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Ausgabe:

1883

Spalte:

591-593

Autor/Hrsg.:

Bachmann, Joh.

Titel/Untertitel:

Geschichte des evangelischen Kirchengesanges in Mecklenburg 1883

Rezensent:

Bertheau, Carl

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des Proteftantismus felbft angehe und gefährde. Noch
mehr liefse fich zu den durchblickenden Urtheilen über
den Gang unferes politifchen Lebens anmerken. Aber
von durchschlagender Wahrheit ift die fcharfe Zeichnung
des Gegenfatzes in dem Kampfe zwifchen Katholicismus
und Proteftantismus als eines Gegenfatzes des Lebensideals
und daher der letzten Ziele praktifcher Lebens-
geftaltung. Darf man auch gerade deswegen, weil es fo
ift, mit dem Verf. des endlichen Sieges gewifs fein, fo
gilt es doch zwiefach, diefe Erkenntnifs hochzuhalten
einer oberflächlichen und leichtfertigen Betrachtung diefer
Dinge gegenüber, die nur zu verbreitet ift. Wahrhaft
wohlthuend aber ift ferner, wie der Verf. nicht blofs die
falfche, blofs apologetifche Theologie der Gegenwart,
die durch Markten doch nur abwärts treibt, verurtheilt,
fondern auch die volle Ueberzeugung von der Lebenskräftigkeit
evangelifcher Theologie in neuer Geftalt auf
dem Grunde wirklicher Forfchung ausfpricht, und die
Hoffnung auf einen befferen theologifchen Nachwuchs,
der den Neubau der Theologie ins Leben der Kirche
trägt, daran anknüpft.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Bachmann. Prof. Univ.-Pred. Dr. Johs., Geschichte des
evangelischen Kirchengesanges in Mecklenburg, insbefon-
dere der mecklenburgifchen Gefangbücher. Ein hym-
nologifcher Beitrag. Roftock, Stiller, 1881. (XII, 340 S.
gr. 8.) M. 5. —

Diefe Schrift ift mit Recht fchon von mehreren Seiten
als eine werthvolle Bereicherung der hymnologifchen
Literatur begrüfst worden. Wie Fi fch er' s Kirchenliederlexikon
(vgl. in diefer Zeitung 1878, Sp. 641, und 1880,
Sp. 38) und Bode's Quellennachweis (vgl. 1881, Sp. 356),
obwohl ihrer nächften Abficht nach auf die Gefangbücher
der Provinz Sachfen und diejenigen des gröfsten
Theiles der Provinz Hannover befchränkt, doch eine
weit über diefe zunächft in ihnen bearbeiteten Gebiete
hinausgehendeBedeutung für diehymnologifcheForfchung
gewonnen haben, fo hat auch diefe Bach mann'fche
Arbeit ein über Mecklenburg hinausgehendes Intereffe
und wird in diefer Hinficht neben den beiden genannten
Werken fortan als ein wichtiger Beitrag zurGefchichte des
Kirchengefanges und Kirchenliedes in der evangelifchen
Kirche Deutfchlands dankbar benutzt werden. Wir halten
es deshalb auch für durchaus berechtigt, dafs fich diefe
Bachmann'fche Arbeit hinaus auf den Büchermarkt begeben
hat, obfchon in ihrem Frfcheinen als ,Rectorats-
programm' vielleicht eine Verfuchung für fie lag, nur
bei den ihrer heimathlichen Univerfität Verbundenen und
etwa noch bei einigen Freunden ihres Verf.'s bekannt
zu werden; — was nützt es den Mitarbeitern auf dem
Gebiete der Gefchichte der Hymnologie, dafs, wie glaubhaft
berichtet wird, Dibelius eine vorzügliche Arbeit
über die evangelifchen Gefangbücher im Königreich
Sachfen geliefert hat, da diefe Arbeit in einer aufser-
fächfifchen Gelehrten wenig bekannten und jedenfalls
fchwer zugänglichen Zeitfchrift verfteckt gehalten wird.

Die Zufammenftellung der Bachmann'fchen Arbeit
mit den Werken von Fifcher und Bode bezieht fich
übrigens nur auf den Inhalt und Zweck diefer Bücher
im Allgemeinen, fofern fie alle drei uns das Kirchenlied
in ihrer befonderen Landeskirche vorführen und den
Beftand desfelben nach Umfang und Art in feinem ge-
fchichtlichen Werden erkennen laffen. Im Einzelnen
gehen fie ein jedes feinen ganz eigenen Weg. Das
Bachmann'fche läfst fich auf das einzelne Lied am
wenigften ein; wer dasfelbe verfafst, wo es zuerft gedruckt
ift, welchen Aenderungen es unterworfen ward,
das find Dinge, die hier zunächft nicht in Betracht
kommen. Hingegen welche Lieder in den Kirchenordnungen
als bekannt vorausgefetzt oder durch fie im

