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Ausgabe:

1883 Nr. 26

Spalte:

620-621

Autor/Hrsg.:

Windel, C.

Titel/Untertitel:

Beiträge aus der Seelsorge für die Seelsorge 1883

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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6g Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 26. 620

oder gebraucht er allgemeinere Ausdrücke. Hus adop-
tirt ein und das andere Mal fogar Maximen, die Wiclif
ganz perfönlich ausfpricht, f. S. 225 f. Hierbei ift indefs,
um das Verfahren des Mag. Hus billig zu beurtheilen,
nicht zu überfehen, wie fehr in der fcholaftifchen Zeit
Benützigung des Einen durch den Andern gebräuchlich
war, ein Umftand, welchen Prantl in feiner Gefch.
der Logik vielfach conflatirt hat. So einleuchtend die
Abhängigkeit der Schriften von Hus, verglichen mit
Wiclif, aus den beigebrachten Belegftellen hervorgeht, fo
möchte man doch eine mehr principielle Beantwortung
der Frage wünfchen über das Verhältnifs zwifchen Hus
und Wiclif. Denn was Loferth theils S. 161 ff., theils
Cap. 10 S. 24S derartiges beibringt, genügt doch nicht
völlig.

Die Beilagen bringen vieles Intereffante aus Hand-
fchriften zum erftenmal zu unferer Kenntnifs, z. B. Nr. 2
Einiges aus Vifitationsnotizen der Prager Diöcefe vom
Jahr 1379, was einen Blick eröffnet in die Unfitten der
damaligen Pfarrgeiftlichkeit; ferner polemifche Stücke,
wie die Missa Wiklcfistarum Nr. 12, in welcher das Credo
lautet: Credo in Wycleph ducem inferni patronum Bo 'cmie,
et in Hus filiurn ejus unicum etc. Das werthvollfte ift
aber in Beilage 6 S. 270—290 enthalten: die Vorträge,
welche Ende Juli und Anfang Auguft 1410 von mehreren
FVeunden Hufens an der Univerfität öffentlich gehalten
wurden, indem jeder eine Schrift von Wiclif vertheidigte.
Die Palme verdient unter den Sprechern Simon von
Tifsnow mit dem köftlichen Humor und der beifsenden
Ironie gegen den Erzbifchof Sbinco, der die Bücher
Wiclif's hatte verbrennen laffen, S. 271 ff. vgl. iiöff.

Die Literaturkenntnifs des Verf.'s auf dem Felde,
das er bearbeitet, ift fo umfaffend, dafs ihm kaum etwas
Erhebliches entgangen fein dürfte. Was den Ausdruck
betrifft, fo erfcheint uns der Verfuch, den er wagt, nicht
glücklich, den Namen 'die Wiclifie' für Wiclifismüs, welchen
allerdings manche Zeitgenoffen von Hus felbft gebrauchen
, in die Gefchichtfchreibung einzuführen. Ge-
wiffe Conftructionen, wie ,eifern vom Antichrift' (S. 51);
,der Umftand, als' (60. 94 u. a.), ,dafs fich dem fo verhalte
' (101) find uns aufgefallen. Vermuthlich hängen
diefe und ähnliche Dinge mit der öfterreichifchen Mundart
zufammen. Was die Correctheit des Druckes betrifft, fo
find einige Druckfehler am Schluffe notirt. Deffen ungeachtet
finden fich noch manche Fehler z. B. 102 zeugt
f. zeigt; 156. Anm. 6 nomino f. nomine; 230 in der Stelle
aus Trialogus: descriptivo f. descriptive.

Erwünfcht ift das Namen- und Sachregifter, welches
beigefügt worden.

Leipzig. Dr. G. Lechler.

Schlosser, Guftav, Die Revolution von 1848. Erinnerungen.
Gütersloh, Bertelsmann, 1883. (X, 212 S. 8.) M. 2. 40.

Ein Büchlein, das man nicht aus der Hand legen
wird, bis man es ganz gelefen. Der Verfaffer weifs fo
vortrefflich zu erzählen. und'hat fo viel Intereffantes zu
erzählen, dafs man ihm mit Spannung bis zum Ende
folgt. Die perfönlichen Erinnerungen bilden nur einen
Theil des Buches, aber nicht den fchlechteften, fondern
den werthvollften; in dem Eindruck, welchen die Ereig-
nifse der Revolution auf den jugendlichen Friedberger
Candidaten gemacht haben, fpiegelt fich die grofse Con-
verfion, die freilich bei Anderen erft nach Jahren gekommen
und bei Vielen ganz ausgeblieben ift.

