Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1883 Nr. 6

Spalte:

131-132

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Franz

Titel/Untertitel:

Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. 1. Heft 1883

Rezensent:

Brieger, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

131 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 6. 13:

Jahren für den in der Kirche vorhandenen Widerfpruch
zwifchen Ideal und Wirklichkeit in Bereitfchaft hatte.
Seine Streitfchrift gegen Luther für eine aus wiffenfchaft-
lichem Intereffe und mira mansuetudine gefchriebene
Abhandlung zu erklären (p. 310. 313), ift doch angefichts
der darin ertheilten hämifchen Nadelftiche gegen Luther
fowie der Andeutungen der Briefe über ihre Veranlaffung
gar zu harmlos! Und andererfeitshat ihm auch jene ideale
Gefchichtsbetrachtung nur zu oft zum Vorwand gedient,
unbequeme Zumuthungen zu einer perfönlichen Entfcheid-
ung von fich abzulehnen und gegenüber der kirchlichen
Autorität eine Unterwürfigkeit und ein Vertrauen zur
Schau zu tragen, welche von einem sacrificium intellectus,
in deffen Darbringung der Verfaffer einen Charakterzug
des modernen Katholicismus verurtheilt, doch kaum zu
unterfcheiden find: man denke nur neben fo manchen
brieflichen Aeufserungen gerade an den Anfang feiner
Diatribe und den Schlufs feines Hyperaspistes, aus welchem
neben der vom Verfaffer allein angeführten und als Zeug-
nifs feiner Demuth hervorgehobenen Bitte um Erleuchtung
auch die vorangehenden Worte in Erwägung zu
ziehengewefenwären: Quidquidanobisdisertutnest,Ecclesietf.
catlioücae submitto, paratus corrigere, si quid excidit a veri-
tate discrepans, Worte, die noch neuerdings durch die von
Horawitz veröffentlichten Stücke des Briefwechfels mit
Herzog Georg und mit J. Faber einen bedeutfamen und
unmifsverftändlichen Commentar erhalten haben. Bei
manchen Aeufserungen wird man eben doch, wenn es
fich um eine Parallele mit der Gegenwart handelt, viel
weniger ah das Wahrheitszeugnifs eines Döllinger erinnert
als an jenen Grundfatz, mit welchem der p. 38 als be-
fonders ausgezeichnetes Beifpiel folcher Opferung der
Erkenntnifs genannte Bifchof Hefele vor feiner Diöcefe
feine Unterwerfung unter Rom motivirt hat: ,Der Friede
und die Eintracht in der Kirche find ein fo koftbares
Gut, dafs die gröfsten perfönlichen Opfer gebracht
werden mühen, um fie unverletzt zu erhalten'. — Der
Verfaffer hätte, wenn es ihm um eine umfaffendere Würdigung
der religiöfen Ziele und des gefchichtlichen Einfluffes

liehe Mittheilung eigener Untcrfuchungen als Proben, wie
jüngft erfchloffeneQuellen für die fächf.Kirchengefchichte
auszubeuten find (z. B. über Joh. Hofmann, 1427—51
Bifchof von Meifsen, S. 14 ff., über die Stellung Leipzigs
zur Reformation vor dem J. 1539, S. 18—27), wechfelt
ab mit dem durchgängigen Hinweis auf gedruckte oder
ungedruckte Quellen und auf die bisherigen Leiftungen.
Nur ausnahmsweife ift dabei eine wichtige Arbeit übergangen
, wie ich bei der Erwähnung der fächf. Confifto-
rien S. 31 f. die Verweifung auf Mejer (Anfänge des
Wittenberger Confiftoriums, Ztfchr. f. Kirchenrecht XIII
—■ die vorzüglichfte Arbeit über diefen Gegenftand) ver-
miffe, desgl. bei Val. Weigel S. 35 f. die Anführung des
bekannten Buches von Opel. Hoffentlich wird diefe
Darlegung zu eifrigem Forfchen anregen. Gewünfcht
hätte ich freilich, dafs Lechler bei der Reformations-
gefchichte noch ftärker betont hätte, in welchem Grade
es für unfere Kenntnifs der religiöfen, fittlichen und
focialen Umwälzung, wie fie das 16. Jahrh. gebracht hat,
ankommt auf die Localforfchung, wie wir, fo lange ihre
Ergebnifse uns nicht reichlicher zufliefsen, gar nicht im
Stande find, uns ein deutliches Bild der gröfsten Epoche
unferes Volkes zu entwerfen.

Unter den Beiträgen felbft nimmt den erften Rang
der Auffatz von Dibelius ein: ,Zur Gefchichte der
lutherifchen Gefangbücher Sachfens feit der Reformation'
(S. 169—255), eine fehr gründliche und beachtenswerthe
Arbeit von allgemeinerem Intereffe. Befonders werthvoll
ift der Abfchnitt über die fächf. Gefangbücher des 16.
Jahrh. (S. 182—235); die minutiöfen Unterfuchungen des
Verf.'s haben reichen Ertrag abgeworfen.

