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Ausgabe:

1883 Nr. 3

Spalte:

66-67

Autor/Hrsg.:

Mariano, Raffaele

Titel/Untertitel:

Das jetzige Papstthum und der Socialismus 1883

Rezensent:

Benrath, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 3.

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Eckhart (letztes Stadium nach Fr.) wohl zugeben. Die j
von Pr. I, 302 angeführte Stelle aus dem Tractat von
der wirk. u. m. V. mit ihrer ausdrücklichen Berufung
auf Averroes ift für die Frage fehr inftructiv. Erwünfcht
wäre gewefen, wenn Pr. in diefem Abfchnitt auch darauf
eingegangen wäre, wie in der Lehre vom Grund oder
Funken der Seele mit der allgemein myftifchen An-
fchauung und mit der ariftotelifch-averroiltifchen Lehre
vom inteüectus agcns auch die Vorftellungen der Schola- I
ftiker und älteren Myftiker von derSyndcrcsis fich kreuzen
und verbinden. Es beftärkt mich in dem Zweifel an
der Durchführbarkeit jener Unterfcheidung in der Lehre
vom Seelengrunde, dafs in dem Abfchnitt: von der
Geburt des ewigen Worts in der Seele (S. 235 fr.), wo
Pr. ebenfalls darauf ausgeht, die wefentliche Differenz
der Myftiker von Thomas nachzuweifen, in dem über die
Myftiker der Eckhart'fchen Schule Gefagten jene vorausgefetzte
Unterfcheidung in keiner Weife lieh geltend
macht, was man doch erwarten müfste.

Auf ein bei manchen Berührungen doch wefentlich
anderes Gebiet verfetzt uns der Abfchnitt über das my-
(tifche Leben in der erften Hälfte des 14. Jahrhunderts,
jene Erfcheinungen in den Frauenklöftern, befonders der
Dominikanerinnen, in denen fich die im erften Bande
gefchilderten Erfcheinungen des 13. Jahrhunderts (Mech-
tild und Gertrud u. v. a.) fortfetzen und fteigern. Der
Verf. weift hin auf den allgemein mönchifchen Grundzug
einer asketifchen Naturverleugnung, auf das krankhaft
gesteigerte Empfindungsleben, dem Vifionen und Offenbarungen
zu gewöhnlichen Erfcheinungen werden. Wenn
fich damit auch wohl ein Streben nach tieferer Erkennt-
nifs verbindet, fo follte doch der Verf. ftärker betonen
als er es thut, dafs das myltifche Element im Sinne der
fpeculativen Myftik hier doch nur ganz gelegentlich
als Stützpunkt hervortritt, und nur bei Einzelnen, wie
bei Sufo's Freundin, der Stagel, eine gröfsere Rolle
fpielt, der Schwerpunkt aber vielmehr in jenem durch
hochgetriebene Askefe, Gebetsübung und Sacraments-
genufs gefteigerten religiös-finnlichen Empfindungsleben
voll krankhafter Reizbarkeit und ausfehweifender Phan-
tafie liegt, für welches das vom Verf. hervorgehobene
Schwelgen in den Leiden Chrifti, der Minneverkehr mit
Jefu, das fich Ueberbieten in Gnadenerfahrungen die
charakteriftifchenVorgänge find; trotz mancher geiftigen j
Blüthe voll religiöfen Duftes und ftarken Zügen (Etlicher j
Selbftverleugnung doch im Ganzen eine ftark patholo-
gifche Erfcheinung, in welcher gerade die weibliche
Natur ihren Tribut fordert, wie dies am ftärkften die
Offenbarungen der Margaretha Ebner zeigen, welche uns
in eine Frömmigkeit voll fchwärmerifchcr Liebesfehn-
fucht und Liebcsforge um die Seelen, aber auch in ein
völlig zerrüttetes Nervenleben mit den fehwerften Krank-
heitserfcheinungen, Krämpfen, Wechfel von höchfter Erregung
und furchtbarster Erfchüpfung hineinblicken laffen
vgl. den Minnegriff S. 282). Pr. hat im Anfchlufs an
feine frühere Arbeit (Vorarbeiten etc. in d. Zeitfchr.
f. hift. Theol. 1869, 79 ff0 das Leben der Margaretha
Ebner, ihr Vcrhältnifs zu ihrem geiftlichen Freunde
Heinrich von Nördiingen, der aus ihrem geiftlichen Führer
ihr Bewunderer und devoter Verehrer geworden, und ihre
.Offenbarungen' gut fkizzirt, obwohl ihm das oben an
zweiter Stelle genannte Buch von Strauch noch nicht zu
Gebote ftand.

