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Ausgabe:

1883 Nr. 21

Spalte:

491-494

Autor/Hrsg.:

Liddon, P. H.

Titel/Untertitel:

Die Gottheit unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi 1883

Rezensent:

Rade, Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 21.

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Gefchichte der römifchen Kirche ift die Probe darauf,
dafs der Standpunkt B.'s für fie nicht charakteriftifch,
wenn nicht gar im Widerfpruch mit ihr ift. Der Verf.
ift fo aufrichtig nicht zu verfchweigen, dafs von den )
Prefsknappen der römifchen Kirche in diefen feinen Anflehten
fehr bedeutende Ueberrefte proteftantifchen Be-
wufstfeins erkannt worden find. Und indirect giebt er
ihnen in folgendem Satze Recht: ,Mein Chriftenthum
wird vollftändig begriffen werden in jener Zeit, wo der
Gegenfatz zwifchen Katholicismus und Proteftantismus j
überwunden fein wird' (S. 127). Der Verf. erklärt (S. 364), 1
dafs er mit feinem unpolitifchen Katholicismus nicht !
allein ftehe; und dafs der lutherifche Grundfatz von dem j
chriftlichen Werth der Berufsarbeit von katholifcher Seite
her auch fonft als katholifcher Befitz ausgegeben wird,
ift fchon in diefer L-Z. 1882. Nr. i.Sp. 15. 16 nachgewiefen
worden. Demgemäfs wird uns die Ausficht eröffnet, dafs
bei der von B. gehofften Vereinigung der abendländifchen
Kirchen wir Kvangelifchen unfer chriftliches [
Lebensideal dictiren werden. Ift diefes zu erreichen
, dann werden freilich die römifchen Pfeiler der 1
Kirche keinen Beftand behalten. Es ift mir nicht ganz
verftändlich, wie B. feinen unpolitifchen Katholicismus
für vereinbar mit den Anflehten und Abfichten der
Curie halten, wie er an die grundfätzliche Verträglichkeit
der römifchen Kirche mit dem paritätifchen Staat I
deshalb glauben kann, weil einmal der Osservatore
romano die Politik des Centrums desavouirt hat (S. 291).
Ift denn nicht der Syllabus von 1864 deutlich genug,
oder vermifst B. an ihm die Merkmale einer unfehlbaren
Entfcheidung? — Diefe Erörterungen verfolgen nichts !
weniger als die Abficht, den Verf. aus feiner Kirche j
herauszulocken. Ich wünfehe ihm vielmehr, dafs er fich
in ihr halten möge. Denn dafs in dem Katholicismus |
der Deutfchen trotz aller Contrareformation und jefui- ]
tifchen Einfluffes eine Richtung befteht, welche fich der
fpanifchen und italienifchen Art niemals conformirt hat,
ift eine Thatfache, die auf gefchichtliche Geltung An-
fpruch hat, wie fie auch durch die in Italien herrfchende
Anficht, dafs alle deutfchen Katholiken halbe Ketzer find,
bezeugt wird. Damit meinen die Patrone der fides im-
plicita den Zug der deutfchen Katholiken zu perfönlicher |
Ueberzeugung, welche denfelben dadurch aufgenöthigt
ift, dafs fie fich gegen den Proteftantismus zu behaupten
haben. Das Mafs der Selbständigkeit, welches B. als j
katholifch in Anfpruch nimmt, ift zwar nicht gewöhnlich, j
und wenn er Kleriker wäre, würde er davon überführt j
werden. Aber er weift durch das höhere Mafs von
Freiheit, das er fich nimmt, auf die allgemeinere That- j
fache hin, die ich eben bezeichnet habe. Diefe ift nun
auch ein Zeichen der Zeit, das wir uns in der Gegenwart
zu merken haben, wo der Uebermuth der Römlinge
fich fo breit und fo laut macht. Der Hochmuth kommt
bekanntlich vor dem Fall.

Göttingen. A. Ritfchl.

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Liddon, Domhr. Prof. P. H., Die Gottheit unseres Herrn
und Heilandes Jesu Christi. Acht Vorlefungen. Autorif.
Ueberfetzung der 7. Aufl. Mit einem Vorwort von ;
Pfr. Ph. Fr. Mader. Bafel, Detloff, 1883. (V, 591 S. 8.) !
M. 6.

