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Ausgabe:

1883

Spalte:

49-52

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Richard A.

Titel/Untertitel:

Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden 1883

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 3. 10. Februar 1883. 8. Jahrgang.

Strauch, Margaretha Ebner und Heinrich von
Nördlingen (Möller).

Lipfius, Die apokryphen Apoftelgefchichten

und Apoftellegenden (A. Harnack).
Baedae historia ecclesiastica gentis Anglorum, ed.

Holder (Loofs).
Neuere Unterfuchungen zur Gefchichte der Inqui-

fition. 3. Artikel. Schlufs (K. Müller).
Preger, Gefchichte der deutfchen Myftik im j der verfchiedenen chriftlichenKirchenparteien, ; Berichtigung,

Mittelalter. 2. Theil. Heinrich Sufo (Möller). 4. Aufl. hrsg. von Ewald (A. Harnack). I Mittheilung.

Cronemeyer, Predigten über die zehn Gebote
(Fay).

Mariano das jetzige Papftthum und der Socia- Uefs D;e Qrd des fonntäglichen Haupt-

hsmus (Benrath). gottesdienftes im Herzogthum Sachfen-Gotha
Jacobi, Erinnerungen an Dr. Aug. Neander(ray). 1K r 1
Winer, Comparative Darfteilung des Lehrbegriffs I

Lipsius. Richard Adelbert, Die apokryphen Apostelgeschichten
und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchrift-
lichen Literaturgefchichte. 1. Bd. Braunfchweig,
Schwetfchke & Sohn. 1883. (IV, 633 S. gr. 8.)
M. 15. —

Die apokryphen Apoftelgefchichten — eine Arbeit,
umfaffend und fchwierig, gewinnreich, aber noch reicher
an Enttäuschungen, intereffant und zugleich abfchreckend
durch die Fülle unerquicklichften Materials. Der muthige
Forfcher, der Tie unternahm, wufste, was feiner wartete;
aber im Laufe der Arbeit mag es ihm ergangen fein,
wie jetzt feinen Lefern, die über den ungeheueren Wuft
ftaunen, den es zu bewältigen galt. Der Verf. hat Recht,
wenn er in der Vorrede fagt, dafs der Verfuch einer
zufammenfaffenden Darftellung einmal gemacht werden
mufste. Schon das war eine bedeutende Arbeit, den ver-
ftreuten Stoff, foweit er gedruckt war, zu fammeln und
zu ordnen, und hätte der Verf. nicht mehr geleiftet als
dies, fo hätte er fich bereits ein bleibendes Verdienft erworben
. Aber er war in der Lage, namentlich auf Grund
der handfchriftlichen Forfchungen Max Bonnet's, die
ihm im Manufcripte und in den Correcturbogen zur Verfügung
Banden, das Material aufserordentlich zu vermehren
, und er hat fich nicht mit dem Gefchäft des
Handfchriftenkritikers begnügt, fondern hat verfucht,
überall bis auf die letzten Quellen zurückzugehen und
diefe literar- und dogmenhiftorifch in das ihnen gebührende
Licht zu ftellen. Für einen nicht unbedeutenden Theil
diefer Unterfuchungen hatte er an Thilo's und Zahn's
Forfchungen (,Acta Joannis1 1880; dazu Overbeck in
diefer Zeitung 1881 Nr. 2) fehr gründliche Vorarbeiten.
Namentlich Zahn gebührt das Verdienft, die Johanneslegenden
in einem Umfange und mit einer Gelehrfamkeit
unterfucht zu haben, die feinen Nachfolgern das Gefchäft
der Kritik zu einem verhältnifsmäfsig leichten gemacht
und die Nachlefe auf wenige Stücke reducirt hat. Was
uns Lipfius in diefem erften Bande bietet, ift in Kürze
folgendes: Nach einer Einleitung (S. i—11), in welcher
die apokryphen Acta nach ihrer Verfchiedenheit cha-
rakterifirt werden, folgt eine fehr gründliche Unterfuchung
über die Legende von der Apofteltheilung (S. 11—34),
woran fich eine Ueberficht über die ganze einfchlagende
Literatur (S. 34—43) fchliefst. Das erfte Buch (S. 44—224)
enthält in drei Capiteln die Quellenfchau, und zwar 1)
Leucius Charinus und die gnoftifchen Apoftelgefchichten,
2) der angebliche Abdias und die lateinifche Paffionen-
fammlung, 3) die anderweitigen Quellen (und zwar die
griechifchen, lateinifchen, orientalifchen, armenifchen,
koptifchen u. f. w.). Von dem zweiten Buche, welches
die Acten der einzelnen Apoftel bringt, liegt in diefem

