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Ausgabe:

1883 Nr. 20

Spalte:

461-463

Autor/Hrsg.:

Vilmar, Aug. Fr. Chr.

Titel/Untertitel:

Collegium biblicum 1883

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 20.

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Stichen des in vier Columnen gefchriebenen Cod. Sinait.
genau den Stichen der Rollen des Anonymus Herculanen-
sis de natura Deorum {ed. Petersen Hamburg 1833). Der
Augenfchein legt hiebei die Annahme aufserordentlich
nahe, dafs die Handfchrift mit genauer Beibehaltung der
Columnen des Rollenbuchs in die Codexform übertragen ift.

Ich verzichte für jetzt auf eine Vermehrung des Materials
und auf weitere Schlüffe. In Aneignung und in Aus-
einanderfetzung mit den Ergebnifsen der zufammenfaffen-
den Arbeit Birt's wird der Theil der neuteftamentlichen
Textgefchichte, der die Bafis für die textkritifchen Unter-
fuchungen bilden mufs, eine veränderte, lebensvollere
Geftalt gewinnen.

Marburg a. L. G. Heinrici.

ilmar, weil. Prof. ür. Aug. Frdr. Chr., Collegium biblicum.

Praktifche Erklärung der heiligen Schrift Alten und
Neuen Teftaments. Aus dem handfchriftlichen Nach-
lafse der akademifchen Vorlefungen hrsg. von Pfr.

Chrn. Müller. Des Alten Teftaments 4. Tl.: Die j über die Probleme, daran .blinde Wiffenfchaft' fich zer-

hiftorifchem Wiffen erreichen, noch eine Wort- für
Wort-Exegefe, fondern im Einzelnen Ueberfchriften,
praktifche Gefichtspunkte, Fingerzeige geben für das
curforifche Lefen der heil. Schrift, vor Allem aber durch
die ungetheilte Vorführung der göttlichen Thaten die
Seelen der künftigen Plirten für ihr Amt und feine eigentlichen
Aufgaben wecken, wobei er nur, wo es unvermeidlich
war, die falfchen theologifchen Richtungen und
unkirchlichen Auffaffungen kurzer Hand abwies und die
rechten Wege im Grofsen und Ganzen aufzeigte'(S. 362 f.).
Kann man dem Gedanken an fich feinen Beifall nicht
verfagen, wie denn auch fchon Schleiermacher eine derartige
Behandlungsweife der Exegefe als etwas theil-
weife Berechtigtes, ja Nothwendiges bezeichnet hat, fo
kommt in unferem Falle noch hinzu ,die Sicherheit und
Gewifsheit feines gewichtigen Vortrags, die auch den
fernften Zweifel gänzlich ausfchloffen', um die nachhaltige
Wirkung auf überwiegend autoritätsbedürftige Geifter
vollkommen erklärlich erfcheinen zu laffen. Wie ficher
und endgültig fahen folche fich doch hinweggehoben

Propheten. Gütersloh, Bertelsmann, 1883. (VIII, 368 arbeiten mufs wenn der .Prophet Gottes in deutfchen
S M Landen' verficherte, dafs es nur einfach lächerlich ift,

b. gr. 8.; ivi. o. — das Buch jonas anderg

denn als buchftäblich wahre Ge-

,Den hochwürdigen Oberhirten der felbftändigen fchichte auffaffen zu wollen (S. 309 f.), dafs die Urtheile
evangelifch-lutherifchen Kirche in Heffen', F.W. Hoffmann von De Wette, Gefenius und Ewald über den Stil Eze-
und C. Bingmann, dargereicht und mit einem Votum des , chiel's ,als Aeufserungen bewufsten Abfalls in hohem
Verfaffers eingeleitet, welches Uebergang des Kirchen- ■ Grade verachtungswürdig' find (S. 206, vgl. S. 136) u. dgl.
regiments vom Summepifkopat in die Hände des Pafto- j mehr. Und von welcher Art ift denn nun die unfehlbare
rats fordert, giebt diefer Schlufsband des Vilmar'fchen Theorie, welche er dem nüchternen Urtheile der Ge-
Bibelwerkes eine Erklärung der 16 prophetifchen Bücher, 1 fchichts- und Sprachwiffenfchaften entgegenzuftellen hat?
welche meift in gedrängter Ueberficht des Inhaltes ein- j Die Propheten haben zunächft das Verborgene der
zelner Capitel unter Hervorhebung der bekannten Sprüche I Gegenwart (dies die fog. Elenxis, Geifterprüfung), dann
und Denkftellen, bei wichtigeren Abfchnitten aber auch , aber doch auch das Verborgene der Zukunft aufzu-
in einer Vers für Vers fortfchreitenden oder doch die decken (S. 1 f.). Das .Sehen' ift an fich etwas Allge-
Wende- und Mittelpunkte des Gedankenganges ein- meines; es eignete allen Völker im Urzuftand (S. 5), da-
gehender berückfichtigenden Auslegung befteht. Letz- her z. B. Ezechiel's Cherubim ,Uranfchauungen' find, da-
teres ift namentlich bei Jefaja die Regel, während wir j zu fich überall Analoga finden (S. 210 f.). Auf Grund
z. B. den Propheten Sacharja ,im Detail noch nicht diefer allgemeinen menfchlichen Virtuofität erbaut fich

verftehen' (S. 338, vgl. S. 345), daher aus ihm am beften
blofs .Einzelweisfagungen herausnehmen' (S. 350).