Der Herausgeber beanfprucht laut Vorwort nur das
Eine Verdienft, das Werk zum Druck gebracht und die
Correcturen beforgt zu haben. Weder der Ueberfetzer,
welcher ungenannt bleiben will, noch der Verfaffer find
ihm für feine Mühwaltung Dank fchuldig. Mindeftens |
hätte er den Ueberfetzer (oder die Ueberfetzerin?) durch
eine gründliche Correctur davor fchützen follen, dafs
wir ihm einiges Unangenehme fagen müffen. Druckfehler
, die als folche leicht erkennbar find, bietet das
Buch nicht viele, um fo mehr grobe Nachläffigkeiten, |

welche in ihrem impofanten Zufammenklang eine zureichende
Erklärung nur darin finden, dafs dem Ueberfetzer
nicht nur die Theologie, fondern auch Latein und
Griechifch unbekannte Gebiete find. Eigennamen find
nur ausnahmsweife richtig gefchrieben, um fo häufiger
begegnet uns ein Thukidides, Tertulian, Praxias, Libe-
nius, Hippolitus, Zephergnus (Zephyrinus), Porphyrus,
Lucarus (Lucian), Chrifoftomus, Cyrilus, Antolyens (Auto-
lycus), Eulopius, Amphilocus, Plieronimus, Origines (unzählig
oft, daneben zur Abwechfelung einigemal das
Richtige. Die beliebtere Schreibung hat freilich auch
der jüngfte Theol. Jahresbericht, vgl. p. 81 und 110!),
Socinius, Brettfehneider, Bruno Baur u. a. Der Ueberfetzer
fchreibt Teffalonicher, Gomorer, Gallilea, moza-
ralifch, antinicäifch (vornicäifch), Milenium, Sybille,
corinthifch (cerinthifch), Archeologie, Lyturgie, Rabiner,
Profeliten, Individium, redet Seiten lang von einem ,
Evangeliften Johannis, befindet fich p. 435 ff. in völliger
Verwirrung über die Declination von jefus. Die Stro-
mata und die Agnoetä werden als fem. sing., die Philo-
fophumena als nentr. sing, behandelt. Von Agnoetä
wird dann der Name Agnoetäer hergeleitet; eine andere
Secte heifst im nomin. ,die Alogis'. Statt der Thebaner
treten Thebans auf. Hebräifche Wörter zu transferi-
biren ift nicht leicht: vgl. Kochmah und Scheckinah.
Aber auch lateinifche und griechifche Wörter aus dem
Original abzufchreiben hat feine Schwierigkeit: vgl.
epissima verba, apaugasma t. D. (fo abgekürzt!). Un-
zähligemal begegnen wir der Wortgruppe Humanitaria-
nismus, Humanitarismus, Humanismus, humanitarifch,
Humanitarier, Humanift zur Kennzeichnung einer niedrig-
menfchlichen Anfchauung von Chrifto. Dazu gefellen
fich Apologiften, Transfcendentaliften, Nationalilten,
Anatomiften, Theoriften. Man braucht nur hineinzugreifen
, fo hat man ein wahres Bouquet von Wunderlichkeiten
: ecclefiaftifch (neben eklef.), fubordinatio-
niftifch und Subordinationismus, emanatifch, autoritätifch,
antinominifch (neben antinomifch), commemorial, para- «
doxiellft, ä prioriftifch, Primafärie-Anfchauung, das Me-
taphor, der Pathos, die Paradoxe, Romanze im Sinne
von Roman u. a. m. Aera p. 426 ift völlig unverftändlich.
Wie fchon hiernach zu vermuthen, bietet auch der Stil
faft auf allen Seiten gröfsere oder geringere Anftöfse,
und das Sachverftändnifs ift nicht feiten gefährdet. Eine
folche Verdeutfchung aber verdient ein um fo fchärferes
Urtheil, da das Original ohne Zweifel fehr gut gefchrieben
ift. Man lefe! ,Die Herausforderung der Autenti-
cität {sie!) des Evangeliums Johannis gilt allerfeits für
eine Frage, die über eine nur launenhafte Kritik erhaben
ift'. ,Diefe zweite Beilegung der Frage wurde . . . durch
die berühmte Herausgabe von Brettfehneider's ,Proba-
bilia' geftört, einem im Jahr 1820 in Gotha wohnhaften,
gelehrten Superintendenten'. ,Die Literatur aller Völker
legt bekanntlich gröfseren Nachdruck auf die zerftörenden
als auf die erhaltenden und aufbauenden Folgen der Zeit'.
,Es ift ficher, dafs Chriftus kaum von der Erde erhöhet
war, fei es im Tode oder in feiner Himmelfahrt, ehe
Er fofort alle Menfchen zu fich zog'.

Solch ein Buch zu lefen, wird auch der gewiffen-
haftefte Recenfent fich nicht verpflichtet fühlen. Nur
die Achtung vor den 7 Auflagen, welche das Original
binnen 8 Jahren erlebt hat, und die Ausficht, anderen
eine gleiche Marter erfparen zu können, haben den Ref.
vermocht, es dennoch zu thun.

Wenn wir aus gewiffen Merkmalen einen Schlufs
auf die Entftehung der Vorlefungen ziehen dürfen, fo
find fie ebenfo wie die gleichzeitig deutfeh erfchienenen
von Hatch über die Gefellfchaftsverfaffung der chriftlichen
Kirchen im Alterthum Dank der John Bampton'-
fchen Stiftung an 8 Sonntagen in der Univerfitätskirche
zu Oxford gehalten worden. Doch ift von ihnen eine
ähnliche Förderung unferer Studien wie von dem
Hatch'fchen Werke nicht zu erwarten. Schon deshalb