(S. 225—347), Johannes (S. 348—542) und Andreas (S.
543—622) umfaffend. Der Verf. hatte urfprünglich die
Abficht, die Acten des Petrus und Paulus in diefen Band
mitaufzunehmen. Er deutet an, dafs er wider feinen
Willen an der Ausführung diefer Abficht gehindert worden
ift. Indeffen fcheint Ref. der Nachtheil dadurch aufgewogen
, dafs der Verf. in feinem 2. Bande in der Lage
fein wird, durchweg auf gedruckte Stücke die Lefer
verweifen zu können. Ich geltehe, dafs mir die unvermeidlichen
Verweifungen auf Handfchriften, refp. auf
das noch nicht erfchienene Supplemcntum codicis apo-
cryphi von Bonn et das Studium des erften Bandes
häufig fehr erfchwert haben.

Die Hauptrefultate des Verf.'s raffen fich in Kürze
wie folgt zufammenfaffen: 1) Die apokryphen Apoftelgefchichten
in ihrer originalen Geftalt flammen aus der
zweiten Hälfte des 2., refp. zum gröfseren Theile aus
der erften Hälfte des 3. Jahrhunderts, 2) fie find gnoftifchen
Urfprungs d. h. fie find 'aufserhalb der grofsen Kirche
entftanden, 3) erft feit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts
refp. feit dem Schluffe desfelben ift ihre Benutzung
innerhalb der katholifchen Kirche — wenige
Ausnahmen abgerechnet — direct nachweisbar; die Benutzung
war aber immer zugleich mit Umarbeitungen
d. h. Verkürzungen, Erweiterungen, Trennungen der ver-
fchiedenften Art verbunden; die Umarbeitung bezog
fich in erfter Linie auf die Redeftücke, während die eigentliche
Gefchichtserzählung nur die nothwendigften Cor-
recturen erlitt und auch feltener durch neue Stücke bereichert
worden ift, 4) eine wirkliche Gefchichte der Verbreitung
und Veränderung der Legenden in der Kirche
läfst fich eigentlich nur auf Grund der uns handfchrift-
lich vorliegenden Recenfionen fchreiben; denn die Kirchenväter
haben im Ganzen nur feiten von diefen Legenden
ausgiebigen Gebrauch gemacht, und die fie begleitende
Tradition ift darum eine fehr unbedeutende.
Die Einbürgerung der Legenden in der Kirche ift mithin
gefchichtlich ebenfo dunkel wie ihre älteften katholifchen
Umformungen und ihre urfprüngliche Geftalt es
ift. Nur in Bezug auf wenige Stücke ift man in der glücklichen
Lage eine Gefchichte zu fchreiben, die von ca. 200
bis in's Mittelalter verfolgt werden kann; in den meiften
Fällen führt nur die Conjectur über den Anfang des S.Jahrhunderts
hinauf.

Man wird der weitverzweigten Literatur, deren Kennt-
nifs unfer gefchichtliches Bild der Kirche (4. bis 8. Jahrhundert
) ungemein bereichert, in der That für die ältere
Zeit fchwerlich mehr abgewinnen können, als der Verf.
ihr in gründlichfter Unterfuchung abgewonnen hat. Ja
es fragt fich, ob künftige Forfchungen nicht noch weitere
Abzüge zur Folge haben werden. Zahn's Kritik gegen-

erften Bande die erfte Hälfte vor, die Acten des Thomas 1 über macht Lipfius, wie wir glauben mit Recht, an vielen
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