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Ausgabe:

1883

Spalte:

81-84

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Albrecht

Titel/Untertitel:

Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung. 2. verb. Aufl. 1. Bd. Die Geschichte der Lehre. 2. Bd. Der biblische Stoff der Lehre 1883

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 4. 82

auf dem Titel zu lefen bekommen, die Majorität der
Kammer wird keine ,Adreffe' (I, S. 57) erlaffen, fondern
der Regierung die einzufchlagende Richtung [mdinzzd)
der Politik vorfchreiben, und die im 16. Jahrb. geflifteten
Regularkleriker — um nur noch Ein Verfehen aus Dutzenden
der Art herauszugreifen — werden fich nicht zur
Heiterkeit jedes mit der Ordensgefchichte auch nur
cinigermafsen Bekannten in regelrechte GeifUiche' (II.
S. 209 und 210) umwandeln.

Bonn. Benrath.

Ritsehl, Albrecht, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung
und Versöhnung. 1. u. 2. Bd. 2. verb. Aufl. Bonn,
Marcus, 1882. (gr. 8.) M. 16. —

Inhalt: 1. Die Geichichte der Lehre. (VIII, 656 S.) M. 10. —.
— 2. Der biblifche Stoff der Lehre. (VI, 38t S.) M. 6. —

Zwölf Jahre find feit dem Erfcheinen des erften
Bandes diefes grofsen Werkes verfloffen, deffen zweite
Auflage wir hier begrüfsen. Die Controverfen, welche
fleh an dasfelbe angefchloffen, haben die vom Verfaffer
in dem erften Bande gegebenen Ausfuhrungen nur feiten
geftreift. Man hat es — einige Ausnahmen abgerechnet —
vorgezogen, den kürzeren Weg einzufchlagen und die
Ergebnifse des Verf.'s nach dem 3. Bande ohne Rückficht
auf ihre gefchichtliche Fundamentirung zu beleuchten.
Unter folchen Umltändcn hat der Verf. aus der Kritik feines
Werkes für den erften Band wenig Vortheil ziehen
können. Dennoch erfcheint derfclbe hier in einer fehr
erheblich verbefferten und bereicherten Geftalt. Wir verdanken
diefelbe fomit den fortgefetzten eigenen Studien
des Verf.'s, die fleh vornehmlich auf die Erlöfungs- und
Vollendungslehre der alten Kirche, auf die mittelalterliche
Myftik und Asketik und auf die Gefchichte der
Veränderungen des evangelifchen Chriftenthums und der
reformatorifchen Lehre vom 16. bis 18. Jahrhundert bezogen
haben. Die betreffenden der erften Auflage
uiamentlich jj 2. 17—19. 26. 48. 49) find völlig neugearbeitet
; aber auch ein grofser Theil der übrigen ift theils
in Folge hievon, theils im Intereffe einer präciferen
Darfteilung und auf Grund neuer Studien an vielen
Stellen ergänzt worden. So wird in dem erften Capitel
(Anfelm und Abälard) durchweg auf die § 2 gegebene
Ausführung der Erlöfungslehre des Athanafius Rückficht
genommen; eine entfeheidende Wendung, welche Auguftin
der Auffaffung von Chriftus als dem Mittler gegeben hat
(,in qnantum cnivi homo, in tantum Mediator; in quatitum
autnit vcrbuvi, tum incdins, qnia aequalis deo'), ift vom Verf.
entdeckt und gebührend verwerthet worden (*j 5); die
Satisfactionsthcorie Anfelm's erfcheint in neuer Beleuchtung
, indem ihre Grundform auf die Regel des Strafrechts
bei den germanifchen Völkern zurückgeführt wird. Hier
hat der Verf. die werth volle Unterfuchung Crem er's für
feine Darftellung benutzen können. Er macht in diefem
Zufammenhange darauf aufmerkfam, dafs der Grundfatz
der satisfactioncs zuerft in der Disciplin der abend-
ländifchen Kirche Aufnahme gefunden und dann erft —
eben durch Anfelm — in der Dogmatik eine Stelle erhalten
hat. Diefer Hinweis ift geeignet, die Kirchen-
hiftoriker zu weiterem Nachdenken anzuregen. Sehr
wichtig ift auch die Verweifung darauf (S. 56. 116), dafs
fchon Ambroflus in dem Buche de Isaac et anima das
Hohelied auf das Verhältnifs zwifchen Chriftus und der
einzelnen Seele gedeutet hat. Diefe Deutung, combinirt
mit dem auguftinifchen Gedanken, dafs Chriftus als
Menfch der Mittler fei, beherrfcht die eigenthümliche
Art der mittelalterlichen PVömmigkeit. Die Menfchheit
wird als die Hauptfache an Chriftus betont, fowie man
fleh über feine Wirkungen verftändigt. Schon Anfelm
fagt, dafs in der Stellung der Liebe Chrifti und der Gegenliebe
der Gläubigen es viel füfser, alfo wirkfamer ift,
üafs Chriftus Menfch, als dafs er Gott fei (S. 55;. Die
Contemplation des Schmerzensmannes fleht in vollem

