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Ausgabe:

1883 Nr. 21

Spalte:

494-497

Autor/Hrsg.:

Beck, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Erbauungsliteratur der evangelischen Kirche Deutschlands. I. Tl 1883

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 21.

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nicht, weil Tie völlig aufserhalb der in Deutfchland
neuerdings über das Dogma gepflogenen Discuffion flehen.
Aus dem gleichen Grunde 'werden fie ,dem deutfchen
Volke' nicht zur Verfländigung dienen können, an
welches der Herausgeber das Buch als ein populäres
adreffirt, obfchon z. B. einmal ,von dem Querbalken des
0 in der berühmten Stelle von Pauli erfter Epiftel an
Timotheus' die Rede ift ohne irgend welche Erläuterung
u. dgl. m. Das Weglaffen fämmtlichcr Citate, welches
für die Ueberfetzung beliebt worden ift, macht das Buch
nicht populärer*).

Nach einer einleitenden Vorlefung wird in Vorl. II.
über die Vorandeutungen der Gottheit Chrifti im A. T.
gehandelt, III. über des Herrn Werk auf Erden als ein
Zeugnifs feiner Gottheit, IV. über des Herrn Gottheit,
durch fein Selbftbewufstfein bezeugt, V. über diefelbe
in den Schriften Johannis, VI. wie fie von Jacobus,
Petrus und Paulus gelehrt wird, VII. über die Homoufie,
VIII. über einige Folgen der Lehre von der Gottheit
des Herrn.

Das Werk ift eine apologetifche Leiftung, wie wir
deren in Deutfchland zur Genüge befitzen. Es ift ein
neuer Beleg dafür, wie wenig der chriftlichen Wahrheit
damit gedient wird, wenn man fie in der Manier des
Advocaten vertheidigt, und wäre es der liebenswürdigfte
und geiftreichfte. Geiftreich, warm, von grofser rhetor-
ifcher Schönheit ift vieles in dem Buche. Aber der
Verf. widerlegt einen Gegner, den er fleh zurechtgemacht
. Ift denn keine Chriftologie möglich zwifchen
der von Nicäa und der Renan's? Es werden uns Alternativen
geftellt, die wir nun und nimmermehr anerkennen
können." Viele Gründe fliefsen dem Verf. zu, wo ein
zureichender mehr wöge. Schliefslich ift niemand überwunden
, fondern nur wieder einmal in den Augen des
frommen Laien der Schein erweckt, als ob die Lehre
der ,katholifchen' Kirche über alle Unvollkommenheit
erhaben fei, und jeder Verfuch, der Würde Jefu Chrifti
anders gerecht zu werden, aus dem Unglauben flamme.
Wie unwiffenfehaftlich aber diefe apologetifche Methode
ift, bewährt fich daran, dafs man nur zu oft demfelben
Satze in Einem Athem zuftimmen und widerfprechen
mufs. Vortrefflich find die wefentlichen Ausführungen
der 3. und 4. Vorl. über Jefu Werk (Reich Gottes) und
Selbftbewufstfein, warm und glänzend wird die Einzigkeit
des Gottesfohnes da gezeichnet und fomit der Dogmatik
die chriftologifche Aufgabe in ihrer ganzen Grofsartig-
keit und Schwierigkeit vor Augen geftellt. Aber eine
Schwierigkeit darf doch wieder nicht zum Bewufstfein
kommen, da die Aufgabe durch das Nicänum ein für
allemal ihre entfprechende Löfung gefunden. Demgemäfs
ift das dürftigfte Stück die 7. Vorlefung. In die Lehrentwickelung
während der erften 3 Jahrhunderte hat der
Verf. keine Einficht. Er vertraut feinem ,katholifchen
Inftinct' mehr als der ernften Arbeit hiftorifcher Forfchung.
Er redet von Kritikern, ,die nicht einmal von lutherifchem
Standpunkte aus orthodox genannt werden können'.
In der That könnte das ganze Buch, abgefehen von
p. 495, ein römifch-katholifcher Theologe gefchrieben
haben. Verf. redet von den ,Gottesläfterungen des Paulus
von Samofata' wie ein Epiphanius, als ob uns die Dog-
mengefchichte nicht gerechter urtheilen lehrte. Wolle
der Herr Verf. darüber den gewifs auch ihm zugänglichen
Artikel ,Monarchianismus' in der 2. Aufl. von
Herzog's Real-Enc. vergleichen. Die ,erfinderifche Zügel-
lofigkeit moderner Theorien' über Differenzen zwifchen
Jakobus, Petrus und Paulus ift ihm ein Greuel; ,bei Gelegenheit
des Concils zu Jerufalem' tritt ihre Einftimmig-

*) Der Correctur füge ich bei, dafs ich unterdeffen das Original
in dein der Berliner Bibl. gehörigen Exemplar eingefehen habe. Es führt
den Titel: 7 he Bamplon Lectures for 1S66. The Divinity of Our Lord
andSaviourJesus Christ. <).Ed. O.rf. 1882 und zeichnet fich vorder Ueberf.
durch 3 Vorreden, ein treffliches Inhaltsverzeichnifs, eine Menge interef-
fanter Anmerkungen und durch ftnttliche Sach- und Text-Regifter aus. R.

