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Ausgabe:

1883 Nr. 26

Spalte:

617-619

Autor/Hrsg.:

Loserth, Johann

Titel/Untertitel:

Hus und Wiclif. Zur Geschichte der husitischen Lehre 1883

Rezensent:

Lechler, Gotthard Victor

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617 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 26. 618

fränkifchen Kirche bisher fremd gewefenes, Be-
dürfnifs hingewiefen worden, und welches die Grundlage
zahlreicher fränkifcher Poenitentialien geworden ift, nach
wie vor feft. Von den 30 Capiteln desfelben find unzweifelhaft
15 in das angeblich römifche Bufsbuch des
Cod. Valicell. I übergegangen, nicht aber, wie der Verf.
(S. 593) behauptet, 13 derfelben römifchen Bufsbüchern
entnommen worden.

Im 5. Theile (S. 712—791) werden die fyftemati-
fchen Sammlungen v. 9—11. Jahrh. behandelt, im
6. Theile (S. 792—840) die Bufsbücher von Gratian
bis zum Tridentinum.

Giefsen. Wafferfchieben.

Loserth, Dr. Joh., Hus und Wiclif. Zur Gefchichte der hu-
fitifchen Lehre. Prag, Tempsky, 1884. [Leipzig, Freytag
.] (X, 314 S. gr. 8.) M. 5. -

In höchft erfreulicher Weife erfcheinen gegenwärtig
zahlreiche Schriften, welche theils Porfchungen, theils
Publicationen von bisher ungedruckten Urkunden und
Schriftftücken zur Gefchichte der hufitifchen Bewegung |
darbieten. Theils in tfchechifcher, theils in deutfcher
Sprache find diefe Schriften abgefafst. Die erfteren find |
zum Theil in's Deutfche überfetzt worden, z. B. Tomek's i
Verfuch einer Biographie von Johann Zi/.ka. Von den j
deutfchen Büchern feien nur beifpielsweife genannt die
.Quellen und Unterfuchungen zur Gefchichte der böhmi-
fchen Brüder' von Jaroslav Göll in Prag; die zweite
Lieferung diefer Publication, 1882 erfchienen, handelt von
Peter Cheleicky und feiner Lehre. Unter den Erfchei-
nungen diefer Gattung nimmt das oben genannte Buch
einen hervorragenden Platz ein. Der Verfaifer, früher
Gymnafiallehrer, derzeit ord. Prof. der Gefchichte an
der Univerfität zu Czernowitz, hat fich feit einem Jahr-
zehent mit Studien zur älteren böhmifchen Gefchichte
befchäftigt; insbefondere hat er in dem ,Archiv für öfter-
reichifche Gefchichte' verfchiedene bisher ungedruckte
Quellen zur Gefchichte der hufitifchen Bewegung erft-
mals veröffentlicht; feit 1875 ift kaum ein Jahrgang des
genannten ,Archivs' herausgekommen, der nicht eine
dankenswerthe Mittheilung von ihm aus Handfchriften
gebracht hätte. In obigem Buche betritt er mit feiner
Ünterfuchung den Mittelpunkt der Gefchichte des Hufi-
tismus, während er bis dahin fich mehr in den periphe-
rifchen Gebieten bewegt hat. Und es ift mit Freuden
zu begrüfsen, dafs wir von einer fo entlegenen und, wie
der Verf. andeutet, ifolirten Stätte aus ein tüchtiges Er-
zeugnifs deutfchen Geiftes und Fleifses erhalten.

Der Titel giebt zu erkennen, dafs es fich um das
Verhältnifs von Hus zu Wiclif handelt. Verf. geht darauf
aus, nachzuweifen, dafs Joh. Hus feine Lehre und fein j
theologifches Wiffen, fo weit er dasfelbe in feinen latei-
nifchen Tractaten an den Tag legt, faft durchweg Wiclif
verdanke, ja grofsentheils wörtlich den Schriften desfelben
entnommen habe. Diefen Beweis hat er unferes Erachtens 1
auf evidente Weife geführt. Das Werk zerfällt, nach !
einer Einleitung, in zwei Bücher, Die Einleitung S. I—24 '
weift nach, dafs die den Zeitgenoffen von Hus wohlbekannte
Abhängigkeit desfelben von Wiclif feit dem
17. Jahrhundert in Vergeffenheit kam, fo dafs, ungeachtet
Referent dem Sachverhalt am nächften gekommen fei,
noch bis in die neuefte Zeit der mafsgebende Einflufs
Wiclif's auf Hus verkannt, ja direct benritten worden fei
(E. Denis, Par. 1878). Das erfte Buch (S. 27—157) ift
gefchichtlich, das zweite (161—257) enthält den com-
parativen Nachweis des Wiclifismus in den Schriften von
Hus. Den Anhang (261—306) bilden 12 Beilagen, aus
Handfchriften erftmals veröffentlicht.

