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Ausgabe:

1883 Nr. 25

Spalte:

594-595

Titel/Untertitel:

Frederichs , Ueber das realistische Princip der Autorität als der Grundlage des Rechts und der Moral 1883

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 25.

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fetzung oder Bearbeitung unfer Buch zu betrachten fein I
wird, befunden haben und aus ihm einfach herübergenommen
fein mögen. Ein folches, dem unfer Gefangbuch
genau entfprächc, ift zwar noch nicht bekannt; doch I
fpricht vieles dafür, dafs es ein folches gegeben haben I
wird, wofür auch Bachmann (ich entfeheidet; wie unfer
Gefangbuch fich zu den bekannten, ungefähr gleichzeitigen
hochdeutfehen verhält, giebt Bachmann genau an.

So wichtige Entdeckungen, wie diefes Gefangbuch ;
eine ift, hat Bachmann nun freilich im Fortgange feines
Werkes nicht mehr zu verzeichnen. Wir dürfen auf i
Einzelnes nicht weiter eingehen; wollen aber die Genauigkeit
aller Angaben und namentlich auch diefes
hervorheben, dafs bei den befprochenen Gefangbüchern j
immer angegeben ift, auf welchen Bibliotheken oder in
welchen Sammlungen fie fich befinden. Im Wefentlichen j
darf die geftellte Aufgabe als durch das vorliegende Werk i
gelöft angefehen werden; manche kleine Ergänzungen [
werden immerhin durch Auffindung einzelner, unterem j
Autor unbekannt gebliebener Gefangbücher möglich fein,
doch werden fie an der nachgewiefenen Gefchichte der 1
Gefangbüchcr im Grofsen und Ganzen kaum etwas ändern. |
Wir bedauern, dafs dem Werke nicht ein alphabetifches
Regifter der in ihm einzeln aufgeführten Lieder, wenig-
ftens derjenigen aus der Zeit vor 1700 aufgeführten,
beigegeben ift; es würde fich dann über das Vorkommen '
und die Verbreitung jedes einzelnen Liedes in Mecklen- !
bürg leicht Auffchlufs gewinnen laffen. Wären in diefem 1
Regifter den Liedern die Nummern beigefügt, welche j
fie in Wackernagel's erftem Werke vom J. 1841 haben, j
fo wäre dadurch, da Bachmann die Lieder einer unter '
den Hymnologen beftehenden Sitte gemäfs mit diefen
Nummern bezeichnet, die Brauchbarkeit des Werkes für
alle, die diefes Wackernagcl'fche Buch nicht zur Hand
haben, noch vermehrt worden.

Das Gefangbuch von 1525 enthält, worauf Bachmann
fchon in der Luthardt'fchen Zeitfchrift a. a. O. aufmerk- :
fam gemacht hat, foweit unfere heutige Kunde reicht,
den älteften Druck des Liedes ,Allein Gott in der Höh
fei Ehr'. Schon aus diefem Grunde eignet ihm ein
eigenthümlicher Werth. Sollte es fich nicht möglich
machen laffen, dafs uns von ihm ein fo genauer Abdruck
geboten würde, wie wir ihn von dem Slüter'fchen Ge- 1
fangbuch von 1531 in der Ausgabe von C. M. Wiechmann- j
Kadow, Schwerin 1858, haben?*)

Hamburg. Carl Bertheau.

*) Bei diefem Anlafs mag es geftattet fein, auf einen Auffatz in dem 1
Archiv für Li11eralurgefchichte, herausgegeben von Schnorr |
von Carolsfeld, 12. Band, 2. Heft, S. 312 ff., hinzuweifen. Der
Verf. desfelben, G u ft. M ilchfack in Wolfenbüttel, glaubt nachweifen
zu können, dafs der Dichter des Liedes ,Allein Gott in der Höh fei Ehr'
die erfte Strophe diefes Liedes nicht felbftandig gedichtet habe; in den
Verfen 309 bis 316 des Egerer Fronleichnamfpieles, das jedenfalls aus
dem 15. Jahrhundert ftammt, glaubt er eine fo grofse Aehnlichkeit mit j
diefer Strophe entdeckt zu haben, dafs letztere nur als eine Bearbeitung ;
jener Verfe angefehen werden dürfe. Diefe Verfe werden in dem genannten
Spiele von dem ,primus Chorus angelorum, seiiieet CktfuHn1 zum Lobe I
des Salvator gefungen und lauten (nach Milchfack):

Gros Wirdigkeit, lob und auch er

fag wir dir, got, machtiger Herr;

wir dancken dir deiner gnaden,

das du uns behüttet haft vor fchaden.

In deinem Dinft fei wir berait,

zu loben deine Wirdigkait;

denn wem dein gnad alhie erfcheint,

der ift behüt vor allen veint.
Wir geliehen, dafs uns weder der Inhalt noch der Ausdruck in diefen
Verfen dem ,Allein Gott in der Höh' fo ähnlich zu fein fcheint, dafs wir
eine Abhängigheit des letzteren von den erfteren annehmen möchten,
während Milchfack der Anficht ift, dafs es ,nicht nöthig fei, die Berührungspunkte
hervorzuheben, weil fie fich von felbft hervordrängen', i
kla jedoch über den Urfprung unferes evangelifchen gloria in excelsis
noch immer ein verhältnifsmäfsiges Dunkel liegt, fo fehlen es uns jedenfalls
nicht Uberflüffig, die Hymnologen auf diefen Auffatz hinzuweifen; |
dafs das Lied wenn auch vielleicht nicht ganz, doch namentlich feinem ]
Anfange nach älteren L'rfprungs fein kann, als es der aus Rehtmeyer
(lammenden gewöhnlichen Annahme gemäfs der Fall wäre, fcheint nicht j
unmöglich.

rederichs, Prof. Dr., Ueber das realistische Princip der
Autorität als der Grundlage des Rechts und der Moral.

