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Ausgabe:

1883 Nr. 5

Spalte:

108-109

Autor/Hrsg.:

Haan, Wilh.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Vertheidigung des Christenthums gegen die wider dasselbe von Anfang an bis jetzt erhobenen Angriffe 1883

Rezensent:

Thoenes, Karl

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107 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 5. 108

in einem ähnlichen Verhältnifs) und beurtheilt fie in den
Anfprüchen an ihre Lebenshaltung u. f. w. wie die im
Amte flehenden. Der Verf. findet in der Rede von ,Geift-
lichen a. D.' nur eine Connivenz gegen einen landläufigen
Irrthum: follte nicht eher darin ein Beweis dafür liegen,
dafs das A. L.-R. mit feiner Verengung des geiftlichen
Standesbegriffs nicht im Einklang mit der allgemeinen
Rechtsüberzeugung ftehe, wie doch jedes gute Gefetz
foll, mithin in Rückficht darauf eine Berichtigung bedürfe.
Diefe ift ihm nun geworden. Ein ganz analoges Verhältnifs
befteht bei dem Begriff der Kirche. Bekanntlich
weifs das A. L.-R. nichts von einer Kirche als Complex,
fondern nur von örtlichen Kirchengefellfchaften. Aber
die Natur der Dinge hat fich ftärker erwiefen, als die
Fiction des Gefetzgebers, und die neuere Verfaffungs-
bildung hat die ev. Kirche in Preufsen wie anderwärts
als eine organifirte Inftitution auch rechtlich dar-
geftellt.

Dafs in dem allem eine ,riefige Neuerung', nach dem
Ausdruck des Verf.'s, enthalten fei, ift nicht zu leugnen,
aber es ift u. E. keine unberechtigte. Was insbefondere
den dem P.-G. zu Grund liegenden geiftlichen Standesbegriff
betrifft, fo hat derfelbe feine Wurzeln viel weniger
in der katholifchen Vorftellung vom character indelcbilis,
als vielmehr in der bei den bürgerlichen Berufsftänden
— mit welchen ja der Stand der evangelifchen Geiftlichen
focial ganz in einer Linie fleht — allgemein geltenden
Anfchauungen. Jedermann rechnet den penfionirten Beamten
oder Officier, wenn er nicht mit dem Scheiden
aus dem Dienft ausdrücklich auch aus dem Stande aus-
gefchieden ift, noch zu dem Beamten- oder Officiersftande
und macht entfprechende Anforderungen an ihn. Die
Parallele zwifchen dem geiftlichen P.-G. und einem Militär-
penfionsgefetz ift nicht fo ungeheuerlich, wie fie dem
Verf. vorzukommen fcheint, fo wenig man darum den
Unterfchied zwifchen einem Officier und einem Pfarrer
zu vergeffen braucht.

Ob es allerdings möglich war, diejenigen Geiftlichen,
die beim Erlafs des P.-G. von 1880 bereits im Amte
ftanden, alfo nach den ihnen günftigeren Beftimmungen
des A. L.-R. angefleht waren, ohne Kränkung eines erworbenen
Rechts der Bedingung des § 9 zu unterwerfen,
ift eine Frage; wir möchten fie verneinen. Sofern es fich
aber de lege ferenda handelt, fleht es offenbar in dem
Ermeffen des Gefetzgebers, ob er denRuhegehalt lediglich
als die verdiente Gebühr für zurückliegende Leiftungen
anfehen oder ihn von der Erfüllung fortdauernder An-
fprüche an eine entfprechende Lebenshaltung abhängig
machen will: dafs letzteres das Sachgemäfse fei, wird
billiger Weife nicht zu verkennen fein. Recht hat übrigens
der Verf. darin, wenn er klagt, dafs für die nach g 9 an
die Emeriten zu flehende P orderung und für die eventuell
gegen fie anzuwendende Disciplin keinerlei gefetzliche
Norm gegeben, mithin hier der Willkür ein bedenklicher
Zugang geöffnet fei. Es mag ja die Gefahr einer grau-
fam rückfichtslofen Behandlung alter Männer fo grofs
nicht fein, wie der Verf. fich vorzuftellen fcheint, aber
eine Lücke ift hier, foweit wenigftens die Kenntnifs des
Ref. von der preufsifchen Kirchengefetzgebung reicht,
vorhanden und fordert ihre Ausfüllung.

Man fieht, dafs die kleine Schrift des ,Veteranen'
den Ausblick auf eine Reihe von bedeutfamen princi-
piellen Fragen eröffnet, und dies mag die, im Verhältnifs
zu dem knappen Umfang der Schrift etwas grofs gewordene
Ausdehnung der Befprechung rechtfertigen.

Darmftadt. K. Köhler.

aan, Kirchenr. Superint. Oberpfr. em. Dr. Wilh., Geschichte
der Verteidigung des Christenthums gegen die
wider dasselbe von Anfang an bis jetzt erhobenen Angriffe.

