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Ausgabe:

1883 Nr. 3

Spalte:

67-68

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Justus Ludwig

Titel/Untertitel:

Erinnerungen an Dr. Aug. Neander 1883

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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67

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 3.

68

den Frage die Führerfchaft der Volksmaffen zu übernehmen
. Der Verf. prüft zuerft die landläufigen Einwendungen
gegen die Möglichkeit derartigen Vorgehens,
welche von der Feindfchaft des Socialismus gegen Religion
und Kirche hergenommen werden, und weift fie
als nicht ftichhaltig — weil nur die augenblicklich fich
am läuterten vordrängende Form der focialen Bewegung
berückfichtigend — ab. Dann aber weift er hin auf den
Mangel an Einficht an die volkswirthfchaftlichen Fragen,
den Mangel an chriftlicher Liebe in den Reihen des
dominirenden Klerus, der aus dem auf Herrfchaft gerichteten
Syfteme der katholifchen Kirche nothwendig
hervorgehe, und ftellt als conditio sine qua non hin,
dafs ein grundfätzlicher VVechfel im Leben, Syftem und
Verhalten der Kirche, eine Verlegung ihres Schwerpunktes
von Aufsen nach Innen eintreten müffe, wenn es der-
felben möglich werden folle, die obige Führerfchaft zu
übernehmen. So lautet denn der Schlufs: Nichts wird
gefchehen, wenigftens nicht in Italien — wenn nicht der
niedere Klerus, im Bunde mit den leider jetzt fo indifferenten
Laien, fich endlich aufrafft, das Joch des Papft-
thums abfchüttelt und das Panier des Evangeliums aufpflanzt
. Was den Klerus in Deutfchland angeht, fo
beurtheilt der Verf. ihn und feine Beftrebungen ganz anders
, erkennt aber mit Recht in der höheren intellectuellen
und fittlichen Bildung desfelben eine Frucht nicht des
katholifchen Syftems, fondern der Rückwirkung des
Proteftantismus auf den Katholicismus, dem diefer fich
nicht zu entziehen vermöge.

Bonn. Benrath.

Jacobi, Prof. Dr. J. L., Erinnerungen an Dr. Aug. Neander.

Halle 1882, Strien. (IV, 102 S. gr. 8.) M. 1. 75.

Den Ifrinnerungen an den Baron Ernft v. Kottwitz
läfst hier der hochgefchätzte Verfaffer derfelben, Profeffor
Dr. Jacobi in Halle, Erinnerungen an Dr. Auguft
Neander folgen. ,Mehr als ein Menfchenalter' fchreibt
der Herausgeber zu Anfang des Vorworts, ,ift vergangen,
feit Auguft Neander ftarb. Die Dankbarkeit, welche ich
nicht nur mit vielen, fondern auch vor vielen ihm fchulde,
treibt mich, fein fchwindendes Andenken neu zu be-
feftigen, indem ich fein Bild zu zeichnen verfuche, wie
ich es in fünfzehnjährigem Zufammenleben aufgefafst und
in treuer Erinnerung bewahrt habe'. Die Zeichnung
diefes Bildes ift vollendet fchön. Liebevolle Auffaffung,
feine Linienführung, warmes Colorit, richtige Vertheilung
von Licht und Schatten vereinigen fich in reinfter Harmonie
und erwecken in dem Befchauer das Gefühl wahrer
Befriedigung. So, fagt man fich, hat Auguft Neander
gelebt, fo mit feinen Schülern, die ihm zeitlebens eine
wahrhaft rührende Dankbarkeit bewahrt haben, verkehrt,
fo hat er gelehrt und gefchrieben, fo bis in den Tod
fich bewährt als ein rechter Ifraeliter, in welchem kein
Falfch war (Job. 1, 47).

Die Quinteffenz der reizenden kleinen Biographie
dürfte wohl in folgenden Worten, die fich auf S. 56
finden, enthalten fein: ,Es giebt Geifter, welche mit be-
fonders feinen Organen ausgeftattet find für die Kundgebungen
Gottes in irdifchen Dingen. Sie laufchen dem
lcifen Pulsfchlag göttlichen Lebens in der irdifchen Welt,
und fortwährend hinüberfpähend über die Schranken des
Natürlichen in die göttliche Wunderwelt, fuchen fie ringsum
in der Gegenwart die Zeichen und Vorzeichen der
göttlichen Gedanken und Abheilten. Sie find prophe-
tifche Geifter, während andere mit nüchternem Blick die
Wechfelwirkungen der Menfchen auf einander verfolgen.
In Neander war von beiden etwas. Ruhig, kritifch betrachtete
er die Dinge weltlichen Inhaltes. Aber der
ahnende Zug feines Geiftes richtete fich auf göttliche
Urfachen und Zwecke'.

