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Ausgabe:

1883 Nr. 3

Spalte:

52-56

Titel/Untertitel:

Baedae historia ecclesiastica gentis Anglorum, edidit Alfr. Holder 1883

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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51 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 3. 52

Stellen darauf aufmerkfam, dafs wir nicht mehr die ur-
fprüngliche Geftalt der Legenden befitzen, fondern nur
katholifche Ueberarbeitungen. Er räumt weiter in Bezug
auf die betreffenden Stücke in der Regel ein , dafs die
Scheidung zwifchen Original und Bearbeitung (dies gilt
für die Thomas-, Johannes- und Andreasacten) im Einzelnen
nicht mehr ftreng durchführbar fei, aber er glaubt
dann doch häufig einen fehr beträchtlichen Stoff für die Originale
noch retten zu können, indem er, wenn ich recht
fehe, von der Vorausfetzung ausgeht, dafs die katho-
lifchen Bearbeitungen verhältnifsmäfsig feiten in Hinzufügung
neuer Stücke beftanden haben, und dafs fchroff-
asketifche Reden und Tendenzen der älteften gnoftifchen

kritifchen Unterfuchungen über ,Leucius und die Kirchenväter
' — ich verweife namentlich auf die Kritik des
Epiphanius- und Pacian-Zeugnifses S. 92 f. — werden an
den entfcheidenden Punkten eine Kritik nicht zu fürchten
brauchen, und die Ergebnifse der mühfamen und beharrlichen
Forfchungen über den angeblichen Abdias und
die lateinifche Paffionenfammlung fcheinen mir ab-
fchliefsende zu fein. Leider ift diefer ,Abdias' ein recht
unerfreulicher Gefeile.

Der Raum diefer Zeitung verbietet mir, auf Einzelnes
einzugehen. Doch foll nicht ungefagt bleiben, dafs
mehrere unzweifelhaft gnoftifche Stücke des 2. Jahrhunderts
in diefem Werke zum erften Mal gründlich erklärt

Geftalt angehören müffen. Mir ift es wahrfcheinlich, dafs l find. Für einige derfelben nur lagen dem Verf. an Thilo's

der Verf. in Anwendung diefer Kanones nicht feiten zu
weit gegangen ift. Die 14 Stücke z. B., die er für die
alten gnoftifchen Johannesacten S. 454—507 über die
drei unzweifelhaft echten Fragmente hinaus retten will,
werden fich manches Fragezeichen gefallen laffen müffen.
Es ift nicht nur die Zerftörung des ephefinifchen Artemistempels
, die als Beftandtheil des urfprünglichen Buches
die gröfsten Bedenken erregt (fo fchon Zahn p. CXIV;
die Berufung von Lipfius auf Chryfoftomus [S. 430] trifft
nicht ganz zu, da, nachdem einmal der Tempel zerftört
war, die Legendenbildung einen viel gröfseren Spielraum
hatte als früher), fondern mit ihr der gröfste Theil jener
Stücke nach Form, Inhalt und gefchichtlicher Bezeugung.

Unterfuchungen Vorarbeiten vor. Unter anderem Wichtigen
, auf welches der Verf. bei feinen Erklärungen aufmerkfam
gemacht hat, hebe ich die heiligen Tänze hervor
, von denen wir hier Kunde erhalten. Schon Thilo
hat an die Therapeuten erinnert; in Bezug auf diefc
Tänze vergl. Weingarten, ,Mönchthum' (RE2 X. Band
S. 762). Mit grofser Spannung werden die Fachgenoffen
dem 2. Bande diefes Werkes entgegenfehen, welcher die
Petrus- und Paulus-Acten bringen foll. Ref. erlaubt fich
die Bitte, der Verf. möge in diefem 2. Bande auch die
römifchc Legende von dem Urfprung des apoftolifchen
Symbols auf ihre Entftehung und Verbreitung unterfuchen.
Sie gehörte eigentlich fchon in den 2. Abfchnitt diefes

Gerade die neue, umfaffende Unterfuchung von Lipfius Bandes (,die Legende von der Apofteltheilung'), wo fie
hat mich belehrt, dafs Overbeck (a. a. O.) Recht hatte, ! der Verf. auch berührt, aber eben nur berührt hat (S. 15).
wenn er Bedenken trug, über die drei erften Zahn'fchen j Das Intereffe, welches fich an diefelbe knüpft, ift ein beFragmente
hinaus etwas weiteres als leucianifch anzu- deutendes; denn diefe Legende allein aus der Zahl der

erkennen. Lipfius hat das ganze Gewicht diefer Bedenken
wohl gefühlt und häufig kommt er factifch, auch'in feinen
Vindicien, auf ein negatives Refultat hinaus — denn die
blofse Conftatirung, dafs etwas Aehnliches in den gnoftifchen
Acten geftanden hat wie das, was wir jetzt in den
katholifchen lefen, ift doch wohl ein folches —, aber ebenfo
oft hilft ihm fein zweiter Kanon, fchroff-Asketifches fei
ein Indicium des Originals, doch weiter. Nun giebt es
allerdings viele, fehr viele Stücke in den katholifchen

