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Ausgabe:

1883 Nr. 19

Spalte:

449-451

Titel/Untertitel:

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. N.F. 5. Jg 1883

Rezensent:

Strack, Carl

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449

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 19. 450

blemen jugendlich ringendeMartenfen mit Schleiermacher
im Jahre 1833 in Kopenhagen hat, dem er bei diefer
Gelegenheit gewiffe Bedenken gegen einige Hauptpunkte
feiner Theologie, fpeciell bezüglich feiner Auffaffung der
Heiligkeit Gottes in ihrem Verhältnifs zur menfchlichen
Sünde ausfpricht; letzteres Bedenken erkennt Schleiermacher
ausdrücklich mit der zuftimmenden Bemerkung

des Schulwefens ein und man kann da kaum von einem
Fortfehritte fprechen'.

Wir haben abfichtlich diefe ganze Stelle wortgetreu
mitgetheilt, weil fie uns für das Ganze charakteriftifch
erfcheint und uns zeigt, in welchem Geift auch diefer
Jahrgang abgefafst ift. Der Herausgeber ift unzufrieden,
dafs wieder hier und da der Kirche einiger Einflufs auf

an, dafs fein Opponent damit ,den Nagel auf den Kopf j die Volksfchule zugeftanden wird und betrachtet die fich
getroffen und den fchwierigften Punkt feiner Dogmatik' ; mehrende Strömung zur confeffionellen Volksfchule als

angefochten habe

Mit Intereffe wird man auch lefen, was M. über die
durch Grundtvig in der dänifchen Kirche hervorgerufenen
Kämpfe und über feine beiden Gegner Clau

ein beklagenswerthes Uebel. Darum führt er mit be-
fonderem Wohlgefallen das Zeugnifs für die Simultan-
fchulen an, welches der fehr kirchlich gefinnte Superintendent
Boie bei Gelegenheit eines Vortrags, den er im

fen und Mvnfter fagt. Das Grofse und Edle in Grundt- BildungsvereinzuDanziggehalten,abgegeben hat. Derfelbe
vig erkennt er an, wenn er auch keine dauernde Sym- zeigte fich als eifriger Vertheidiger der Falk'fchen all-
pathie für den zwar genialen, aber in fchroffen Paradoxien gemeinen Beftimmungen, durch welche die Volksfchule
lieh gefallenden gewaltfamenMann hatgewinnen können; zu ihrer jetzigen Höhe und vorzüglichen Entwickelung
fehr hoch ftellt' er Mynfter, deffen .Betrachtungen über gelangt fei. Dabei fchilderte er den Nutzen der Simul-
die chriftliche Glaubenslehre' er geradezu als die bedeu- I tanfchulen und behauptete, dafs eine Umänderung hierin

tendfte proteftantifche Erbauungsfchrift diefes Jahrhunderts
bezeichnet, während er auch Claufen wohlwollend würdigt
und feinen Standpunkt als einen wefentlichen F"ort-
fchritt vom Rationalismus zum pofitiven Chriftenthum
bezeichnet, wie denn überhaupt die hohe Unbefangenheit
und mild-befonnene Würdigung der verfchiedenen
theologifchen Erfcheinungen und Perfönlichkeiten, wie
iie fich bei dem zwar, entfprechend dem Charakter der
nordifchen Kirchen, ausgeprägt lutherifchen, aber dabei
über einfeitige Parteigegenfätze erhabenen Standpunkt
M.'s verfteht, fehr wohlthut.

Wir können nur zur Leetüre der intereffanten Schrift
einladen, die ebenfo viel Belehrung als Genufs bietet.

Dresden. Meier.

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. Hrsg. in Verbindung
mit Sem.-Lehr. A. Büttner, Lehr. J. Gerhardt,
Sem.-Lehr. A. Hummel etc., von Paff. prim. L. W.
Seyffarth. 1882. Neue Folge. 5. Jahrg. [Der
ganzen Reihe 18. Jahrg.] Breslau, Morgenftern, 1883.
(XV, 412 S. gr. 8.) M. 6. -