Gegenfatz zu der Annahme des Hilarius, die der Verf.
S. 39 berührt, dafs Chriftus die ftellvertretende Straf-
leiftung als folche nicht empfunden habe — eine Annahme
, die übrigens auch Athanafius in der Schrift de
incarn. angedeutet hat, und die der ganzen altkirchlichen
Auffaffung von Chriftus zu Grunde liegt (f. auch die Ab-
bildungen Chrifti). Der Verf. weift aber auch S. 42 f.
auf den Abftand des anfelmifchen Gottesbegriffs von
dem der alten Väter nachdrücklicher als in der 1. Auflage
hin. Diefe find von dem Gedanken der unveränderlichen
Selbftgleichheit Gottes beherrfcht, während
I Anfelm von der lebendigen Perfon ausgeht, die mit
1 den Menfchen in wirklichem Contact fleht, daher fle zu
Schuldnern macht und nicht nur unter ein Verhängnifs
I treten läfst. Es wäre eine dankbare Aufgabe, zu zeigen,
welche Folgen für die Dogmatik des Abendlandes die
I Zeit von c. 400—1100 gehabt hat, in welcher Zeit das
Chriftenthum es nicht mehr mit einer Religionsphilo-
i fophie, einer philofophifchen Moral und ftoifchen Rechtstheorien
zu thun gehabt hat, fondern zum erften Mal
mit den religiöfen, flttlichen und rechtlichen Begriffen
jugendlicher Völker, denen das, was fleh die Kirche in
der Sphäre einer höheren Cultur erworben (Theologie,
Chriftologie), Itets ein geheimnifsvolles Noli me tangere
I blieb, die aber dafür manchen biblifchen Begriffen ein
, befferes Verftändnifs entgegentrugen als die Schüler der
I Philofophen. Die Eigenart der Scholaftik im Unterfchied
von der altkirchlichen Theologie wird ja wohl darin be-
ftehen, dafs fle den neuen Erwerb eines halben Jahr-
' taufends (in Bezug auf die Vorftellungen von Gott, vom
j Werk Chrifti, von der Verfchuldung', von den Satis-
| factionen und von den facramentalen Gnadenmitteln,
| von dem Opfer und von der Kirche) mit den alten Er-
kenntnifsen, wie fle in den articuli fidei enthalten find,
zu verfchmelzen verflicht hat. Neu ausgearbeitet ift auch
vom Verf. die Schlufserörterung über Anfelm's Theorie
(S. 46 f.), daher auch der Uebergang zu Abälard (S. 48
und die Vergleichung von Abälard und Bernhard in Bezug
auf die Methode der chriftlichen Andacht (S. 51—54),
wie denn überhaupt die Nachweife über die bernhardi-
nifche Theologie auf neuen Studien beruhen. Bei Abälard
blickt der Verf. noch einmal (S. 51) auf Athanafius
zurück. Da er S. 4—21 eine knappe, aber lehrreiche
Ueberflcht über die Erlöfungs- und Vollendungslehre
der griechifchen Theologen gegeben hat, bei welcher
man eine Ausführung über die Begriffe der Güte und
Gerechtigkeit Gottes in der alten Kirche allerdings ver-
mifst, fo fei es geflattet, an zwei Punkten auf Ergänzungen
aufmerkfam zu machen. Krftlich fcheint es mir.
als fei der Verf. in der Darftellung der Lehre des
Athanafius einer Seite derfelben nicht ganz gerecht
geworden (doch f. eine Andeutung S. 47 oben;. Wenn
ich recht fehe, fo hat man von dem 16. Cap. der Schrift
de incarn. auszugehen. ,Zwei Liebesdienfte erwies uns
der Erlöfcr durch die Menfchwerdung, dafs er den
j Tod aus uns entfernte und uns erneuerte, und dafs er,
I da er nicht wahrgenommen und gefehen werden konnte,
fich durch feine Werke offenbarte und zu erkennen gab,
! dafs er fei das Wort des Vaters, der Regent und Herrfcher
der Welt'. Diefe Formulirung erfcheint freilich
auf den erften Blick nicht als neu; vielmehr tritt uns in
derfelben, dem Anfcheine nach, nur das Nebeneinander
zweier Gedanken entgegen (aepttagaia und yvdäoiQ), welche
wir ebenfo ungenügend verbunden z. B. bei Irenäus (S. 7)
antreffen. Allein Athanafius bietet doch mehr. Er verwendet
die Thatfache der Menfchwerdung auch
für den Lehrerberuf Chrifti. Die älteren Väter, fo-
fern fie vonChriftus die volleErkenntnifs ableiten, kennen
ihn lediglich als den Logos, der die Lehre (das Gefetz)
gebracht und fich dabei in einen Leib gehüllt hat, um
überhaupt gefehen, refp. um trotz feiner göttlichen Lichtfülle
ertragen zu werden. Athanafius aber führt folgenden
Gedanken c. 14—16 (f. auch 43. 45. 54) aus: Da die