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Ausgabe:

1883 Nr. 7

Spalte:

156-157

Autor/Hrsg.:

Romundt, Henrich

Titel/Untertitel:

Vernunft als Christentum 1883

Rezensent:

Bilfinger, A.

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 7.

156

Verf., welcher hierdurch und durch die Bemerkung, er 1 fchnitt (S. 221—341) führt uns unter dem Titel: ,die

wolle kein Buch zum Nachfchlagen liefern, den Anfpruch
auf wiffenfchaftliche Erfchöpfung und literarifche Voll-
ftändigkeit ausdrücklich ablehnt, es in der That wohl
gelungen ift, feinen Lefern inftructive und anziehende
Bilder zu liefern; und wir werden es dem verdienten
Ueberfetzer Dank wiffen, dafs er auch dies Werk dem
deutfchen Publicum zugänglich gemacht hat, obgleich
nicht allen Theilen desfelben bei uns ein gleiches Be-
dürfnifs entgegenkommt. Mit Dank dürfte von dem deutfchen
Publicum befonders der erfte Abfchnitt zu be-
grüfsen fein, welcher (S. 1 — 220) unter dem nach Barbey
d'Aurevilly, /es prophctes du passe (Par. 1860) gewählten
Titel: ,Die Propheten der Vorzeit', die franzöfifchen Re-
präfentanten der Contra-Revolution und Reftauration mit
Liebe, Verftändnifs und evangelifcher Nüchternheit fchil-
dert. Werden auch keine wefentlich neuen Gefichts-
punkte oder Forfchungsrefultate zu verzeichnen fein, fo
wüfste Ref. doch in der neueren kirchenhiftorifchen Literatur
Deutfchlands kein Werk, welches die bei mäfsigem
Umfang reichhaltige, aus den Quellen gefchöpfte und
gefchmackvolle Darftellung unferes Verf.'s als überflüffig
erfcheinen liefse. Sie beginnt mit dem merkwürdigen

Stillen im Lande' auf deutfchen Boden, zum münfterfchen
Kreife und zur Converfion Stolberg's, zur Erweckung in
Baiern, zu Sailer und Boos. Auch auf diefem uns näher
liegenden und vielbehandeltem Gebiete wird man doch
die Charakteriftik der Fürftin Gallitzin und die zwar fehl-
wohlwollende, aber durch römifche Idealifirungen nicht
geblendete Beurtheilung Stolberg's mit Intereffe lefen.
Ich bemerke das Urtheil Nielfen's über jene Zeit, wo
Hamann's grofsartige Einfalt den entfcheidenden Einflufs
auf die Gallitzin hatte. Damals, meint er, Band fie der
evangelifchen Frömmigkeit am nächBen, und diefen Moment
bezeichnen: Demuth im Gegenfatz gegenSelbft.be-
fpiegelung und geiBige Freiheit im Gegenfatz gegen die
nachherige prieBerliche Bevormundung. Intereffant ift auch
S. 267 ff. die Zufammenftellung verfchiedener Urtheile
über Stolberg, unter denen das Grundtvig's (271) hervorzuheben
ift. Recht reichhaltig und anziehend, wenn auch
nicht erfchöpfend und zugleich etwas zerfliefsend, ift der
dritte Abfchnitt: Ultramontanismus und Romantik.
Weffenberg findet eine fympathifche Beurtheilung, die
romantifche Schule eine unbefangene Würdigung als
Factor der kirchlichen Reftauration, Luife Henfel wird

myftifchen Einfiedler der Revolution, dem ,Robinfon des j liebevoll gefchildert.
Spiritualismus, welcher auf der wüften Infel der Welt j Kiel. W Möller

gelandet ift'. St. Martin, der mächtig ergriffen von der

freien confeffionslofen Myftik' des portugiefifchen Juden j Reinmuth, Pfr. Johs., Karl August MÜ'hlhäusser. Ein Bild

Martinez Pasqualis, gefördert durch Jakob Böhme, in der
Revolution die furchtbare Krifis, durch welche die verderbten
Stoffe: Kirche und Königthum ausgeworfen
werden, erblickt, der nicht unberührt von Rouffeau's Geift,
doch im fcharfen Gegenfatz gegen deffen Grundideen,
die ganze Menfchheit in Folge des Sündenfalls auf dem

feines Lebens und Wirkens. [Zeitfragen des chriftl.
Volkslebens, 8. Bd. 2. u. 3. Hft] Heilbronn 1882,
Henninger. (95 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Der bekannte, viel angefeindete und allgemein geachtete
Führer der kirchlichen confervativen Partei inBaden

