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Ausgabe:

1883 Nr. 20

Spalte:

464-465

Autor/Hrsg.:

Scheurl, A. v.

Titel/Untertitel:

Die bevorstehende Lutherfeier 1883

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 20.

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Vorbilde des Jeremia (vgl. S. 155) predigen, die Kaf- j digtwefen des Mittelalters nur nach Luther's Klagen und
fandrarolle fpielen zu muffen (S. 196), hält der Verf. für i Anklagen billiger Weife dargeftellt werden kann, fo
feinen eigenften Beruf; und dies verrückt ihm offenbar , wenig genügt es, das Schulwefen der vorreformatorifchen
— um wenig zu fagen — das Concept. Im Gegenfatze j Zeit nur mit einigen Ausfprüchen des Reformators ab-
hierzu ift es gemeint, wenn für verloren und gerichtsreif zuthun. Die Aufzählung der pädagogifchen Schriften
gilt, ,wer das Bewufstfein feiner göttlichen Führerrolle ' Luther's beginnt S. 13 mit der ,kurzen Form die 10 Geverloren
hat' (S. 157). dergleichen Gerichtszeiten kamen böte u. f. w. zu betrachten' von 1520. Aber diefe Schrift
öfter, fo 1806—14, 1848—50 u. f. w.' (S. 67). ,Die Sig- wendet fich an die Gemeinde überhaupt; mit demfelben
natur unfererZeit feit 1848 ift Rechtlofigkeit und Rechts- Rechte müfsten dann auch die übrigen Auslegungen des
ffürzung nicht allein, Sondern Rechtsverkehrung' (S. 22;. Katechismusftoffs, die wir (feit 1516) von Luther kennen,
Als befonders .typifch für uufere Zeit' hebt der neue I mit aufgeführt werden. Den grofsenKatechismus bezeich-
Prophet jedes Wort der alten Propheten hervor, welches net der Verf. S. 15 als ,für die Lehrer' gefchrieben, nach
gegen die Eroberungspolitik' (S. 199), gegen den auf | S. 42 ift er das Müller akroamatifcher Lehrform für die
.göttliche Miffion' recurrirenden .Länderraub'(S.26), gegen Sonntagskatechefen mit gereifteren Schülern. Aber
die ammonitifche .Politik der Intereffen' (S. 200) gerichtet beide Angaben find nicht genau. Derfelbe ift ja laut
ift. Dafs mit folchem Zeugnifs gegen ,das fog. neue ; Luther's Vorrede .fonderlich an alle Pfarrherrn' gerichtet,
Recht' (S. 65) Politik und Militär verdorben werde (Jer. : um ihnen ein Mutter für ihre Katechismuspredigten zu
38, 4), ift ein .Vorwurf, welcher dem lieben Gotteswort j geben, ,den Katechismum oft vorzupredigen'. S. 15 be-
immer wieder gemacht wird' S. 192). Aber Jef. 10, 13 , richtet der Verf., Luther unterfcheide in der .deutfehen
ift eine äufserft charakteriftifche Bezeichnung des univer- j Mette' von 1526 dreierlei Arten des Gottesdienftes und
falmonarchifchen Cäfarismus, fowohl für Rom, als für j der Mette, nämlich 1) die lateinifche Meffe, 2) die deutfehe
die erfte Napoleonifche Herrfchaft u. f. w. zu gebrauchen' | Meffe und 3) die evangelifche Cultusordnuug. Ich weifs
(S. 39). .Unfere Zeit wird es nur zu bald offenbaren', 1 nicht, was er fich bei diefer Bezeichnung der 3. Gottes-
wohin es führt, wenn man ,Flerrfchende', welchen man ; dienftweife gedacht haben mag; wer nicht die deutfehe
höchftens ,eine Richtung auf den Glauben hin' zufchreiben I Meffe felber gelefen hat, der wird nicht ahnen, welche
darf, ,als Gläubige oder gar als Vorbilder des Glaubens | Ideen Luther's hinter diefer .evangelifchen Cultusordnung'
hinftellt: das ift der Weg dahin, fich nicht nur einen , verborgen liegen. Die .Euangelifche ordenunge', von
irdifchen Herrfcher, fondern auch einen Gott und Chriftus J welcher L. dort redet, ift eben noch ganz etwas anderes,
nach eigenem Ermeffen und auf eigene Hand zu er- ; als eine .Cultusordnung'. Der Verf. fchadet feinen Dar-
fchaffen' (S. 192). Der Abfall auf feiner Höhe ift ,voll- j legungen durch das Beftreben, für die Schlagwörter der
ftändiger Cäfareopapismus, wie wir ihn noch fehr hand- ! modernen Pädagogik Belegftellen bei L. nachzuweisen

greiflich erfahren werden' (S. 305). Der .Abfall des
evangelifchen König- und F'ürftenthums feit 1848' (S. 231)
führt auf ,rein abftracte Herrfchaftsgewalt, ohne Eingehen
auf Perfönlichkeit, particulare Zuftände, ohne Achtung
vor dem Alter' (S. 99).

