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Ausgabe:

1883 Nr. 2

Spalte:

37-39

Autor/Hrsg.:

Roch, georg

Titel/Untertitel:

Die Schrift des alexandrinischen Bischofs Dionysius des Grossen „über die Natur“ 1883

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 2.

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In anderen Fällen find die Aenderungen, welche Sch. an I
dem ihm vorliegenden Texte anbringt, um den Text des
Nonnos zu gewinnen, nicht nothwendig. Dafs Nonnos
am Schlurfe von 7, 44 die Worte: ,mi owtio sX-nlvd-st
1, itiott avroi' gelefen habe, ift, da kein Codex u. f. f.
fie hier hat, fchwerlich anzunehmen; er hat fie einfach
aus 7, 30 wiederholt. Anders ift es mit dem Zufatz zu
8, 59, da hier viele Handfchriften u. f. f. diefe Worte
haben. An der Stelle Joh. 13, 9 las Nonnos in feinem Exemplar
die Worte, welche fich in Handfchriften der Itala
,et totum corpus' wiedergegeben finden; aber diefe Worte
können nicht, wie Sch. will, /.ort oXov dXiiac gelautet
haben, da das Wort (57porg dem neuteftamentlichen Sprachgebrauch
völlig fremd ift. Häufig macht Sch. aus der
Paraphrafe Schlöffe auf die Verbalformen (Tempora) und
die Wortftellung in dem evangelifchen Text des Nonnos,
die uns keineswegs nothwendig fcheinen; ebenfo nimmt
er oft Auslaffungen in diefem Texte an, wo wohl nur
an eine weniger genaue Wiedergabe zu denken ift; —
doch würde es zu weit führen, hier weiter auf Einzelnes
einzugehen. Die Worte v.ui ^4vi}qeiag Joh. 21, 2 müfsten
nicht mit gewöhnlichen Lettern und in runden Klammern
gedruckt fein, fondern in gefperrten Lettern und mit
einem Sternchen verfehen, da fie fich in dem gewöhnlichen
Text nicht finden, wohl aber von Nonnos in feinem
Text gelefen find, falls wir nicht annehmen wollen, dafs
er fich diefen Zufatz willkürlich geftattet hat.

In dem Bilde, das uns Sch. vom evangelifchen Texte,
der dem Nonnos vorlag, giebt, ift gewifs vieles richtig
und beachtenswerth; aber, fo müffen wir unfer Urtheil
zufammenfaffen, es ift nicht fo forgfältig ausgeführt, als
wir wünfehen müfsten. Biblifche Kritiker werden feine
Arbeit nur mit grofser Vorficht gebrauchen dürfen. Wir
vermiffen dabei namentlich auch jeglichen Verfuch, den gewonnenen
Text zu charakterifiren; und es willuns fcheinen,
als follten fich zu diefer Arbeit ein Philologe, der den
Nonnos (auch feine Dionyfiaka) gründlich kennt, und ein
Theologe, der auf dem Felde der neuteftamentlichen Textkritik
bewandert ift, verbinden, um ein wirklich erfpriefs-
liches und genügendes Refultat zu gewinnen.

Hamburg. Carl Bertheau.

Roch, Oberlehr. Georg, Die Schrift des alexandrinischen
Bischofs Dionysius des Grossen „über die Natur". Eine
altchriftliche Widerlegung der Atomiftik Demokrits
und Epikurs. Inauguraldiffertation. Leipzig, 1882.
(Dresden, J. Naumann). (60 S. gr. 8.) M. 1. —

Nach einer Einleitung über das Leben und die Per-
fönlichkeit des Dionyfius, die das Uebliche enthält und
die gerade hier befonders idealifirende Tradition einfach
wiedergabt, befchäftigt fich der Verfaffer S. 18 f. zuerft
mit der Zeit und dem Anlafs der Abfaffung der Schrift neqi
(piouog, mit dem Adreffaten und mit der Feftftellung
des Umfanges der Schrift. Sodann giebt er eine Ueber-
fetzung der uns durch Eufebius erhaltenen Fragmente
(S. 28—41) und fchliefst daran Erwägungen über die
Atomiftik, wie fie Dionyfius dar.geftellt und widerlegt
hat, fowie über den Werth des Tractates.

Was die Zeit der Abfaffung betrifft, fo läfst fich
darüber nichts fagen; die Gründe, welche der Verf. für
die JJ. 231—248 angegeben, find ohne Belang. Ueber
den Anlafs aber, wenn diefe fchwierige Frage überhaupt
aufzuwerfen war (Angaben über einen directen
Anlafs fehlen), hätte wohl fehr anders geurtheilt werden
müffen, als der Verf. es gethan hat. ,Der Epikuraeismus',
fagt der Verf., ,beherrfchte damals in feinen Confequen-
zen ebenfo das Leben, wie in feinen Principien die Wif-
fenfehaft'. Das ift eine fo ftarke Uebertreibung, dafs
man diefe Behauptung einfach als irrthümlich bezeichnen
darf. Der Verf. verfchlimmert fie aber noch, indem er
die Zeit des Dionyfius als eine folche bezeichnet, in