gleichartigen, welche der Verf. in fo ausführlicher Weife
unterfucht und dargeftellt hat, ift zu öffentlicher, kirchlicher
Anerkennung gekommen und hat in der Kirchenpolitik
eine Rolle gefpielt. Sollte fie in Rom nicht uralt
fein? fetzt nicht vielleicht fchon Irenaus an der berühmten
Stelle im 3. Buch und ebenfo Tertullian irgend
eine Form derfelben voraus 5 Gründet fich nicht der An-
fpruch, den die römifche Kirche feit Alters erhoben, die
authentifchen Grundlagen der fti« ZYxhnova naD-olixii von

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Recenfionen, die gnoftifch gedeutet werden können; ; erfter Hand zu befitzen, auch auf jene Legende? Wird
aber wir wiffen andererfeits, welch' ein handfefter Dua- ' nicht die Anmafsung des Victor dann erft verftändlich,

lismus ,dem gemeinen groben Mann' im 4.—8. Jahrhundert
erträglich und erbaulich war, und wir fehen zugleich,
dafs die unzweifelhaft gnoftifchen Stücke der Acten (die
Hymnen in den Thomas- u. Johannesacten) das Gepräge

wenn man fie mit der Behauptung des Irenaus in Bezug
auf die römifche Kirche vergleicht und die Hypothefe
zu Hülfe nimmt, dafs Rom zugeftandenermafsen ein
Symbol mit befonderen Attributen damals fchon be-

der Härefie unverkennbar deutlichan der Stirne tragen. | feffen hat? Wenn man mit de Lagarde, Hilgenfeld
Bei diefem Thatbeftande ift es precär, dort auf Gnofti- i und dem Verf. die Schrift ,Duae viae vcl iudiciuth Petri'
cismus zu erkennen, wo der Befund nicht jedes Bedenken J für vorclementinifch hält — Ref. hat ftarke Bedenken
ausfchliefst. Allerdings führt den Verf. die Quellenkritik, j gegenüber diefer Datirung — fo wird man die oben ge-
die auf einer erfchöpfenden Benutzung des Materiales j Hellten Fragen nicht von vornherein verneinen können,
ruht, nicht feiten fo hoch hinauf, dafs der Ucbergang Jedenfalls bedarf die Legende noch einer Unterfuchung,
zur älteften Quelle berechtigt erfcheint. Aber hier liegt wenn diefe auch vielleicht zu keinem neuen Ergebnifse
nun fall immer ,der breite, häfsliche Graben', welcher j führen wird. — Dem Verf. fagen wir für dies werthvolle
die katholifchen Legenden von den gnoftifchen trennt, j Werk, durch welches er einen bisher feiten bearbeiteten
Wir wiffen genug, um die Exiftenz der letzteren und ! Stoff belebt und der altchriftlichen Literaturgefchichte
ihre Abweichung von dem uns erhaltenen Stoff conftatiren ; zugeführt hat, den bellen Dank.

zu können, aber wir wiffen nicht, wie fie componirt waren, ] G-iefs A II n ick

wann fie in die Kirche herübergekommen find und welche
Veränderungen fie urfprünglich erlitten haben. Wäre es
möglich, überall die urfprüngliche katholifche Geftalt
der Legenden nach Form, Inhalt und Umfang feft-
zullellen, fo wäre fchon viel gewonnen; aber wenn es
möglich gewefen wäre, fo hätte der Verf. dies unzweifelhaft
geleiftet. Die Stoffe haben eben aller Wahrfchein-
lichkeit nach nie oder nur feiten einen katholifchen Archetypus
befeffen, fondern find in den verfchiedenen
Kirchen zu verfchiedener Zeit und in verfchiedenem Umfang
reeipirt worden. Wie vieles fich durch eine Ver-
gleichung der Recenfionen, die fich gegenfeitig corrigiren,
immerhin doch erweifen läfst, das hat der Verf. in glän-

Baedae historia ecclesiastica gentis Anglorum, edidit Alfr.
Holder. (Germanifcher Bücherfchatz, 7. Bd.) Freiburg
i. Br. 1882, Mohr. (314 S. 8.) M. 4. 50.

Für eine billige Handausgabe der Kirchengefchichte
Beda's wird man dem Herausgeber und Verleger dankbar
fein müffen, auch wenn in der Billigkeit und Handlichkeit
das Hauptverdienft der Ausgabe liegt, denn feit fall
200 Jahren ift die historia ecclesiastica gentis Anglorum
in Deutfchland nicht gedruckt worden.

Ueber die vorliegende Ausgabe fagt der Heraus-
zender Weife an den Thomasacten gezeigt, mag man j geber in dem Nachwort S. 311: ,Dife Ausgabe bietet

nun feinem Schlufsurtheil zuftimmen oder nicht. Seine | im Allgemeinen den Text der mafsgebenden, zugleich