Im I. Buch werden uns zuerft die kirchlichen Zu-
ftände in Böhmen unter Karl IV. gefchildert, insbefondere
die officiellen Rcformverfuche, welche Erzbifchof
Ernft von Pardubitz anflehte; deffen ungeachtet erhielten

fich Mifsftände in der Pfarrgeiftlichkeit, welche einer
Oppofition fehr zu Statten kamen. Sodann behandelt
Verf. S. 41—64 die ,fogenannten Vorläufer der hufitifchen
Bewegung' in einer Weife, welche unfere bisherige Kunde
ergänzt und erweitert, nicht feiten auf Grund neu zugänglich
gemachter Quellen; fo z. B. ftellt Verf. einem
Konrad vonWaldhaufen, Militfch, und Matthias vonjanow
den weniger bekannten Adalbertus Ranconis de
Ericinio, den er felbft gleichfam wieder entdeckt hat,
an die Seite. Das Hauptgewicht liegt aber darin, dafs
der Einflufs diefer Männer auf Hus, verglichen mit dem
Wiclif's auf denfelben, abgemindert wird. Letztere Auf-
faffung bekommt indefs ein Gegengewicht durch die
Thatfache, dafs Hus noch im Kerker den öfteren Empfang
der Communion ähnlich wie Janow, was den ,erften
Abendmahlsftreit' veranlafst hat, empfiehlt. Von S. 74
an kommt das Eindringen des Wiclifismus in Böhmen,
und die Fortfehritte, die derfelbe machte, bis zu feiner
Verurtheilung in Conftanz, zur Darftellung. Für den
Verkehr mit England wird uns hier ein bisher unbekanntes
Moment vorgeführt: eben der vorhin genannte Adalbert
Ranconis gründete in feinem Teftament ein Stipendium
für einen tfchechifchcn in Paris oder Oxford ftudiren-
den Scholaren (S. 55 f.). Verf. conftatirt, dafs die tiefe
religiöfe Bewegung in Böhmen erft durch die Schriften
Wiclif's hervorgerufen wurde. Um diefe Schriften, deren
Studium und Vertheidigung gegen Anfechtungen, theils
von Einzelnen, theils von den kirchlichen Oberen, drehte
fich in der Hauptfache das Intereffe. Den vorläufigen
Abfchlufs bildete die Verurtheilung der Lehre Wiclif's
von Seiten des Concils zu Conftanz. Vieles Belangreiche
ift in diefen Capiteln des I. Buchs enthalten, aber vom
4. Capitel an nichts, was die bisherige Kunde von jenen
Ereignifsen wefentlich veränderte. Auch die Einficht in
die Stufen des Entwicklungsgangs, den die Sache genommen
, dürfte aus diefer Erzählung keinen erheblichen
Gewinn fchöpfen. Das bedeutendfte vielleicht ift die
Beobachtung, dafs feit 1412 ein intenfiveres Studium und
vollfländigere Aneignung einzelner Tractate Wiclif's fich
bei Hus erweifen Tafle, S. 136. Dafs den Mittelpunkt
der Conflicte in Prag feit 1408 der Wiclifismus bildete,
ift, wie Verf. rückhaltlos anerkennt, von dem Ref. in
Joh. v. Wiclif u. dieVorgefch. der Ref.', Bd. II. S. 168 ff.
bereits erwiefen.

In dem II. Buch: ,der Wiclifismus in den Schriften
des Hus' liegt unferes Dafürhaltens das Hauptverdienft
der Leiftung des Verf.'s. Er widmet die 4 erften Capitel
diefes Buches faft ausfchlicfslich der Hauptfchrift von
Hus de ecelesia, während die folgenden Capitel andere
Tractate desfelben behandeln. Was Hus' Tractat de ecelesia
betrifft, fo weift Verf. durch Parallelftellen zwifchen
Wiclif und Hus überzeugend nach, dafs letzterer die
Hauptgedanken, ja felbft deren Ausführung, oft bis auf's
Wort und bis auf die Folge der einzelnen Sätze, theils
aus Wiclif's Tractat de ecelesia entnommen hat, theils
aus deffen Schrift de Christo et suo adversario. Die Be-
weisftellen aus erfterer Schrift, welche bis jetzt noch
nicht gedruckt ift, entnimmt er einer Handfchrift der
Wiener Hof- u. Staatsbibliothek, die aus letzterem Tractat
der Ausgabe von D. Buddenfieg. Wie mit Hus' Buch
de ecelesia, fo verhält es fich laut der Nachweifungen des
Verf.'s mit den kleinen Tractaten und Streitfchriften desfelben
: die Quellen der Gedanken und ihrer Darlegung
werden in beftimmten Stellen Wiclif'fchcr Schriften aufgezeigt
. Das ift eine Ünterfuchung, auf welche vor dem
Verf. noch Niemand eingegangen ift. Und das Ergebnifs
ift der Art, dafs die Aehnlichkeit, oft fogar Identität der
parallelen Texte mitunter wahrhaft frappant wirkt. Nur
läfst fich hie und da beobachten, dafs der Gang bei
Wiclif methodifcher und klarer hervortritt als bei Hus,
der mitunter nur auszugsweife verfährt. Wo Wiclif England
und deffen Könige erwähnt, fetzt Hus anftatt diefer
Namen Böhmen, die Kirche von Prag und den Kaifer,