Ein bemerkenswerthes Nachwort (S. 355 f.) geht
erftens mit den Kritikern in's Gericht, wobei fich der
Unterzeichnete in derfelben Verdammnifs mit Grau und
Kurtz fieht. In diefer Richtung fei es mir hier erlaubt

aber in der Offenbarungsreligion ein befonders Charisma
(S. 3 f.), vermöge deffen der ,Schauer' fogar ganze Persönlichkeiten
der Zukunft fammt ihren Namen vor fich hat;
fo z. B. Jefaja den Cyrus; ,denn der Name gehört
mit zum Wefen der Creatur' (S. 95). Diefem felben
Propheten müffen, weil er 89 mal im N. T. citirt wird,

auszufprechen, dafs ich den tapferen und mannesmuthi- j ebenfoviele directe Weisfagungen auf Chriftus zugetraut
gen Sinn im Gegenfatze zu fo vieler Erbärmlichkeit, j werden (S. 110). Denn auch Jahveh's Knecht ift wirklich
die man geniefsen mufs, ganz nach Gebühr zu würdigen j der Meffias, fofern derfelbe die Concentration des cor-
weifs, der aus Aeufserungen fpricht, wie S. 67 f. gegen , recten Israel darfteilt (S. 108). Selbft Ezechiel's Tempel
das blinde Vertrauen von Kirchenmännern auf den Rück- j ift eine Weisfagung auf die Fleifchwerdung des Wortes
halt der Fürften- und Staatsgewalt, S. 230 gegen das j (S. 248 f.), und die Stelle 44, 2 geht fogar auf die Jung-
Salon- und Sopha-Chriftenthum, S. 24 f. gegen die Pluto- frau Maria, wie das die katholifche Auslegung richtig
kratie. Aber die Anerkennung tüchtiger Charakterfeiten j gewufst hat. Das Buch Daniel vollends, daraus fchon
des Verf.'s kann mit Einficht in die Verkehrtheit einer j Alexander dem Grofsen vorgelefen wurde (S. 254), be-
wiffenfchaftlichen Leiftung zufammenbeftehen. In zweiter 1 zieht fich nicht blofs auf das römifche Weltreich, fondern
Linie giebt das Nachwort Mittheilungen über die müh- fofern aus demfelben das kleine Horn hervorwächft auch
fame Hcrftellung des Textes, welche auf Grundlage von j noch auf unfere Tage. .Mehr dürfen wir zur Zeit nicht
280 vom Verf. herrührenden Quartfeiten — meift Notizen, j fagen' (S. 265). Wir unfererfeits halten dies für ein fchwer
die als Faden für den mündlichen Vortrag dienten — verantwortliches Spiel mit den betreffenden Stellen. Ohne
unter Benutzung von nachgefchriebenen Heften und von ; Zweifel gefchieht es kraft des Begriffs einer ,fliefsenden
fonftigen theologifchen Veröffentlichungen Vilmar's er- Weisfagung' (S. 268), wenn fogar das gefammte propheti-
folgte. Die Ausfüllungen aus Mathefius und anderen ; fche Wort faft auf jeder Seite berechnet erfcheint auf
Vätern der lutherifchen Kirche verdankt man dem Her- i ,unfere Zeit, wo in der frevelhafteften Weife mit allen
ausgeber, der damit im Sinne des Verf.'s zu handeln Autoritäten und Traditionen gebrochen wird, und was
glaubt (S. 367 f.). Diefer letztere felbft war fich, wie man aus das Schlimmfte ift, zumeift von den höchften Autoritäten
einem mitgetheilten Brieffragment erfieht, zweier Anlagen felbft' (S. 190), eine Zeit, da mit der Treue gegen den
bewusst, auf die ihn Gott ,gnädiger Weife zeitig auf- j Landes- und Lehensherrn das deutfehe Volk fein eigen-
merkfam gemacht hat: Confequenz und Richtung auf ftes Selbft verloren (S. 323 f.) und fich an Militarismus

das wirkliche Leben'. Von beiden follte vor Allem das, ; und Säbelherrfchaft weggeworfen hat (S. 20 f.) _ eine

fechs Semefter füllende, Collegium biblicum Zeugnifs j Zeit, da Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, bürgerliche Stan-
ablegen, deffen erfte Lefung im Herbfti855 begann; über desbeamtung (S. 329) als directe Vorzeichen des, vom
der fünften ift er geftorben. ,Der Meifter wollte in diefer Communismus herbeigeführten (S. 218), definitiven Ünter-
feiner Bibelerklärung weder ein Anfüllen der Seele mit ganges in Sicht treten. Diefen Untergang nach dem