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Ausgabe:

1883 Nr. 24

Spalte:

568-569

Autor/Hrsg.:

Brischar, J.N.

Titel/Untertitel:

Papst Innocenz III. und seine Zeit 1883

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 24.

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religion des ganzen römifchen Reiches erklärt habe, theils
des Verfaffers Vervveifungen auf Irenaeus, Eufeb, Gildas
u. a. verfteht, ein Publicum, das einer tabellarifcher Ver-
gleichung ,der Lehren Gregors und feines Sendlings
Auguftin' mit denen des Tridentiner Concils Intereffe
entgegenbringt und doch belehrt wird, wenn diefe Ver-
gleichung beweift, ,dafs die Lehren Gregors undAuguftins
nicht diefelben waren wie die des Concils von Trient'.
Dies Publicum wird die ,sme ira et studio gewonnenen
Refultate' gewifs ebenfo günftig beurtheilen wie die Vorträge
des erften Theiles ff. Vorrede); es wird dankbar
fich darüber belehren laffen, dafs Claudia Rufina und
Pomponia Graecina, ,zwei angefehene britifche Frauen
von erlauchtem Gefchlecht', die beide Tac. ann. XIII, 32
erwähnt fein follen, und ,Bran, der Gefegnete', der (lediglich
der Sage angehörige) Vater des (Tac. ann. XII, 33.36
erwähnten) Caractacus, der in Rom zum Chriftenthum
bekehrt wurde, Paulus, ihren geiftlichen Vater, der feit
56 Chr. in Rom war, beredeten, zum Zweck der Bekehrung
der Briten die Reife nach Britannien zu unternehmen
, deren Erfolg ein fo durchfchlagender war, dafs
Paulus in den Jahren 58—61 den Ariftobulus als ,erften
Bifchof von Britannien' ein fetzen konnte und auf diefe
Weife eine frühe, romfreie Blüthe des britifchen Chriften-
thums herbeiführte, von der die damals gegründeten
Univerfitäten Oxford und Cambridge ein deutliches
Zeugnifs ablegen u. f. w. — Nur in einer Beziehung
rechnet der Verf. nicht auf ein ,gemifchtes Publicum':
in confeffioneller Hinficht mufs der Leferkreis des Büchleins
rein proteftantifch fein. Denn wenn Eufebius,
Venantius Eortunatus, Wilhelm v. Malmesbury, Lippo-
manus (der Bifchof v. Verona f 155g ?) und ,nach ihm'
(teste Lippomano:) Nicephorus ,Califtius' (S. 6) es be-
weifen, dafs England unabhängig von Rom (? f. o.) durch
Paulus direct vom Orient, deffen Ofterpraxis es noch
fpäter befolgte, fein Chriftenthum erhalten hat, daneben
aber die Anwefenheit des Apoftels Petrus in Rom als
.gänzlich unverbürgt' erwiefen wird (S. 33), ja Irenaeus
zum Zeugen dafür aufgerufen wird, dafs nicht Petrus,
fondern der von Paulus eingefetzte Linus (2 Tim. 4,21)
der erfte Bifchof von Rom gewefen ift, — fo vermag
offenbar nur ein proteftantifches Publicum zu verftehen,
dafs der Verf. ,in Ausnutzung der vorhandenen Quellen
der ftrengften Objectivität fich befüffen hat' (Vorrede).
Man fieht, wie vorzüglich der Haupttitel des Büchleins
gewählt ift; die appofitionelle Näherbeftimmung desfelben
aber wird in das rechte Licht gerückt durch die That-
fache, dafs die neuere englifche und deutfche Literatur
kaum berückfichtigt ift ^Lingard wird S. 94 erwähnt, auch
S. 7 die , Tracts on t/te Originc and Independencc of tlie
Ancient British Ckurch* des Bifchofs Burgefs), dagegen
ohne Angabe ihrer Lebenszeit bezw. der Zeit der citirten
Schriften als Autoritäten angeführt werden Parker,
der Erzbifchof v. Canterbury (f 1575), Uffer (y 1656) und
feine Genoffen Camden und Spelman, Spanheim und Collier
(f 1726): man könnte denken, die genannten Gelehrten
lebten in der Zeit des Verf.'s, der ihre Anflehten theilt.

Damit aber nicht auch diefe Anzeige im 18. Jahrhundert
flecken bleibe, fei es geftattet, an diefem Ort
auf die im neueften Heft des Neuen Archivs d. Gef. f.
ältere deutfche Gefchichtskunde (IX, 1 S. 99—169) enthaltene
Abhandlung von Bruno Krufch über ,die Einführung
des griechifchen Pafchalritus im Abendlandt'
aufmerkfam zu machen. Es werden in dieftr Abhandlung
in dem von Britannien handelnden Abfchnitt die
auf ungenügender Sachkenntnifs ruhenden Bemerkungen
theologifcher Schriftftelltr, zu denen auch Referent gehört
, durch forgfältigfte fachmännifche Unterfuchungen
erfetzt. Den mancherlei Phantafien, die über die britifche
Ofterpraxis laut geworden find, ift damit hoffentlich für
immer ein Ende gemacht.