Im zweiten Buch (Heinrich Sufo) erneuert, ver-
theidigt und vervollständigt Pr. zunächft feine früheren
Unterfuchungen über die Schriften Sufo's, die vita in
ihrer doppelten Recenfion, das liorologium aeternae sa-
pwntiac, eine Umarbeitung und Erweiterung des Büchleins
der ewigen Weisheit, diefcs und das Buch der Wahrheit,
endlich das Briefbuch in feinen verfchiedenen Gestalten.
Ref. kann fich in diefen literarifchen Fragen ein Urtheil
nicht anmafsen, doch fcheint ihm Pr. feine früheren Aufhellungen
gegen Denifie mit Glück zu vertheidigen. Eine I

anziehende Darstellung des Lebens Sufo's und feiner
Lehre nach den einzelnen Schriften, bei welcher wiederum
das Hauptabfehen Pr.'s darauf gerichtet ift, die Gedanken
Eckhart'fcher Speculation in ihrem Unterfchied von der
Schultheologie bei Sufo aufzuweifen, fchliefst den inhaltreichen
Band, dem eine Reihe von bisher ungedruckten
myftifchen Stücken beigegeben ift.

2. Die stattliche, mufterhaft forgfältige Publication
von Strauch giebt uns zum ersten Male im Druck die
Offenbarungen der Margaretha Ebner, Nonne im
Dominikanerinnenkloster Medingen (f 135 i)t nach der
ältesten Handfchrift, der Medinger von 1353, die alfo
zwar nicht Original, aber der Entstehungszeit fehr nahestehend
ift; daneben find benutzt die Handfchrift des
britifchen Mufeums, welche aus der Sammlung des
Bibliophilen Klotz in Frankfurt a/M. 1827 dahin gekommen
ift, und eine Papierhandfchrift der fürftl. Waller-
ftein'fchen Bibliothek zu Mayhingen von jungem Datum,
aber nach Strauch's Urtheil auf diefelbe Grundlage mit
der Medinger zurückgehend. In der Londoner Handfchrift,
auf welche Waitz im Neuen Archiv (IV, 349) hingewiefen
hat, ift denn auch die verloren geglaubte Quelle wieder
zu Tage getreten, aus welcher Heu mann in feinen
opicscula Norimb. 1747 S. 331 ff. 32 Briefe Heinrich's von
Nördiingen und einiger anderer an Margaretha Ebner
edirt, und Docen einige weitere Auszüge gemacht hatte,
auf welches Material Preger wie in den Vorarbeiten fo
im 2. Bde. der Myftik befchränkt war. Strauch giebt
nun die ganze, 68 Briefe umfaffende Correfpondenz und
zwar mit dem durchgeführten Verfuch der Zeitordnung,
gefördert, wie er anerkennt, durch Preger's Zeitbeftimm-
ungen eines Theils der Briefe, die er gröfstentheils als
richtig anerkennt, während er über die einfchlagenden
Bemühungen Jundt's [Les amis de Dien etc. p. 38 ff.) ab-
gefehen von der Bestimmung eines Briefes ungünstig
urtheilt. — Die Offenbarungen der Margaretha fowohl
als die höchst intereffanten Briefe hat Strauch mit reichen
und werthvollen gefchichtlich und fachlich erläuternden
Anmerkungen verfehen. Vorangefchickt aber ift aufser
der erforderlichen Rechenfchaft über die Ueberlieferung
ein Abfchnitt über Margaretha und Heinrich von Nördiingen
, welcher in trefflicher Zufammenfaffung Leben und
Charakter beider fo innig verbundener Pcrfonen aus dem
Inhalt der breiten, wiederholungsreichen und doch fo
viel eigenthümliche Züge bietenden Offenbarungen und
der Briefe vorführt, und fo die entfprechenden Abfchnittc
bei Preger, unabhängig von ihnen, theils bestätigt, theils
ergänzt und wie begreiflich auch in manchen Punkten
berichtigt. So geftalten fich einige Data in der Gefchichte
des Verkehrs Heinrich's mit Margaretha anders, und auch
Strauch tritt wohl mit Recht dafür ein, dafs der Freund des
Herrn und Margarethens, der nach Ludwig des Baiern Tode
mit grofsem Ernft von ihr begehrte, fie folle für ihn beten,
nicht Tauler (Pr. II, 241 f.), fondern Heinrich von Nördiingen
fei. Ein Abfchnitt über die Sprache und am
Schlufs ein Register erhöhen den Werth diefer Veröffentlichung
, welche fich an die frühere inhaltlich verwandte
desfelben Verf.'s, die Offenbarungen der Adelheid
Langmann 1878, würdig anfchliefst.

Kiel. Möller.

Mariano, Raffaele, Das jetzige Papstthum und der Socia-
lismus. Berlin 1882, Wilhelmi. (VI, 40 S. gr. 8.)
M. 1. —

Zur Orientirung in der Frage, ob — wie das Manche
bejahen und wie es thatfächlich in einigen Gegenden
Deutfchlands vom katholifchen Klerus in Angriff genommen
ift — Katholicismus und Papstthum im Stande
fein würden, fich an die Spitze der focialen Bewegung
zu stellen, die .Enterbten' um fich zu verfammeln und
fo noch einmal in der Gegenwart in einer allbewegen-