Der Verf. ift nicht blind gegenüber den Jämmerlichkeiten
und der Mifere, gegen welche fich die Revolution
gerichtet hat; er bedauert die öde Reaction der fünfziger
Jahre und er hebt hervor, dafs die Krifis von 48
für Viele ein Segen geworden ift. Aber er charakterifirt
mit ernftem Humor, der oft zur bitterften Kritik wird,
die Phrafen und das Gebahren der gefeierten Volkshelden
oder läfst fie fich vielmehr felbft charakterifiren

in dem Widerftreit von Wort und That und in ihren
einft bewunderten Reden. Wem es vergönnt gewefen
ift, mit heffifchen Achtundvierzigern zu verkehren, dem
wird freilich nicht Weniges von dem bekannt fein, was
der Verf. mittheilt; aber es verdient zu allgemeinerer
Kenntnifs zu kommen, und manches war auch dem Ref.
neu, fo die Figur des Giefsener ,Kathologen' Keilmann,
der, eben noch Senior der Naffovia, fleh über Nacht in
die Maske Luther's kleidete, das Lutherwort von Worms
unter fein Lithogramm fetzen liefs, .Sprecher' der
Deutfehkatholiken wurde, in den Buchläden als neuefte
Gröfse aufgehängt wurde, höhere Beamte durch feine
vernünftigen Predigten enthufiasmirte, ,die Baalspfaffen
mit dem Meffer der Verachtung abzufchlachten' aufforderte
und — feinen Frieden mit Herrn von Ketteier fchlofs,
als weder der Eifer der Offenbacher Deutfehkatholiken
noch der Schreibmateriaiienladen ihn hinreichend zu ernähren
vermochten.

Der Verf. bekundet eine gründliche Abneigung gegen
den Liberalismus; doch unterfcheidet er die, welche er
Altliberale nennt, fehr beftimmt von dem grofsen Haufen
der Stürmer und weifs Manches zu ihren Gunften anzu-
j führen. Darin wird er Recht haben, dafs das Unver-
J mögen, den Werth der religiöfen Güter für das deutfehe
Volk zu fchätzen, der Hauptmangel gewefen ift, der den
I Liberalismus charakterifirt. Aber man hatte es nun
j von der anderen Seite höchft eilig, fich Hals über Kopf
I in Bekenntnifse zu ftürzen, die das alte, evangelifche
Bekenntnifs fein follten und die in Wahrheit doch auch
von Romantikern geformt waren. Und dazu: auch die
kirchliche Reaction erhielt bald ihre Keilmann's, ihre
Rabuliften und fpeculirte auf den Herrn Omnes. Das
braucht man freilich bei Erinnerungen aus dem J. 1848
nicht zu erwähnen; aber man foll auch nicht den An-
fchein erregen, als wäre damals und heute die Situation
eine einfache und die Entfcheidung dem deutfehen V olke
leicht gemacht.

Giefsen. A. Harnack.

Windel, Hofpred. Pfr. Dr. C., Beiträge aus der Seelsorge

für die Seelsorge. 5. Heft. Wiesbaden, Niedner 1882.
(70 S. 8.) M. 1. 20.

Der Gegenftand diefes Heftes ift der Werth der Erfahrung
im Bereich chriftlicher Seelenpflege. Es handelt
fleh gemäfs dem, dafs Erfahrung die beiden Momente
der Bewährung und des Taktes in fleh fchliefst, um die
im individuellen Fall zweckmäfsige d. h. taktvolle Ver-
werthung des Schatzes feelforgerifcher Erfahrungen, den
die Kirche erworben hat. Der Verfaffer überblickt die
Namen und Schriften der Männer, welche Winke für die
Seelenleitung gegeben haben, von den apoitolifchen
Vätern bis auf Martenfen. Dafs diefer Schatz fehr disparate
Beftandtheile hat, weil die Methoden der Seelenleitung
von den verfchiedenen Gefammtauffalfungen des
chriftlichen Heils und des chriftlichen Lebens, die in den
verfchiedenen Perioden geherrfcht haben, abhängig find,
kommt dem Verf. fo wenig zum Bewufstfein, dafs er,
der fich unverkennbar als eifriger Lutheraner kundgiebt,
dem die Privatbeichte die naturgemäfse Stätte der feel-
forgerlichen Thätigkeit und die Anleitung zum Abend-
mahlsgenufs ihre Hauptaufgabe ift, der ,geiftlichen Erfahrungslehre
' eines myftifchen Pietiften wie Gottfried
Arnold befonders rühmend gedenkt, als ob nicht Arnold's
Anfchauung vom chriftlichen Leben eine von der luther-
ifchen ganz verfchiedene wäre. Dafs der Verf. auf gründliches
hiftorifches Studium diefer Gefchichte der Seelenpflege
hingewiefen hat, mufs ihm gedankt werden. Eine
Befolgung diefes Hinweifes würde von der Anlehnung an
falfche oder einfeitige Mufter befreien und jedenfalls
zu concreteren Refultaten führen, als zu dem S. 42,
der lutherifchen Kirche habe es fleh bewährt, dafs die
Seelen Frieden finden in der Rechtfertigung aus Gnaden