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Ausgabe:

1883 Nr. 7

Spalte:

151-152

Autor/Hrsg.:

Köstlin, Jul.

Titel/Untertitel:

Luther und J. Janssen, der deutsche Reformator und ein ultramontaner Historiker 1883

Rezensent:

Kolde, Theodor

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Seite 1

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151 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 7. 152

,Quellenforfchung' dem fubjectiven Bevvufstfein, ,ja der
fubjectiven Willkür' angehörte, auf die Quellen zurückgeht
, um den objectiven gefchichtlichen Gang der That-
fachen im Leben Jefu zu erkennen und an die Stelle
der fubjectiven Willkür in der bisherigen Anordnung zu
fetzen. Welches diefe Quellen waren, wenn fchon die
mündliche Ueberlieferung von vorn herein fubjectiv-dog-
matifch geftaltet war, erfahren wir freilich nicht, vielmehr
hören wir nur, dafs auch fein Evangelium nur ein Erzeug-
nifs des dogmatifch-religiöfen Bewufstfeins des nach-
apoftolifchen Gefchlechts war, während die älteren doch
wenigftens von dem Pulsfchlage des dogmatifch-religiöfen
Geiftes der apoftolifchen Zeit belebt wurden.

Hier bleibt aber in der Darfteilung des fonft fo fcharf-
finnigen Verf.'s noch eine andere höchft merkwürdige Unklarheit
zurück. Die Annahme, dafs Lucas feinen Lefern
eine neue Gewifsheit über die ihnen durch den Widerfpruch
des Marcus und Matthäus zweifelhaft gewordene evan-
gelifche Gefchichte geben wolle, kann fich nur auf eine
'übrigens unzweifelhaft unrichtige) Erklärung von Luc.
1, 4 gründen. Zugleich aber foll das, was der Evangelift

den römifch gebliebenen Gegenden entgegenzuftellen
fondern in ruhiger, befonnener Sprache, die fich nur an
einzelnen Stellen, wo es abfolut nothwendig war, zum
Pathos eines gerechten Zornes fteigert, werden die Janf-
fen'fchen Behauptungen quellenmäfsig geprüft und die
Unwahrhaftigkeit des Gegners in ihrer verfchiedenartigen
Geftaltung dem Lefer vor Augen geführt. War es mir
nur möglich, die Hauptpunkte hervorzuheben, fo hat
K. nicht nur diefelben weiter ausgeführt, fondern in
feinen drei Abfchnitten: 1. Luther in feiner EntWickelung
und Thätigkeit bis zum Jahre 1525; 2. Luther's Grund-
fätze, Charakter und Wirksamkeit überhaupt; 3. Luther's
Lebensende, das Beweismaterial gegen Janffen mit der
ihm zu Gebote flehenden Detailkenntnifs aufs dankenswerthefte
vermehrt. Es wird nicht nöthig fein, hier weiter
darauf einzugehen. Der Name des Lutherbiographen ift
eine genügende Empfehlung des auch für weitere Kreife
geeigneten Schriftchens, das Niemand ungelefen laffen
follte, der fich ein Urtheil über Janffen bilden will und
an feiner Kirche ein mehr als traditionelles Intereffe hat.
Denn mit Recht bemerkt der Verf. am Schlufs: ,Wie

in feiner Objectivität herftellen will, nach Luc. 1, 3 die 1 die religiöfe Wahrheit, fo foll ja auch die gefchichtliche
gefchichtliche ra^ig fein. Zwar wundert fich S. 76 Anm. uns heilig fein. Auch für fie gilt uns, was Luther uns
Höhten felbft, dafs ein fo geiftvoller Mann wie Lucas fingen gelehrt: das Wort fie follcn laffen ftahn'.
nicht fah, wie in der unterschiedenen Darflellungsform Erlangen Th Kolde

fich ein unterfchiedener Inhalt auspräge; und was der

Gemeinde an der Differenz der beiden älteren Elvangelien Lindsay, Prof. T. M., M. A., DD., The reformation. [Handle
Glaubwürdigkeit der evangelifchen Thatfachen er- books for blble classes. Ed b Marc Dods and Alex.
lchuttert haben loll, kann doch hcher nicht jene gewefen 1 ,,n t-.^, t-,. , , ™ „ ^ ^, , or>
fein, fondern nur diefer. Hofften beruhigt fich ja freilich j Whyte> DD'] Ldlnburgh' T- & T- Clark> 1882. (X,

damit, wie auch der ,etwa gleichzeitige' Presbyter in
der bekannten Papiasftelle den Unterfchied der beiden
älteren Evangelien nur in der taSig fand. Aber damit ift