Leipzig. _ E. Loofs.

Brischar, Dr. J. N., Papst Innocenz III. und seine Zeit.

Freiburg i,Br., Herder, 1883. (XVI, 342 S. 8.) M. 2. —

Die Sammlung hiftorifcher Bildnifse, welche die
Herder'fche Verlagsbuchhandlung herausgiebt, hat z. B.
in Grube's Johannes Bufch eine Arbeit gebracht, welche
für die Wiffenfchaft von Werthe ift und die doch auch
in dem weiteren Leferkreis, für welchen fie beftimmt ift,
mit Intereffe aufgenommen werden mufste. Von der
vorliegenden Schrift Brifchar's kann ich weder das eine
noch das andere annehmen. Schon die Darfteilung ift
im ganzen fehr wenig ermunternd: atomiftifch werden
die einzelnen, geographifch oder fachlich gefchiedenen
Abfchnitte der damaligen Zeitgefchichte durchgefprochen:

j Deutfchland, Frankreich, England, Orient, pyrenäifche

' Halbinfel, Ketzer, Lateranconcil.

Der Verfaffer hat es nicht verftanden, die gegen-
j feitigen Berührungspunkte der politifchen Vorgänge in
j diefen verfchiedenen Ländern klar und fcharf zu zeichnen
1 und dabei vor allem feine Hauptaufgabe zu erfüllen: die
j Fäden der päpftlichen Action darin aufzuweifen und
I die grofsen Ziele der letzteren überall klar zu ftcllen.
I Denn wenn er S. 339 uns belehrt, dafs Innocenz' Politik
nicht von Ehrgeiz und Hcrrfchfucht geleitet gewefen fei,
I fondern von dem tiefen und lebendigen Ergriffenfein von
den Pflichten, welche das von ihm in der Fülle feiner
Idee erfafste Papftthum ihm auferlegte, von dem Streben
der Erhöhung der Macht der Kirche, der Feftftellung
der Unabhängigkeit derfelben von der weltlichen Gewalt,
— fo ift diefe Charakteriftik doch allzu farblos, als dafs
I damit hiftorifch etwas anzufangen wäre. Brifchar findet
unter Innocenz III. den Gedanken annähernd verwirklicht,
dafs ,alle chriftlichen Völker zu einer grofsen Republik
unter der Leitung des Oberhauptes der Kirche vereinigt
find'. Allein gerade feine Darfteilung führt uns im wefent-
lichcn nur die einzelnen Völker in unabläffigen Händeln
vor, und dafs die Gefchichte einiger unter ihnen fchliefs-
I lieh in der Betheiligung am Kreuzzug ausläuft, wird uns
höchftens beiläufig als der einheitliche Gedanke des
Papftes enthüllt.

Aber nicht einmal innerhalb der einzelnen Abfchnitte
wird die Einheit in der Weife feftgehalten, dafs wenigftens
die Stellung Innocenz' III. zur Gefchichte derfelben in den
Mittelpunkt träte. Die Gefchichte Englands z.B. wird auch
in den Abfchnitten, wo von einem Eingreifen Innocenz'
1 fchon chronologifch keine Rede fein kann, wo aber auch
deffen Vorgänger fo gut wie unbetheiligt erfcheinen, mit
; einer Ausführlichkeit behandelt, die bei dem Titel des
Buchs ganz unmotivirt erfcheinen mufs. Häufig hat ofifen-
[ bar der Verfaffer der Verfuchung nicht widerftehenkönnen,
I hiftorifche Einzelheiten und Gefchichtchen einzuflechten,
1 die an fich eine Art anekdotenhaftes Intereffe bieten,
aber doch nicht als Illuftration für die Zeit der annähernd
vollendeten Theokratie dienen können.

Was den Inhalt der Schrift anlangt, fo verfichert
der Verfaffer, dafs er ,feine Darfteilung durchaus auf fehr
I umfaffende und eingehende Quellenftudien gegründet hat'.
Neue Refultate treten freilich nirgends hervor; das wird
auch bei dem populären Zweck niemand verlangen.
| Allein dafs nicht das hiftorifche Intereffe, fondern das
kirchlich-apologetifche, bezw. panegyrifche das vor-
j herrfchende gewefen ift, tritt überall zu Tage. Nicht
allein erfahren wir von der ganzen Perfidie, welche doch
i auch ein Innocenz III. im Dienft der ihm heiligen Sache
, mit klarem Bewufstfein verwendet, kein Wort, fondern
es werden auch minder liebfame Partien der Gefchichte
feines Pontificats einfach übergangen, z. B. das Eingreifen
! des Papftes in Südfrankreich und die Greuel, die hier
I unter feiner Aegide begangen worden find. Br. kann fich
j (S. 327) ,bei dem ihm zugemeffenen Räume auf eine
Darltellung der fehr verwickelten Gefchichte der Albi-
i genfer' nicht näher einlaffen. Vielleicht hätte aber doch
I an anderen Orten Raum genug dafür erfpart werden