Man fieht leicht, wo dies Alles hinauswill, und begreift
, dafs zur Zeit des Culturkampfes der Staatsanwalt

So wendet L. (S. 53) gar feine Fürforge auch fchon
den .Schul- und Volksbibliotheken' zu; Beweis: er
empfiehlt ja fchon die Anfammlung guter Lehrbücher bei
den Schulen. Was haben denn aber diefe Bibelcommen-
tare, Poeten und üratoren, derRechte und Arznei-Bücher,
ja felbft jene .Chroniken und Fliftorien , welcherlei
Sprachen man haben könnte', deren Anfchaffung L. den

liehe Rothftift im Zauberkreis Solcher Sätze in heftige Schulen empfohlen hat, mit dem gemein, was wir Volks-
Bewegung gerieth. Dafs er aber gerade nur die Stelle j bibliotheken nennen? Oder nach S. 29 hat L. auch fchon
Jef. 59, 14 aufzuftechen und anzuftreichen vermochte ! .die pädagogifche Bedeutung und den erziehlichen Cha-
(S. 123), bleibt immerhin ein denkwürdiges Mifsgefchick. ! rakter der Naturkunde vorausgeahnt und vorbereitet'.
c r u • tt tt tj 1[Beweis: er hatte ja Sinn für Gottes Wunder in der Natur.

Strafsburg 1. E._H. Holtzmann. So refümjrt der ^ Luther,s Ste]lung zu den Realien

. „..,, n . . . «. . „ , , 1 indem wunderbaren Satz: L. hat ,die realiftifchen Fächer

Glock, W.lh, Grundnss der Pädagogik Luthers. Karlsruhe, | keineswegs unterfchätzt oder gering geachtet, wie-
Reiff, 1883. (94 S. 8. mit Holzfchn.-Portr.) M. —.60. ' wonl er diefelben als untergeordnete Hilfsfächer
Der Verfaffer, deffen kleine Schrift über Luther's ! in den Dienft der Religion und Kirche Hellte'. In all
Predigtweife wir kürzlich angezeigt haben, hat eine zweite ' diefen Beziehungen wird die Glock'fche Schrift von der
umfänglichere über die Pädagogik des Reformators nach- ; gleichzeitig in Berlin erfchienenen Arbeit J. Müller's ,Lu-
folgen laffen. Diefelbe ift brauchbarer als jene frühere I ther's reformatorifche Verdienste um Schule und Unter-
Schrift, infofern Sie ziemlich vollständig die hie und da rieht'weit übertroffen; letztere ift weit gründlicher, klarer
verftreuten Aeufserungen Luther's über Gegenstände der und nüchterner.^ Auch der Stil ift dem Verf. mitunter
Pädagogik mittheilt. Ziemlich herausfordernd erklärt der
Verf. in der Einleitung: ,Dem Sach- und Quellenkundigen
wird es nicht entgehen, dafs diefes Schriftchen
durchweg auf felbflandiger und Sorgfältiger Quellen-
forfchung beruht. Auch bin ich gerne bereit, mich
mit berufenen Kritikern . . in ausführlichere Discuffionen

mifsglückt, fo S. 11, wo er L. in feiner Jugend ,die
Schwächen und Schattenfeiten der fcholaftifchen und
asketifchen Schulbildung durchlaufen' läfst.

Magdeburg. G. Kawerau »).

Scheurl, Dr. A. v., Die bevorstehende Lutherfeier. Ein

über das noch viel zu wenig behandelte Thema einzu- I Vortrag, im Nürnberger evangelifchen Arbeiter-Verlaffen
'. Ich bedauere, trotz diefer Erklärung die Quellen- dn gehalten Nürnberg; Löhe, 1883. (16 S. gr. 8.)
Studien des Verf. s an mehreren Punkten bemängeln zu M _
müffen. So wenn er S. 11 von der pädagogifchen Wirk- ' ' 3°-

famkeit der .Hieronymianer, Huffiten, Wicleffiten, Wal- Die Frage, die Sich wohl Mancher fchon in der

denfer, Brüder vom gemeinfamen Leben u. a.' redet, j letzten Zeit vorgelegt hat: Was Soll denn die eigen-
Hätte er das Cap. in Raumer's Pädagogik über die
,Hieronymianer' etwas genauer angefehen, fo würde er
bemerkt haben, dafs es eben die Brüder vom gemeinf.
Leben find, welche Raumer unter diefem Namen in die
Gefchichte der Pädagogik eingeführt hat; und fchon die
Reihenfolge, die in diefer Aufzählung beliebt ift, erweckt
nicht gerade Vertrauen zu den Studien des Verf.'s über
mittelalterliches Schulwefen. Ferner: fo wenig das Pre-

thümliche Bedeutung der grofsen Lutherfeier diefes
Jahres fein? im Unterfchied von den gewöhnlichen, jähr-

') In meiner Befprechung von Hammerllein, Erinnerungen in Nr. 17
ift, wie noch nachträglich bemerkt fein möge, durch ein Verfehen in der
Druckerei der Satz verfchoben worden. Die Worte: ,Er kommt bei' auf
Sp. 394 finden ihre Fortfetzung Sp. 395 Z. 36: .feinen Freunden u. f. w.'
und zu dem Sp. 396 befindlichen Satzanfang: ,Er identificirt' gehört
Sp. 394 Z. 19 v. u. und folgende als Ergänzung.