214 S. 8.) Cloth.
Vorliegender Band der von Theologen der fchotti-
fchen free church bearbeiteten Handbücher behandelt in

doch in der That diefer ganzen Tendenzauffaffung der j vier Theilen die Reformation nach ihrer gefchichtlichen
Evangelien jeder gefchichtliche Boden entzogen. Hat Entwicklung wie nach ihren Principien. Der Verfaffer
Lucas fo wenig wie der Presbyter Johannes einen dog- j beginnt mit der deutfchen Reformation und der Bildung
matifchen Unterfchied der beiden älteren Evangelien j der luther. Kirchen, in Theil II folgt die fchweizer Re

gemerkt, fo ilt es doch völlig unglaublich, dafs die
Verfaffer gehofft haben follten, durch die Verschiedenheit
ihrer Darflellungsform verfchiedene dogmatifche
Standpunkte zu vertreten und zu begründen. Hofflen
mag es fich noch fo lebhaft ausmalen, wie in den
Kämpfen jener Zeit die Abänderungen und Anfpielungen,
in welche fich jene Abficht hineinlegte, fofort verftanden
wurden (S. 70, Anm.). Aber wenigflens die älteflen urkundlichen
Urtheile über unfere Schriftlichen Evvangelien
haben nach feinem eigenen Zugeftändnifs von einer Solchen
Abficht nichts gemerkt.

Berlin. Dr. Weifs.

KostIin, Prof. Jul., Luther und J. Janssen, der deutfche
Reformator und ein ultramontaner Hifloriker. Halle,
Niemeyer, 1883. (72 S. gr. 8.) M. 1. —

Meine ausführliche Befprechung von Janffen's Antikritik
in diefer Zeitung Jahrg. 1882, Nr. 22 und 23 brach
ich mit der Bemerkung ab, dafs man ein Buch fchreiben
müfste, wenn es gälte, den Schlangenlinien Janffen'fcher
Hiftorik allenthalben nachzugehen. Seitdem ift dies
wenigftens für die Hauptfache von berufenfter Hand geschehen
. In dem vorliegenden Schriftchen, von dem fo
eben fchon eine zweite durchgefehene Auflage erfchienen
ift, hat J. Köftlin in der Erwägung, dafs es vor allen Dingen

darauf ankäme, den Verunglimpfungen Luther's vonSeiten j nachgewiefen ift. Mathefius erzählt von den Bibelüber

formation und die Bildung der reform. Kirchen, wobei,
wie natürlich, der fchottifchen Kirchengefchichte besondere
Bevorzugung zu Theil wird; die anglikanifche Reformation
bekommt als eine ganz cxceptionelle und
abnorme den dritten Theil für fich. Als letzter Theil
folgen Erörterungen über die Principien der Reformation,
ihr Verhältnifs zu den ,revivals' des Mittelalters und über
ihre Katholicität. Den Schlufs bilden fynchroniftifche
Tabellen zur Reformationsgefchichte. Uns intereffirt hier
befonders die Behandlung der deutfchen Reformation.
Leider läfst der Glasgower Prof. der Kirchengefchichte
hier oftmals genaue Kenntnifs der Vorgänge vermiffen
und lehrt feine Studenten allerlei Irriges. Luther ftarb
(S. 36) ,at Wittenberg1; Joh. Eriedrich wurde 1552 bei
feiner Freilaffung in feine ehemaligen Befitzungen wieder
eingefetzt (S. 39). Das Augsburger Bekenntnifs heifst
Augustana ,because it ivas preparcd to be presented to
Augustus i, e. to tliellmperor1. Dasfelbe wurde vom Kanzler
,von Bruck' (ftatt Chrift. Beyer) verlefen. Die evangel.
Prediger predigten in Augsburg anfangs regelmäfsig in
den Herbergen ihrer Fürften; als der Kaifer dies verbot,
predigten fie täglich in der Franziskanerkirche; als der
Kaifer auch dies unterfagte, verliefsen fie in Unmuth die
Stadt (S. 32) — lauter confufe Angaben. Marcus Thomä
und Marcus Stübner nguriren S. 197 als zwei verfchiedene
Persönlichkeiten, während die Identität beider feit Jahren

der Janffen'fchen Pfeudohiftorik mit Entschiedenheit entge- 1 fetzungsarbeiten in Wittenberg, dafs neben den ver

genzutreten, es unternommen, im Einzelnen nachzuweifen,
welcher Mittelchen fich der ultramontane Hifloriker bedient
hat, um das Zerrbild des Reformators zu Stande
zu bringen. Der Verf. ift dabei nicht in den bedauerlichen
Fehler mehrerer anderer Gegner Janffen's verfallen,
die fich damit begnügen, dem traurigen Bilde von der Reformation
, das Janffen gegeben, nur die Unfittlichkeit des
Papftthums und die keineswegs erbaulichen Zuftände in

fchiedenen Bibelausgaben auch ,die Rabbinen' zu den
Sitzungen in Luther's Haufe mitgebracht und fieifsig
verglichen worden feien (Predigt 13); daraus machtLindsay,
dafs fich allwöchentlich bei Luther etliche gelehrte Männer,
,of whom sowie werc Jewish rabbis' eingefunden hätten.
Befonders ftarken Proteft möchte ich gegen die Dar-
ftellung erheben, die der Romreife Luther's gegeben wird.
In ihr fieht Lindsay ,the crisis of Ms life'. ,He went there

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