Ein Leitfaden für Studirende beim Studium der Apologetik
und eine Belehrungsfchrift für Gebildete, welche
fich über Kampf und Sieg ihres Glaubens unterrichten
wollen. Frankenberg i. S., Rofsberg, 1882. (VII, 94 S.
gr. 8.) M. 1. 80.

Das Büchlein von Dr. Haan will einen doppelten
Zweck erfüllen. Es will ein Leitfaden für Studirende
beim Studium der Apologetik fein und eine Belehrungsfchrift
für Gebildete, welche fich über Kampf und Sieg
ihres Glaubens unterrichten wollen.

Wir müffen leider bekennen, dafs die Arbeit des
Verf.'s keinem der beiden Zwecke entfpricht. Sie enthält
im Wefentlichen nur eine trockene Aufzählung von Namen,
Zahlen und Titeln von Schriften, und was über den Inhalt
der letzteren mitgetheilt wird, ift in den meiften Fällen
gänzlich werthlos. Wie daher der Verf. in feinen Ausführungen
eine Belehrungsfchrift für gebildete Nichtgeift-
liche hat geben wollen, ift kaum verftändlich. Immerhin
jedoch könnte mit einem folchen trockenen Abrifs der
Gefchichte der Apologetik Studirenden der Theologie
noch ein gewiffer Dienft erwiefen werden; nur müfste er
dann zuverläffig und exaet fein. Aber eben in diefer
Hinficht werden durch den Verf. nicht einmal die ele-
mentarften Forderungen erfüllt. Wie aus feinem Büchlein
hervorgeht, ift ihm wohlbekannt, was H. G. Tzfchirner
feiner Zeit für die Gefchichte der Apologetik geleiftet hat.
Es wäre zu wünfehen gewefen, dafs er vor Inangriffnahme
feiner Arbeit aus dem Reinhard'fchen Vorworte zu dem
Buche von Tzfchirner fich über die Schwierigkeiten feines
Unternehmens genauer unterrichtet hätte. Wenn Reinhard
mit Recht fordert, dafs man die Schriften der Apologeten
und auch die Werke ihrer Gegner aufrnerkfam gelefen
und ihren Geift gefafst haben muffe, wenn man über die
Gefchichte der Apologetik etwas Gründliches liefern
wolle, fo mufs Haan offenbar diefe Forderung als für
fich nicht verbindlich erachtet haben. Seine Schrift wimmelt
von Ungenauigkeiten und Fehlern, fo fehr, dafs
man bei der Leetüre allmählich zu keiner Angabe mehr
Vertrauen hat. Um das ausgefprochene Urtheil zu rechtfertigen
, einige Proben! S. 9 und 10 lieft man: ,Cornelius
TacitUS, der gröfste römifche Hiftoriograph, geb. 54
n. Ch., fchrieb: Annales historiae germanicae. XV. 44.
V. 9—13'. Sollten in diefem Satze nur Druckfehler vorliegen
? Was würde die Germania des Tacitus mit feiner
Stellung zum Chriftenthum zu thun haben, und wie wäre
erkennbar, dafs fich das erfte Citat auf die Annalen, das
zweite auf die Hiftorien bezieht? — Auf S. 10 heifst es
weiter: Jfonto, Marc Aurel Rhetor, Lehrer des Marc
Aurel' u. f. w. — ,Marcus Aurelius, floifcher Philofoph,
hat viel öffentlich gegen die Chriften gelehrt'. Dafs
Marcus Cornelius Fronto Lehrer des Marc Aurel war,
giebt noch kein Recht, ihn Marc Aurel zu heifsen, und
der Kailer Marc Aurel wird in dem Titel ,floifcher Philofoph
' ohne Weiteres von dem Anfänger noch nicht
wiedererkannt. — S. 11 lieft man: ,Da die Schriften
Julian's verloren gegangen find, fo hat uns nur Cyrill,
Bifchof von Jerufalem, den Inhalt des i.Theils derfclben
mitgetheilt. Wie foll der theologifche Anfänger rathen,
dafs Cyrill von Alexandrien gemeint ift? — S. 13 heifst
es: Conftantin habe das Chriftenthum zur Staatsreligion
erhoben im Jahre 306. — S. 14 ff. wird angeführt, was
heidnifche Schriftfteller vor Chrifto zu Gunften des Glaubens
gefagt haben. Hier empfängt mit Recht auch Cicero
einen Platz. Wir lefen: ficero, Mar. Tull., geb. 3. Jan.
106 v. Chr. Geb., fagt: flamm sententiarum quae Vera
Sit, Dens viderit, quae veresimilis, magna quaestio est.
Tusc.g, I, II'. Abgefehen davon, dafs die gemeinte Stelle
Tusc. 1, 10, 22 fich findet, alfo falfch citirt ift, hinter