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Ausgabe:

1883 Nr. 25

Spalte:

590-591

Autor/Hrsg.:

Stade, Bernhard

Titel/Untertitel:

Ueber die Lage der evangelischen Kirche Deutschlands. 2. Ausg 1883

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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589 Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 25. 590

Stellt man jene beiden erfteren Berichte neben einander,
fo ergänzen und beleuchten fie fich auf das Bette. Eine
folche Vergleichung hat der Verf. mit Gefchick ausgeführt
und ift dabei zu vielen fchönen Refultaten gekommen
, welche auf den weitgehenden Parallelismus fo-
cialer Einrichtungen bei den verfchiedenen keltifchen
Stämmen ein helles Licht werfen. Die Hauptträger der
Bildung, der Religion, der Wiffenfchaft und Dichtung
bei den Galliern zerfallen in drei Klaffen: die Barden,
die Druiden und die vates (gr. oltaeig uameeg); auch in
Irland begegnen wir der Dreizahl der Barden, der Druiden
und der file. Die gallifchen Barden find Sänger und
Dichter; fie folgen den Fürften und Grofsen; fie preifen
Tapferkeit und Freigebigkeit, fchmähen Kargheit und
Feigheit. In derfelben Function erfcheinen fie auch in
Irland; aber hier treten fie fehr in den Hintergrund. Sie
werden als .ungebildet' von den .gelehrten' Dichtern,
den filc, verachtet; wir finden fie daher feiten erwähnt.
Dagegen Banden fie bei den brittifchen Kelten, wie bekannt
, im Mittelalter in hohem Anfehn. — Den erften
Rang nehmen in Gallien die Druiden ein; fie vereinigen
Alles in fich, was man etwa als ,Wiffenfchaft' bezeichnen
kann; fie find zugleich Wahrfager, Zauberer und Aerzte,
Priefter, Lehrer und befonders auch Richter. Die irifchen
Druiden erfcheinen nur noch als Zauberer, Aerzte und Wahrfager
. Von ihrer Thätigkeit als Priefter und Lehrer find
nur fchwache Spuren vorhanden; das chriftliche Priefter-
thum und die chriftliche Lehre ift eben an ihre Stelle
getreten. Als Richter kennt fie die irifche Sage nicht;
an den Schlachten nehmen fie perfönlich Theil, während
die gallifchen Druiden nach Caefar vom Kriegsdienft frei
waren. — Die vates endlich prophezeien nach Beobachtung
des Vogelflugs, der Eingeweide der Opferthiere, auch
geopferter Mcnfchen. In Irland haben die file die oberfte
Stufe erklommen. Mitglieder ihres Standes zählen zu den
erften Chriften und ihre Zunft befteht und blüht auch in
der chriftlichen Zeit weiter. Die file erfcheinen als die
Hauptvertreter der weltlichen Tradition; daher fungiren
fie einmal als Erzähler (sctlaige), indem fie den ganzen
Sagenfchatz ihres Volkes inne haben, fodann als Richter
{brtthetn), indem fie den alten Brauch und die früheren
Urtheile kennen; fie find ein lebendes Gefetzbuch. Ferner
befitzen fie gewiffe Zauber, womit fie verborgene Dinge
erkunden; den Gebrauch des einen derfelben geftattete
der hl. Patricius auch den Bekehrten noch, weil er mit
keinem Opfer an die Götter verbunden war. Wer fich
ihnen nicht fügt, gegen den fingen fie eine Verwünfch-
ungsformel — vom Verf. wenig treffend mit .Satire' bezeichnet
—, vor welcher es keine Rettung giebt. — Sind
die beiden erften Parallelen einleuchtend und unbeftreit-
bar, erfcheint dagegen die dritte fehr zweifelhaft. Die
vates und die file haben in der That wenig mit einander
gemein; auch lautlich entfpricht dem gallifchen Worte
nicht ir. file, fondern fäith, womit das kirchlichepropheta
überfetzt wird. Viel gröfser ift die Aehnlichkeit zwifchen
den irifchen filc und den gallifchen Druiden; von beiden
wird langes Studium gefordert; beide gehen zur völligen
Ausbildung nach der brittifchen Infel hinüber. Es wäre
leicht möglich, dafs fich die vates wie die file erfl fecun-
där vom Druidismus losgelöft hätten: auch werden jene
nur von fpäteren Schriftftcllern erwähnt.

Dies die allgemeinen Umriffe des intereffanten Buches,
das, flüffig gefchrieben, fich leicht lieft. Dabei haben
viele Abfchnitte ganz übergangen werden müffen, wie
die Einleitung über die Kelten und ihre Sprache, wie
die Spuren der druidifchen Unfterblichkeitslehre in Irland,
die irifchen Klofterfchulen im 6. bis 8. Jahrhundert u.
a. fn. Manche Wiederholungen, die fich im Buche finden,
mögen daher (lammen, dafs dasfelbe aus einer Zufammen-
ftellung gehaltener Vorlefungen befteht. Einwendungen
gegen Einzelheiten wären meift rein philologifcher Art,
gehören alfo nicht hierher.