Gottesdicnft eingeführt werden, welche fich dann in den
Gefangbüchern vorfinden, und befonders was für Gefangbücher
im Mecklenburgifchen gedruckt und gebraucht
find und welche äufseren und inneren Veränderungen im
Laufe der Zeit mit den Gefangbüchern vorgenommen
find, darüber erhalten wir eingehenden Bericht, der, wie
das kaum anders fein kann, fich nicht feiten wie eine
Gefchichte des kirchlichen Lebens felbft lieft. Den Hauptinhalt
des Werkes bildet, wie der Titel fchon angiebt,
die Gefchichte der Mecklenburger Gefangbücher. Diefe
ift, foweit es dem Verf. möglich war, vollftändig für
Mecklenburg-Schwerin gegeben, während für das Stre-
litz'fche und Ratzeburgifche nur anhangsweife kurze
Ueberfichten der hier gebrauchten oder doch gedruckten
Gefangbücher gegeben find. Ein weiterer Anhang bringt

[ eine Üeberficht aller mecklenburgifchen Kirchenliederdichter
bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts mit kurzen

1 biographifchen und literarifchen Angaben.

Die Gefchichte des Gefangbuches hat in Mecklenburg

: wie überall in den deutfehen evangelifchen Kirchen zwei

! Hauptperioden: die Zeit der nur privaten und die der
officiellen Gefangbücher, deren Grenze etwa das Jahr
1700 ift. Die erfte Periode zerfällt für Mecklenburg wie
für das übrige Norddeutfchland in die Zeit der nieder-
deutfehen Gefangbücher und die Zeit der Verdrängung
derfelben durch hochdeutfche; hier bringt der dreifsig-
jährige Krieg den vollen Sieg des Hochdeutfchen, das
in den Städten fchon feit dem Beginn des fiebzehnten
Jahrhunderts fich eingebürgert hat. Die zweite Periode
wird dann auch in zwei, den Jahrhunderten, die fie um-
fafst, entfprechende Abfchnitte zerlegt.

Für die Gefchichte des niederdeutfehen Kirchengefanges
in Mecklenburg kommen drei Gefangbücher vor
allem in Betracht, die in den Jahren 1525, 1531 und 1577,
und zwar alle drei, fofern dies nämlich auch betreffs des
erlten ficher angenommen werden darf, in Roftock
gedruckt find; das zweite und dritte find dann auch in
zahlreichen fpäteren Ausgaben weiter verbreitet. Das

j erfte diefer Gefangbücher, das von dem bekannten Buch-

j drucker Ludwig Dietz im J. 1525 gedruckte, war früher
unbekannt gewefen; Bachmann hatte im Sommer 1877
ein leider nicht ganz vollftändiges Exemplar desfelben
auf der Univerfitätsbibliothek zu Roftock entdeckt und
damit einen Fund gemacht, der für die Gefchichte der
niederdeutfehen Gefangbücher überhaupt von durchgreifender
Bedeutung war. (Vgl. Bachmann's Bericht über
diefes Gefangbuch in der Luthardt'fchen Zeitfchrift für
kirchliche Wiffenfchaft und kirchliches Leben, Jahrgang
1880, S. 480 fr. Diefer Bericht ift in das vorliegende Werk
nun übergegangen und durch eine genaue Aufzählung
der fämmtlichen Lieder diefes Gefangbuches ergänzt.)

I Es fiel nämlich durch diefes Dictz'fche Gefangbuch vom

I J. 1525 plötzlich Licht auf das bisher fälfehlich für ein
Werk des (Paul oder eines J.) Speratus gehaltene, wahr-
fcheinlich in Wittemberg gedruckte niederfächfifche Gefangbuch
vom J. 1526, das nun als ein, wenn auch nicht
wörtlich, doch inhaltlich genauer Abdruck desfelben

j erfcheint und in welchem der Name eines J. Speratus
am Beginne der Vorrede fich als eine falfche Deutung

j der Buchftaben J. S. an derfelben Stelle in dem Drucke
von 1525 erweift; und damit war plötzlich ein Problem,

■ das den Hymnologen feit lange die gröfsten Schwierigkeiten
bereitet hatte, auf völlig befriedigende Weife

j gelöft. Der J. S. aber, der diefe Vorrede gefchrieben,
kann, wie Bachmann überzeugend nachweift, fchwerlich
ein anderer fein, als der bekannte Reformator Roftock's
Joachim Slüter. Auch diefes Gefangbuch vom J. 1525
fcheint noch nicht das erfte in niederdeutfeher Sprache
erfchienene zu fein, fofern es fich auf dem Titel als
,jn Saffyfcher fprake klarer wen tho vorn verdüdefchet'
bezeichnet, wenn auch die Worte ,vp dat nyge gemeret',
welche fich gleichfalls auf dem Titel finden, fich vielleicht
fchon in dem hochdeutfchen Original, als deffen Ueber-