briefe der früh verftorbenen Diakoniffin L. Rätze. Aus
ihnen tritt uns in lebenswarmen Zügen das liebenswürdige
Bild eines anfpruchslofen, aber innerlich reichen Lebens,
einer rechten Diakoniffin entgegen, ein kindlich fröhliches
Gemüth, fchlicht, lauter und demüthig, grofs in feiner
Hingebungsfähigkeit, in feiner überftrömenden Liebe.
Die Briefe bieten keine befonders tiefen und originellen
Gedanken, aber die ganze Seele der Schreiberin liegt
darin, und diefe ift erfüllt von der himmlifchen Weisheit,
der gegenüber die Weisheit der Welt zur Thorheit wird.
Es handelt fich darin um kleine Dinge, aber fie gewinnen
dadurch Bedeutung, dafs fie in das Licht der Ewigkeit
geftellt find. Durch die Frifche und Unmittelbarkeit ihrer
Auffaffung werden die Erzählung ihrer Reifen und die
Schilderung von Land und Leuten im Orient, wo fie
eine Reihe von Jahren arbeitete, fo anziehend, dafs man
fie mit Intereffe lieft. Von ihren letzten fchweren Leiden
und der chriftlichen Geduld und Ergebung, mit der fie
fie getragen, wird man nicht ohne Bewegung lefen.
Charakteriflifch für fie ift dabei jene .Freudigkeit zu
fterben und zu leben in einem', wovon der feiige Nitzfeh
einmal fo fchön gepredigt hat. Dennoch wird man
nicht umhin können zu urtheilen, dafs dies Leben zu
einem Buch von 238 Seiten nicht genügend Anlafs bot.
Wenn denn die Herausgeberin durch ihr faft mütterliches
Verhältnifs zu der Heimgegangenen fich getrieben
fühlte, ihr in diefer Weife ein Denkmal der Liebe zu
fetzen, fo hätte es ohne Schaden auf dem vierten Theil
des Raumes gefchehen können. Eine Erklärung für die
ausfuhrliche Breite der Mittheilungen ift vielleicht in
dem guten Zweck des Buches zu finden, deffen Ertrag
,zur Gründung eines Freibettes »zur treuen Schweiler«