lune fehr hübfehe Zugabe ift das von dem früh
verftorbenen, hochbegabten Hermann Roffel ,Dem

geliebteften aller Lehrer' gewidmete Gedicht. Wir aber
wünfehen, dafs diefe Erinnerungen an einen Theologen,
in welchem, wie in feiner Perfon, fo in feiner Kirchen-
gefchichte, ,chriftliche Frömmigkeit und Wiffenfchaft'
(S. 91) fich in feltener Weife vereinigten, in feinen Schülern
das Andenken an .den geliebteften aller Lehrer' auf-
frifchen, in der jüngeren Generation zur Nacheiferung
ermuntern mögen!

Crefeld. F. R. Fay.

Win er, weil. Kirchenr. Prof. Dr. Geo. Bened., Comparative
Darstellung des Lehrbegriffs der verschiedenen christlichen
Kirchenparteien, nebft vollftändigen Belegen aus den
fymbolifchen Schriften derfelben. 4. Aufl., hrsg. und
ergänzt von Dr. Paul Ewald. Leipzig 1882, Hinrichs.
(VII, 260 S. mit 4 Tabellen, gr. 8.) M. 5. —; geb.
M. 6. 20.

Die comparative Darfteilung des Lehrbegriffs der
verfchiedenen chriftlichen Kirchenparteien Winer's ift
noch immer ein fchätzenswerthes Hülfismittel zum Studium
der Symbolik. Die Aufgabe, welcher diefer Dis-
ciplin geftellt ift, wird freilich nicht durch eine folche
vergleichende Zufammenftellung der loci aus den Symbolen
gelöft, ja fie wird geradezu verwirrt und verdeckt,
fobald man die Frage nach der Ausprägung des Chri-
ftenthums in den verfchiedenen Confeffionen auf diefem
Wege beantworten will. Allein andererfeits haben fich
die ftreitenden Kirchen felbft in den letzten Jahrhunderten
vornehmlich an ihrem ,Lehrbegriff' gemeffen, refp. fich
vom Proteftantismus diefe Art der Polemik dictiren laffen;
fomit hat eine comparative Darftellung der Loci der con-
feffionellen Syfteme wenigftens secundo loco ihre Berechtigung
. Das Winer'fchc Werk, welches (in der 3, Auflage,
das Mifsgefchick hatte, in die Hände von Preufs zu
gerathen, ift nun in 4. Auflage forgfältig durchgefehen,
in manchen Citaten verbeffert und durch literarhiftorifche
und fachliche Beigaben ergänzt worden. Der Herausgeber
hat fich gehütet, den Charakter des Werkes irgendwie zu verändern
, und wohl nur diefe Scheu kann es entfchuldigen,
dafs wir von manchen wichtigen Dingen, z. B. von den
fogen. ökumenifchen Symbolen, ihrem Urfprung, ihrem
Anfehen u. f. w. noch immer nichts erfahren. Ueber die
Auswahl aus der umfangreichen neueren Literatur wird
Niemand mit dem Herausgeber rechten wollen. Indeffen
hätten doch z. B. die Kattenbufch'fchen Studien zur
Symbolik und die Gegenbemerkungen von Gafs berück-
fichtigt werden müffen.

Der Druck ift, und das ift bei einem Werke diefer
Art befonders werthvoll, fehr correct. Das neue Format
darf als ein glücklich gewähltes bezeichnet werden.

Giefsen. Adolf Harnack.

Cronemeyer, Paft. Eberh., Predigten über die zehn Gebote.

Bremerhaven 1881, v. Vangerow. (XV, 277 S. gr. 8.)
M. 3. 60.

Es giebt Abfchnitte der Heiligen Schrift, deren ho-
miletifche Behandlung ftets wieder ein gewiffes Intereffe
erweckt, fodafs man jede neue Predigtfammlung, die
gerade einen diefer Abfchnitte fleh zum Vorwurf nimmt,
fleh gern näher anfleht. Referent rechnet dahin die Selig-
preifungen, das Gebet des Herrn, die Gleichnifsc, die
Leidensgefchichte und nicht am wenigften auch den
Dekalog. Man lieft mit Vorliebe Predigten darüber,
namentlich, wenn fie nicht allerlei gelehrte Notizen über
das mofaifche Gefetz der Gemeinde zum Berten geben,
fondern recht aus dem Leben gefchöpft find.

Diefer Anforderung entfprtchen die vorliegenden
Kanzelreden über die zehn Gebote vollftändig. Es ift
nicht hausbackene Moral, was hier dem Lefer dargeboten
wird, fondern eine ernfte, von chriftlichem Geifte durch-