Jena. R. Thurneyfen.

' Fl bring, Friedr., Gottfried Arnold als Kirchenhistoriker. Beitrag
zur Culturgefchichte des 17. Jahrhunderts. In-
augural-Differtation (Giefsen). Darmftadt, Brill, 1883.
(74 S. gr. 8.) M. 1. -.

Die monographifche Darfteilung der Leiftung Arnold's
in der Kirchengefchichte ift auch nach der meifterhaften
Skizze Baur's in den ETpochen der Kirchengefchichtfchrei-
bung, fowie nach der Biographie Arnold's durch Dibelius
nicht überflüffig. An Baur hat fich der Verf. im wefent-
lichen angefchloffen, aber denfelben nicht nur durch ausführlicheres
Eingehen ergänzt, fondern auch in manchem
berichtigt. Dibelius hat ja fein Augenmerk überwiegend
auf andere Seiten in Arnold's Perfönlichkeit und Thätigkeit
gerichtet. Das Hauptverdienft ift hier nun eine
ebenfo fleifsige als eingehende und wohlgeordnete Einführung
in den Inhalt und Geift von Arnold's Kirchen-
und Ketzerhiftorie, welche Jedermann mit dem weit-
1 läufigen Werke erfchöpfend bekannt machen kann. Man
wird fie nur mit Vergnügen lefen in Anbetracht der
Klarheit der Darftellung, der einfachen und edlen Sprache,
und der Unbefangenheit des Urtheils. Die beiden Seiten
an Arnold, das epochemachende Verdienft feiner Quellen-
forfchung, feines freien Standpunktes, des pragmatifchen
Sinnes ebenfo wie die Mängel eines befchränkten Gefichts-
punktes, einfeitiger Myftik und aller daran hängenden
Vorurtheile kommen gleichmäfsig zur Geltung. Das
getrübte Urtheil, mit welchem Arnold an die gefchicht-
I liehen Dinge herantritt, ift freilich wohl nicht blofs die
Folge feines myftifchen Standpunktes, fondern in erfter
Linie bedingt durch eine leicht erklärliche Verzweiflung
an feiner Zeit, und in Folge deffen an den Mächten derGe-
j fchichte, welche fich im Spiegel derfelben darftellen. Daher
möchte ich auch die ihm von Baur noch vorgewor-
i fene Vorliebe für alle Häretiker nicht im Ganzen daraus
erklären, dafs er in diefen myftifche Gefinnungsgenoffen
erkannt habe; denn wir werden ja nicht verkennen
dürfen, dafs er fie grofscntheils erft zu folchen gemacht
I hat, nur weil fie im Gegenfatz zur Kirche ftanden. Die
gelegentliche Beurtheilung des Pietismus als katholi-
I firend ift geeignet, zu einem ähnlichen hiftorifchen Irrthum
zu führen, wie ihn Arnold nur umgekehrt an fich
erlebt hat. Schliefslich kann ich nicht umhin, darauf
! aufmerkfam zu machen, dafs die Beurtheilung Luther's
und der Reformation durch Arnold, deren Schwäche der
1 Verf. treffend charakterifirt, uns doch auch heute noch
j mehr zu denken geben follte. Wir werden uns die Reformation
um fo mehr zu eigen machen, wenn wir uns
j nicht an ihre Lehre klammern, fei es wie fie gelautet
hat, fei es wie wir fie uns lieber zurechtlegen, fondern
! die weiten Zielpunkte verliehen, welche in ihrem Wollen
und namentlich bei Luther im Charakter der Perfonen
j gegeben find. Der Verfaffer könnte das fchöne Stu-
I dium, welches er in diefer Differtation niedergelegt hat,
j in verdienftlicher Weife fortfetzen, wenn er Arnold's
Gefchichte des fiebzehnten Jahrhunderts kritifch ver-
| werthen würde.

Tübingen, 24. October 1883. C. Weizfäcker.

j Stade, Prof. Dr. Bernh, Ueber die Lage der evangelischen
Kirche Deutschlands. Academifche Feftrede. 2. Ausg.
Giefsen, Ricker, 1883. (51 S. 8.) M. —. 80.

Wir möchten diefer ebenfo gedankenreichen als von
1 warmer Liebe für die evangelifche Sache getragenen
Betrachtung den weiteften Leferkreis wünfehen. Man
kann darüber zweifelhaft fein, ob die augenblicklichen
J Fortfehritte und Strebungen der katholifchen Kirche fo
! viel wirkliche Kraft und Dauer befitzen, um einen zweiten
Entfcheidungskampf für die Sache der Reformation er-
i warten zu laffen. Auch das läfst fich in Frage Mellen,
1 ob die beklagte Gleichgültigkeit des Bürgerthums für
! die evangelifche Kirche in dem gleichen Mafse die Sache