keit klar zu Tage. Selbft der Jakobusbrief und der
Judasbrief werden für die Lehre von Nicäa ergiebig
gemacht. Dafs Jefus bei feinen Lebzeiten bereits angebetet
wurde, müffen Stellen wie Matth. 2, II. 8, 2. 9, 18.
15, 25. 17, 14 f. 20, 20 beweifen. Matth. 16, 13 wird dahin
j interpretirt: in dem Begriff .Menfchenfohn' liege die
j klare Behauptung der Meffiasfendung inbegriffen und die
Frage fei demnach die: was ift er aufserdem, dafs er
des Menfchen Sohn ift? Die Antwort fordert ein Neues,
das kann nichts anderes fein als: der Sohn Gottes, im
phyfffchen Sinne. Diefer Beweis, wie fcharffinnig geführt
, fällt doch angefichts des Markusberichts in fleh
zufammen. Behauptet der Verf.: ,ein Chriftus, der »die
vollkommene Offenbarung Gottes«, aber nicht perfön-
lichcr Gott ift, unterfcheidet fleh nicht wefentlich von
dem gänzlich menfehlichen focinianiftifchen', fo kommt
I doch alles auf eine gründliche Feftftellung des Begriffs
.Offenbarung' an, den zu erörtern der Verf. nirgends
Anlafs findet, der aber vielleicht für einen wirklichen
Gegner eine ganz andere Bedeutung hat, als für feinen
zurechtgemachten. Wenn übrigens die Männer von Nicäa
,die Sprache einer geiftigen Zeitperiode in die Sprachweife
eines anderen Zeitraumes übertrugen', wiefo
haben dann gerade fie das Dogma ,fixirt', und find wir
dann nicht gleichfalls zu einer Uebertragung in unfere
Sprache berechtigt?

Am intereffanteften war dem Ref. die letzte Vorlefung
, welche die Confequenzen des Dogmas zieht.
I) erhält und befchützt es die vorausgefetzten Wahrheiten
der natürlichen Religion: Die Exiftenz des
perfönlichen Gottes und die Würde des Menfchen. Ref.
würde denfelben Gedanken dahin formuliren, dafs die
Perfönlichkeit Gottes und der Werth des Menfchen allein
in Chrifto offenbar find, und dafs es jene vermeintlichen
Wahrheiten einer natürlichen Religion nicht giebt. Ereilich
würde der fo gewandte Gedanke, fo gewifs er für die
Chriftologie von unfehätzbarer Fruchtbarkeit ift, nicht
dem nieänifchen Dogma zu gute kommen. 2) erhellt und
erklärt es die Wahrheiten der chriftlichen Religion,
nämlich a) Chrifti unfehlbares Lehramt, b) die Bedeutung
feines Leidens und Sterbens, c die Kraft der Sacramente
und d) der priefterlichen Fürbitte Jefu. Ad a) wird man
völlig in die Untiefen der Scholaftik hineingeführt, wenn
z. B. auf Grund von Matth. Ii, 21 von Jefu Kenntnifs
einer ungewiffen Zukunft geredet wird. Auch begegnen
wir einer unter deutfchen Theologen kaum noch mög-
i liehen Argumentation, wenn von Jefu Unfehlbarkeit aus
der mofaifche Urfprung und die hiftorifche Glaubwürdigkeit
des Pentateuchs erfchloffen und mit Pathos procla-
mirt wird. Um fo beachtenswerther und geiftvoller ift
der 3. Abfchnitt, welcher die Frage, ob der Gott Chriftus
j den Menfchen Vorbild fein könne, vielmehr mit dem
Nachweis beantwortet, dafs gerade der Gottmenfch als
folcher die Unfittlichkeit der alten Welt überwunden und
die wahre Sittlichkeit (Keufchheit, Demuth, Liebe) begründet
habe. Hier finden fich viele feine Bemerkungen
und ift mehr als fonft im ganzen Buche eine ernfte Aus-
einanderfetzung mit der Pofition des Verf.'s gefordert.
Uns hat er nicht davon überzeugen können, dafs gerade
diejenige Chriftologie das Geheimnifs der in Chrifto er-
fchienenen Gnade Gottes enthüllt habe, welche diefelbe
auf ein Naturereignifs zurückführen will.

Schönbach. Rade.

Beck, Pfr. Horm., Die Erbauungsliteratur der evangelischen
Kirche Deutschlands. 1. Tl. Von Dr. M. Luther bis
Martin Moller. Erlangen, Deichert, 1883. (XII, 371 S.
gr. 8.) M. 5. —

Der Gedanke, die fogenannte Erbauungsliteratur der
evangelifchen Kirche Deutfchlands im gefchichtlichen
Zufammenhange zu behandeln und zur Darfteilung zu
bringen, ift gut, und feine zweckentfprechende Aus-