Es wäre unbillig, zu verlangen, dafs eine Zeitfchrift
nur Auffätze von fo hohem Werthe bringen follte, wie
er diefen Beiträgen der beiden Herausgeber eignet. Ich
will daher für das Unternehmen felbft keinen Tadel
ausfprechen mit der Bemerkung, dafs die drei weiteren
Stücke diefes Heftes fich nicht auf gleicher Höhe halten.
Die fleifsige Arbeit Georg Müller's: ,M. Stephan Roth,
Schulrektor, Stadtfchreiber und Rathsherr zu Zwickau

von Erasmus zu thun war, wohl überhaupt beffer gethan, 1 im Reformationszeitalter' (S. 43—98) hat ihren Haupt-
bei dem im Verhältnifs zum Gegenftand doch fehr j werth in der genauen Darlegung der Beziehungen Roth's
befchränkten Umfang feiner Darfteilung auf die detaillirte I zu Luther. Auch der Auffatz Knothe's ,Die Franzis-
Wiedergabe der Verhandlungen mit Luther zu verzichten; j kanerklöfter zu Löbau und Kamenz' (S. 99—124) beruht
fie find zum gröfsten Theil fchon bekannt und find im j auf zuverläffigen Quellenftudicn, und man kann nur
Grunde mehr für Erasmus' eigene kirchliche Stellung- ; wünfehen, dafs der Gefchichte eines jeden fächfifchen
nähme und für die Beurtheilung feines perfönlichen Cha- I Klofters in fo forgfältiger Weife nachgegangen würde.

rakters als für feine allgemeine gefchichtliche Einwirkung
von Bedeutung; dafür hätten dann durch eine gründlichere
und erfchöpfendere Darlegung seiner allgemeinen Reformationsgedanken
und ihres Verhältnifses zur Vergangenheit
und zu den Zeitgenoffen, von denen namentlich die

An Gründlichkeit hat es auch Seifert ,Die Durchführung
der Reformation in Leipzig 1539—45' (S. 125—168) nicht
fehlen laffen, und feine Notizen aus dem Raths-Archiv
zu Leipzig find dankenswerth. Doch fcheint mir die Aufnahme
diefes letzten Auffatzes aus dem Grunde gerechten

nichtdeutfehen mehr Berückfichtigung verdient hätten, die j Bedenken zu unterliegen, weil er kein Original-Beitrag ift,
Cap. 5 angedeuteten und in der That für eine neue Auf- j fondern fchon 1881 als Leipziger Inaugural-Differtation
faffung fruchtbaren Gefichtspunkte eine beftimmtere Be- ] gedruckt war.

gründung und eine deutlichere Ausführung erhalten 1 Indeffen, wie dem fein mag, jedenfalls hat die junge
können. ,Gefellfchaft für fächf. Kirchengefchichte' fich mit diefem

ßafcj o Staehelin ' *" Hefte 'nres Organs 10 würdiger Weife in die wiffen-

_' __'_ | fchaftliche Welt eingeführt. Vielleicht reizt fie andere

„ .. .. ..... ... . ... , . at Landes- oder Provincial-Kirchen zur Naclieiferung. Für

Beitrage zur sachsischen Kirchengeschichte, hrsg. im Auf- , diefen Fall ware anerdings nicht zu befürworten, dafs
trage der ,Gefellfchaft für fächfifche Kirchengefchichte' j eine jede derartige Gefellfchaft fich ihre eigene Zeitfchrift
von Konfift.-R. Pfr. Lic. Dr. Frz. Dibelius und Geh. j gründet. Denn wer möchte dazu rathen, das Elend, wel-
Kirchenr. Prof. Superint. Dr. Ghard. Lechler. 1. Hft. ches die Zeitfchriften der provinciellen Gcfchichtsvcreine
T pin •„ .00, Tj—q. /ttt -,fin S or ,iM a drückt, noch auf ein zweites Gebiet zu übertragen? Aber

Leipzig 1882, Barth. (III, 260 S. gr. 8.) M. 4. - vielleicht würde man hie und da den Weg einfchlagen,

An der Spitze diefer neuen kirchengefchichtlichen | die zur Verfügung flehenden Mittel auf Quellen -
Zeitfchrift fleht ein inhaltsreicher Auffatz Lechler's: | Publicationen zu verwenden, wie fie in muftergültiger

Weife feit einer Reihe von Jahren ,die hiftorifche Com-
miffion der Provinz Sachfen' uns liefert.

Marburg. Th. Brieger.

,Was wir wollen, oder Aufgaben der Forfchung auf dem
Gebiete der fächfifchen Kirchengefchichte' (S. 1—42), eine
Art von detaillirtem Programm. Der Verfaffer hebt mit
gewohnter Umficht und der ihm eigenen reichen Kenntnifs
in chronologifcher Ordnung diejenigen Punkte hervor,
an denen heute die Forfchung einzufetzen hat. Gelegent-