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Ausgabe:

1883 Nr. 2

Spalte:

41-43

Titel/Untertitel:

Neuere Untersuchungen zur Geschichte der Inquisition im Mittelalter 1883

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 2.

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hat über beides nachgedacht, und die Einficht, dafs wir
von Natur Kinder der Unfreiheit find, und dafs nur das
Intereffe (die Liebe zum höchften Gut) die Richtung des
Willens zu ändern vermöge, bezeichnet einen Fortfehritt
trotz aller mythologifchen Einkleidung. Die Schwächen
und Widerfprüche des Gegners hat Auguftin deutlich
nur dort aufdecken können, wo er ihn auf Gebiete, wie
das ,des Urftandes' zu führen vermocht hat (f. Klafen
S. 218 f.). Den gröfsten Widerfpruch, an welchem fchon
die alte Stoa fcheiterte, dafs die vernünftige Menfchheit j
fo überaus unvernünftig ift — und dafs alfo die Theorie |
die factifchen Zuftände nicht erklärt —, konnte der gewandte
Dialektiker ftets verdecken. Auch den entfeheid- I
enden Punkt, dafs der pelagianifchc Rationalismus von j
dem ernfthaften Intereffe der Hebung der Sittlichkeit
urfprünglich benimmt war, und doch fchliefslich mit einer
Moral vorlieb nehmen mufste, über welche die Beften
bereits hinausgefchritten waren, hat Auguftin richtig erkannt
. Klafen hat aber wohl daran gethan, den Pela-
gianismus nicht an den Theorien Auguftin's zu meffen.
Nur wo es durchaus nothwendig war, hat er die augufti-
nifche Lehre herbeigezogen. So haben wir in feiner
Darfteilung ein ruhiges, nirgendwo fchillerndes Bild erhalten
, welches einen ficheren Eindruck hinterläfst. Den
Stoff hat der Verf. in zwei Hauptftücke getheilt. In dem
erften handelt er von der Ausbildung des Pelagianismus
und von den Schriften feiner drei Hauptvertreter. In
dem zweiten befonderen Theil giebt er zuerft eine Ausführung
über die Entwickclung des Pelagianismus in
formeller Beziehung, Bellt fodann die Stadien des
Kampfes der Pelagianer gegen die Erbfünde dar und
fchliefst daran eine Ueberficht über die Entwicklung der
pofitiven Anthropologie und Soteriologie in der Schule
(Cap. I: der menfehliche Leib, Cap. II: die menfehliche
Seele, Cap. III: die Gnade). Ref. hält diefe Eintheilung,
die fich in der Darfteilung erprobt hat, für eine vorzügliche
; denn fic fieht davon ab, Kategorien in Anwendung
zu bringen (Urftand, Sündenfall u. f. w.), welche zwar
den Pelagianern nicht fehlten, aber lediglich durch den j
damaligen Stand der kirchlichen Lehrentwicklung ihnen |
aufgezwungen wären.

Giefsen. Adolf Harnack.

Neuere Unterfuchungen zur Gefchichte
der Inquifition im Mittelalter.

1. Ficker, Julius, Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe
für Ketzerei. (Aus: ,Mittheilungen deslnftituts für öfter-
reich. Gefchichtsforfchung' 1880. Bd. I, S. 177—226.)

2. Havet, Julien, L'heresie et le bras seculier au moyen
äge jusqu'au 13e siede. ( Aus: .Bibliotheque de l'ecole
des chartes'.) Paris, Champion, 1881. (71 S. 8.)

3- Kaltner, Dr. Balth., Konrad von Marburg und die Inquisition
in Deutschland. Aus den Quellen bearbeitet.
Prag, Tempsky, 1882. (IX, 198 S. gr. 8.) M. 4. —

4. Mol inier. Charles, L'inquisition dans le midi de la France
au 13e et au 14e siede. Etüde sur les sources de son
histoire. Paris, Fischbacher, 1881. (XVIII, 484 S.
gr. 8.) Fr. 12. —

5. Douais, Abbe, Les sources de l'histoire de l'inquisition
dans le midi de la France au 13e et au 14e siede. Memoire
suivi du texte authentique et complet de la
chronique de Guillem Pelhisso et d'un fragment d'un
registre de l'inquisition publie pour la premiere fois.
Paris, 1881. (132 S. 8.)