Nebfi; den Entgegnungen des Präf. v. Kirchmann, Lic.
Dr. Fr. Kirchner, Prof. Michelet, Oberlehr. Effen und
Prof. Laffon. [Philofophifche Vorträge, hrsg. von
der Philofoph. Gefellfchaft zu Berlin, neue Folge 1.
; Hft.] Halle 1882, Pfeffer. (64 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Die Abficht der mit diefem Heft begonnenen neuen
Folge von Vorträgen, welche die Berliner phil. Gefellfchaft
herausgiebt, geht dahin, die Klarheit, Beftimmtheit,
Verftändlichkcit, welche den Schriften der griechifchen
Philofophen eignet, durch Nachahmung der Urfache
jener Iiiigenfchaften zu erreichen, durch Reproduction
wirklich geführter mündlicher Discuffionen über philo-
fophifche Gegenftände. Das vorliegende Heft enthält
aufser dem die Discuffion einleitenden Vortrage mehrere
Reden anderer Mitglieder, befonders eine lange des angegriffenen
Theils (v. Kirchmann) und ein Schlufswort
des Vortragenden. Es ift zweifelsohne intereffant und
lehrreich, verfchiedene Anflehten über denfelben Gegen-
ftand fich mit Beziehung auf eine beftimmte Darftcllung
desfelben ausfprechen zu hören, aber ein Bild einer
eigentlichen Discuffion, die wirklich ein Kampf Mann
gegen Mann ift und die Parteien zu fcharfer Fixirung
ihrer Anflehten zwingt, giebt das Heft nicht, vermuthlich,
weil die Gefchäftsordnung einer gröfseren Gefellfchaft
eine folche Discuffion nicht geftattet.

Den Gegenftand des vorliegenden Heftes bildet die
Anficht v. Kirchmann's über die Genefis des Sittlichen.
Indem derfelbe die Meinung, dafs die bei allen Menfchen
gleiche Vernunft die Quelle des Sittlichen fei, verwirft,
bleibt ihm als Motiv des Sittlichen nur die Luft über;
nun giebt er aber Kant völlig Recht darin, dafs das fitt-
liche Gefühl, das der Achtung vor dem Gefetz, von den
eudämoniftifchen Luftgefühlen fpeeififeh verfchieden ift,
dafs das fittliche Handeln die Pflicht um der Pflicht
willen erfüllt. Diefe Schwierigkeit löft fich fo. Das
Gefühl der Achtung flöfsen die Auctoriäten durch den
ihnen anhaftenden Nimbus der Erhabenheit ein, der dazu
beftimmt, ihren Geboten ohne Rückficht auf den eigenen
Willen zu folgen. Allmählich verbindet fich das Gefühl
der Achtung mit dem Gebote felbft. Das Motiv zu
ihren Geboten oder den Inhalt derfelben entnehmen die
Auctoritäten aus ihren eigenen Luftgefühlen. Solche
Auctoritäten find der Priefter, der Füm, das Volk felbft
als Subject der öffentlichen Meinung, den Kindern gegenüber
erfetzt diefelben der Vater, refp. der Lehrer. — Gegen
diefe Theorie appellirt Frederichs an die Thatfachen der
gcfchichtlichen Erfahrung. Sie paffe nur auf die Erziehung
der Jefuiten, auf die Defpotie und die ausgebildete
Hierarchie. Die wirkliche Achtung vor der Auctorität
fetze den fittlichen Inhalt des auetoritären Willens voraus
. Die tieffte Quelle des Ethifchen fei die fittliche
oder vernünftige Natur des Menfchen innerhalb der gegliederten
Gemeinfchaft. Ferner fei die Theorie pfycho-
logifch falfch. Vor der Macht gebe es nur das Gefühl
der Furcht. Kant's afthetifches Gefühl gegenüber dem
Erhabenen der Natur fei hier nicht in Anwendung zu
bringen, gefchweige das der Achtung. In dem Urethos,
in den Pietätsgefühlen fei Achtung und Liebe verbunden,
überhaupt fei die Unterfcheidung der Achtung von den
Luftgefühlen unhaltbar. Endlich hebe diefe Theorie den
Unterfchied von gut und böfe auf. Aehnlich äufsern
fich auch die andern Redner, unter denen Laffon's Bemerkungen
fich auszeichnen. Treffend hebt der letztere befonders
hervor, wie Kirchmann einen unverföhnlichen
Gegenfatz zwifchen Form und Inhalt in das Sittliche
bringt und wie nach ihm die Sittlichkeit nur die Vor-
ftufe des Idealzuftandes ift, in welchem der reine Utili-
tarismus herrfcht.

Aufgefallen ift mir, dafs alle Redner drei Voraus-