Schmerzenslager liegen fleht, und hoffend ausblickt nach | und Mitbegründer der deutfchconfervativen Partei in
der Morgenröthe einer nicht durch Priefterherrfchaft und Deutfchland ragte nicht durch befondere wiffenfchaft-
Prieftertrug befleckten Religion, der wahren Theokratie, liehe Werke, wohl aber durch feine vielfeitig gebildete,
welcher die Männer der Revolution, ohne es zu ahnen, j energifche und lautere Perfönlichkeit weit über das Durch-
den Weg bereiten muffen. Es ift von höchftem Intereffe, 1 fchnittsmafs hervor. Man kann in fehr wefentlichen
zu fehen, wie nun in de Maiftre überall noch die Ein- i Fragen anderer Anficht fein und andere Ziele verfolgen
flüffe St. Martin's wahrnehmbar find und doch Alles fo | Und wird doch erquickt und gehoben durch diefes frifche,
völlig umgebogen wird, oder wie jene flüffige Maffe hier thatkräftige Leben, das uns hier in wohlgezeichnetem
gleichfam kryftallinifch zur harten fcharfkantigen Doctrin j Bilde entgegentritt. Das Schriftchen, das uns ,einen
der kirchlich-politifchen Reaction zufammenfehiefst. Der ganzen Mann' vorführt, fei nicht blofs den Pfarrern
Verf. hat durch feine gerade hier recht gründliche und ; beftens empfohlen.

anziehende Darftellung dafür geforgt, dafs man fich leicht ■ Strafsbure iE Alfred Kraufs

jenen Procefs vergegenwärtigen kann, von den Anfängen 1__________

de Maiftre's, in denen felbft der Gedanke St. Martinis noch Romundt, Dr. Heinr., Vernunft als Christentum. Leipzig,
durchblickt, dals Gott eine neue Religion herbeiiuhren ,T „ >, „„ ,,, „ 0 , M

könne, um die religionslofe Menfchheit zu retten, wenn 1 Velt & Co" l882' (V> !34 S. gr. 8.) M. 2. -
er auch hinter den andern zurückgedrängt wird, das Ref. hat noch kein Buch in Händen gehabt, von

Chriftenthum werde auf die eine oder andere übernatür- J dem ihm Sinn und Zweck fo unklar geblieben wäre wie
liehe Weife eine Verjüngung erfahren, hindurch durch | von vorliegendem Buche. Schon das Vorwort enthält

jene Doctrin vom infalliblen Papft, in welchem nun das
Heilmittel gefehen wird, jene Doctrin, welche den Begriff
der Infallibilität durch Reduction auf den der Souverä-
netät einer autoritätsbedürftigen Zeit mundgerecht machen
will, bis fchliefslich zu jener unbedenklichften Reaction,

nur verwirrende Angaben über die Abficht des Verf.'s.
Es wird erftens gefagt: ,die vorliegende Schrift Belle die
von Kant begründete Aufklärung dar im Verhältnifs zu
der von England ausgehenden und in Frankreich ausgebildeten
Aufklärung des 18. Jahrhunderts'. Zweitens

welche, ohne noch an übernatürliche Verjüngung des wird angegeben, ,die vorliegende Schrift enthalte zufam-
Chriftenthums zu denken, nach den altbewährten natür- j men mit dem im September 1881 in demfelben Verlage
liehen Mitteln fich fehnt und ausruft: ,Hätte man Luther ' veröffentlichten Buche »Antäus« den Plan zu dem Neu-
bei Zeiten verbrannt, fo würde man den Schrecken des ; bau in Sitte und Glauben, deffen Entdeckung den Ruhm
30jährigen Krieges entgangen fein' und: ,die Inquifition 1 Kant's für die Jahrtaufende begründet hat'. Drittens
hätte unftreitig der Revolution vorbeugen können'. Die : endlich verfichert der Verf., ,er meine in der vor-
Darftellung der Beftrebungen Bonald's, de la Mennais' (bis fliegenden Schrift den Anfang der Ausführung des
an die Wendung heran, welche im Julikönigthum her- | Gebäudes (zu dem Kant den Grundrifs geliefert) gemacht
austritt), Chateaubriand's darf ebenfalls als fehr dankens- ; zu haben'. — Nicht mehr Aufklärung giebt uns die Ein-
werth bezeichnet werden. Allerdings bietet hier die dop- : theilung des Buches, deffen Gefammtthema ,Vernunft als
pelte Aufgabe, die inviduellen Geftalten in ihrer geiftigen I Chriftenthum' gegliedert ift in die 3 Theile: I. Chriften-
Eigenthümlichkeit heraustreten zu laffen und doch in den ! thum und Vernunft, 2. Vernunft als Chriftenthum (sie!),
Zufammenhang der Zeitgefchichte, der kirchlich-politifchen 3. Vernunft im Chriftenthum. Ref. hat erfolglos fich

Bewegungen Frankreichs unter Napoleon und den reftau
rirten Bourbonen überfichtlich einzugliedern, eine nicht
immer ganz überwundene Schwierigkeit. Der zweite Abbemüht
, den tieferen Sinn der beliebten Unterfcheidung
zu ergründen. —■ Entfprechend diefen Vorbereitungen
verläuft nun die Ausführung. Es ift dem Verf. offenbar