IL

Die Schrift von Kaltner über Konrad von Marburg
und die Inquifition in Deutfchland will ihren Helden nicht

1 ifoliren, fondern mit dem ,gefchichtlichen Hintergrund
desfelben zur Darftellung bringen. Denn ,das Bild Konrads
darf nicht gemeifselt, es mufs gemalen (sie!) werden'.
Es werden demgemäfs zunächft in Cap. 1 die ,juridifchen
Grundlagen der deutfehen Inquifition' vorgeführt. Was
dabei in Bezug auf die rechtshiftorifchen Fragen Richtiges
gefagt wird — die Darfteilung S. I —12 ift aber
mindeftens unvollftändig — lehnt fich an den oben be-
fprochenen Auffatz Ficker's an. Was darüber hinaus vorgetragen
wird, ift entweder nicht von Bedeutung oder
aber nicht richtig. Letzteres ift namentlich zu fagen von
der Art, wie der Antheil der Kirche an der allmählichen
Entftehung und Verbreitung der Blutgefetze gegen die
Häretiker beftimmt wird: überall ift das Beftreben bemerkbar
, die Schuld für jene Entwicklung, felbft unter
Ignorirung der von Ficker in gewifs durchaus unpartei-
ifcherForl'chung gewonnenen Refultate, mehr oder weniger
vollftändig auf den Staat abzuladen, die Kirche davon
freizufprechen oder höchftens auf die ungeheuere Gefahr
hinzuweifen, die ihr von Seiten der überhandnehmenden
Ketzerei drohte. Dafs dabei diefe Gefahr namentlich auch
der ganzen Civilifation und bürgerlichen Ordnung gedroht
haben foll und dafs das, was etwa von Secten, wie derjenigen
des freien Geiftes u. a. gilt, ganz allgemein auch auf
Katharer und Waldenfer angewendet wird, ift ja gerade
nicht neu, wird aber auch dadurch nicht richtiger, dafs
es unter Berufung auf Döllinger's ,Kirche und Kirchen'
ausgefprochen wird.

Cap. 2 und 3 wollen weiterhin die Ausbreitung der
Härefie in Deutfchland und den Kampf gegen diefelbe,
fowie die häretifchen Syfteme in Deutfchland fchildern.
Diefe Abfchnitte genügen in keiner Weife. Einmal ift
des Verfaffers Kenntnifs der Literatur allem nach zu ur-
theilen eine ganz unzulängliche. Reuter's Gefchichte der
Aufklärung, Preger's Gefchichte der Myftik, desfelben
Beiträge zur Gefchichte der Waldefier Rheinen ihm —
wefentlich zum Schaden feiner Darftellung von Härefien
wie derjenigen der Amalricianer, Ortliebarier, Brüder und
Schwertern des freien Geiftes und Waldenfer— unbekannt
geblieben zu fein. Die Arbeiten, auf welche er fich beruft
, find faft nur die von Schmidt und Röhricht. Und doch
hätte er auch durch fie ein richtigeres Bild von jenen
Secten bekommen können, als er uns vorführt: was z. B.
über die Sittenlehre und die Sittlichkeit der Katharer
gefagt wird, ift doch gefchichtlich gar zu unwahr! Man
braucht kein Apologet der Secte im alten Stil zu fein,
um die .Folgerungen für die Sittenlehre der Katharer'
S- 55—58 für Luftgebilde zu erklären, welche durch die
Quellen einfach zerftört werden, loweit diefelben auf
irgendwelcher wirklichen Kunde und Anfchauung und
nicht auf fanatifchen Verleumdungen oder jenen populären
Gerüchten beruhen, unter denen fchon die alten
Chriftengemeinden zu leiden hatten. Man wird Muhe
haben, zwifchen dem, was Kaltner über die Katharer
als wahr und erwiefen annimmt, und dem, was er über
die Luciferianer erzählt, einen beftimmten Unterfchied'
feftzuftellen. Vollends aber verwundert ift man, zu vernehmen
, dafs die Syfteme der Katharer und Luciferianer —
alfo nicht etwa deren populäre Mifsdeutung, fondern fie
felbft — das nach dem Glauben der Zeit nahezu allmächtige
Schalten Satans entwickelt und fpäterhin „die
Hexenproceffe mit allen Gräueln und Proceffen, die drum
und dran hängen", zu Tage gefördert haben (S. 61 und
auch fonftj.

Mit Cap. 4 beginnt die eigentliche Biographie Konrad's
von Marburg. Wenn Kaltner im Vorwort bemerkt, dafs
diefes Thema zumal von katholifcher Seite noch wenig
bearbeitet worden fei, fo ift dies mit der darin liegenden
Einfchränkung auf katholifche Hiftoriker richtig. Dagegen
liefert feine eigene Arbeit den Beweis, dafs die
proteftantifche Gefchichtsforfchung doch das Wefentliche
bereits gethan haben dürfte. Zwar kennt er die Arbeit
von Beck über dasfelbe Thema nicht und verhält fich