welcher die Gefellfchaft gröfstentheils in praktifchen Materialismus
verfallen war und in der die Naturforfcher
die Tendenz zum Epikuräismus hatten. Letzteres mufs
der Verf. felbft förmlich zurücknehmen. Keiner der hervorragenden
Vertreter der Naturwiffenfchaft und Medicin
ift uns als Epikuräer bezeichnet. Die Hypothefe, die er
nun unterfchiebt, dafs in der Zahl der minder bedeutenden
Naturforfcher und Aerzte Viele gewefen fein
mögen, welche atomiftifch-materialiftifchen Anfchauungen
huldigten, ift eigentlich ein Bekenntnifs, dafs die fo bequeme
Annahme, den Anlafs der Schrift des Dionyfius
hätte der herrfchende Epikuräismus gebildet, mifs-
glückt ift. Dennoch beruhigt fich der Verf. bei feinem
Irrwege. Hätte er auf die Polemik des Dionyfius forg-
fältiger geachtet, fich die Mühe nicht verdriefsen laffen,
die Urtheile chriftlicher Theologen feit Juftin über den
Epikuräismus einzufammeln, und endlich die Ausein-
anderfetzung der griechifchen, idealiftifchen Philofophen
mit dem Epikuräismus einer Beachtung gewürdigt, fo
hätte ihm nicht entgehen können, dafs die Bekämpfung
diefer Philofophie mitfammt der Atomiftik ein noth-
wendiges Stück in dem Lehrganzen jener Philofophie
war, der auch Dionyfius gehuldigt hat. Nach fpeciellen
Anläffen der Polemik zu fuchen ift daher fchon ein
Fehler. Ein Intereffe hat lediglich die F"rage, feit wann
von chriftlichen Theologen auch das fpecielle Feld der
polemifchen Philofophie gegen Epikur durch befondere
Tractate angebaut worden ift. Die chriftlich-alexandri-
nifche Theologie wetteifert mit der neuplatonifchen. Sie
nimmt ihr eine Aufgabe nach der andern ab und fucht
fich auch dadurch als die wahre Philofophie zu erweifen.
Auf .einen fpeciellen Anlafs darf man auch aus der F'orm
des Tractates (Xöyot, ev haaxoXijg %uo(c/.itjqi yonrytixec,
'riiiolXtqj Tut naiöi 7iQ007recra)i'rji.ttvoi) nicht fchliefsen,
wobei ich es dahingeftellt fein laffe, ob diefer ,zr«ic'
wirklich als Sohn des Dionyfius zu betrachten ift (fo der
Verfaffer) oder als Schüler.*) Den Umfang der Schrift
anlangend, fo conftatirt der Verf. mit Recht, dafs wir
bei Eufebius nur einen Abfchnitt aus dem fehr umfaffen-
den Werke befitzen. Leider hat er die bereits gedruckten
Fragmente bei Simon de Magiftris bei Seite ge-
laffen, da er das feltene Werk nicht hat erlangen können,
und fich auch um Befchaffung weiteren Materials nicht
gekümmert. Ref. meint, dafs der Verf. fich hier allzu
rafch befchieden hat. Wer eine eigene Schrift über ein
fo wenig umfangreiches Object fchreibt, wie die Fragmente
des Tractates ntqi wvoswg es lind, darf fich der
Pflicht nicht entziehen, diefe Fragmente wenigftens voll-
ftändig zu fanimeln.

Die Ueberfetzung des Verf.'s lieft fich gut; augen-
fcheinlich ift auf diefelbe viel Sorgfalt verwendet worden,
i Man wird mit Intereffe die ausgebreiteten Kenntnifse des
I Dionyfius, namentlich die aftronomifchen und naturwiffen-
fchaftlichen, regiftriren, fowie feine fachliche Polemik
würdigen. Aber Eines wird jedem aufmerkfamen Lefer
klar werden, dafs die Bezeichnung diefer Schrift als
,altchriftliche Widerlegung der Atomiftik Demokrit's
und Epikur's' unerträglich ift. Chriftlich, um von alt-
chriftlich zu fchweigen, find nur die wenigen Bibelcitate,
die ebenfowohl fehlen könnten. Sonft ift an der ganzen
Schrift nichts .chriftlich', und zum Ueberflufs fagt Dio-
| nyfius felbft im Eingange des bei Eufebius erhaltenen
j Abfchnitts: ,Das Weltall ift eine zufammenhängende
Einheit, wie wir und die weifeften der Griechen, Plato
und Pythagoras, die Stoiker und Heraklit glauben'. Da
ift ja die ganze, wohlbekannte Gefellfchaft beifammen,
und Dionyfius argumentirt überall für fie alle. Der Verf.
hat, wie die Lehren der Atomiften nach Dionyfius, fo
auch die Widerlegung derfelbcn durch ihn forgfältig

*) Der Verf. fagt, ihm fei kein Beifpiel bekannt, dafs Schüler als nuTdec
bezeichnet worden wären. Man darf hier doch wohl an die ep. A/ricani
ad Orig. erinnern, in welcher Origenes als vlof angeredet wird.