Der vorliegende Jahrgang der allg. Schulchronik beginnt
mit folgender Klage: ,Der allgemeine Zuftand des
Schulwefens, wie wir ihn im vorigen Jahrgange fchilder-
ten, dauerte auch im Jahre 1882 fort, leider nicht zum
Vortheil der Schulen und der Volksbildung. Mehr und
mehr wird die Schule in das Parteigetriebe hineingezogen
und die mafsgebenden Grundfätze der Pädagogik werden
oft weniger nach den dem Menfchengefchlecht immanenten
Gefetzen feftgeftellt, fondern nach politifchen Erwägungen
. Die politifchen Parteien wollen Vortheil aus der
Schule ziehen und die Schule wird damit auf falfche
Bahnen gelenkt. Eine freie, gefunde Schulleitung treffen
wir nur feiten an, felbft da nicht, wo man viel für das
Schulwefen thut z. B. in Frankreich. Dort ift der Lehrer
mehr oder weniger ein Diener der politifchen Partei und
er wird mehr durch den Maire geleitet, als durch die
naturgemäfsen Principien der Pädagogik.* In vielen
Staaten kämpfen Hierarchie und Staatsgewalt um den
Befitz der Schule und wo dies weniger der Fall ift, fucht
man die Schule ihrem eigentlichen Zwecke durch Einführung
heterogener Elemente zu entfremden. In Preufsen
hat man der Hierarchie wieder gröfsere Machtbefugnifse
eingeräumt und mehr und mehr wird das Schulwefen
von den confeffionellen Befonderheiten zerklüftet und
damit das Volk innerlich entzweit. Die anderen deut-
fchen Staaten können fich kaum diefen Einflößen entziehen
. In Oefterreich wirkt neben der kirchlichen noch
die Nationalitätenfrage verderblich auf die Entwickelung

* Quod bene notandum.

von grofsem, nachhaltigem Schaden für die Volksfchule
fein würde. Doch kann der Herausgeber trotz feiner
Klage nicht verfchweigen, dafs in vielfacher Beziehung
Fortfehritte im Schulwefen zu conftatiren feien. So mufs
er gleich über Anhalt berichten, dafs fich die Verhält-
nifse der Lehrer in den letzten Jahren fehr günftig ge-
ftaltet hätten. Im Jahre 1872 habe der Staatszufchufs zu
dem Einkommen der Lehrer 220336 M. betragen, 1883
fei derfelbe auf 665 376 M. geftiegen. Von Bremen bezeugt
er, dafs die Leiftung der Volksfchulen auch im
verfloffenen Jahre trotz vielfacher erfchwerender Um-
ftände im ganzen zufriedenftellende Refultate ergeben.
Ebenfo ift nach S. 39 die Ausbreitung der elementaren
Schulbildung in Elfafs-Lothringen in erfreulichen Fort-
fchritten begriffen, wie die Nachweifungen über die im
letzten Jahre in die deutfehe Armee eingeftellten Rekruten
bezeugen. Freilich mufste die Chronik über die
reactionären Bewegungen, welche fich in den Anträgen
auf Herabminderung der Dauer des obligatorifchen Schul-
befuchs bezogen, berichten; aber diefe Extravaganzen
find doch nur vereinzelt, wohl theilweife hervorgerufen
durch die Ausfchreitungen auf liberaler Seite. Wir erinnern
an die Entfernung des Religionsunterrichts aus
den Schulen in Belgien und Frankreich und die Erfetz-
ung desfelben durch blofse Moral. Der Herausgeber
ift, was wir mit FVeuden anerkennen, mit folcher Mafs-
regel nicht zufrieden. Doch fpendet er dem Vorfitzenden
des liberalen Schulvereins in Rheinland, dem Bonner
Prof. J. B. Meyer, nicht geringes Lob. Diefer ftellt aber
in feiner Schrift ,Der Kampf um die Schule' folgende
Sätze auf: 1. Die Sorge für eine einheitliche Volksbildung
ift Recht und Pflicht des Staates, Regelung durch ein
Gefetz. 2. Auf den Univerfitäten bleibt die Wiffenfchaft
frei, auch die Theologie, und darf durch keine Kirchenbehörde
eingeengt werden. 3. Für weiter gehende
Schulen fällt der Religionsunterricht nach der Confir-
mation fort. 4. Für die Kinder auch in den übrigen
Schulen vor ihrer Confirmation bleibt der Religionsunterricht
der Schule in ungemifchten Gemeinden; in gemifch-
ten mache man den Verfuch mit einem allgemeinen,
vom Confeffionellen abfeilenden Religionsunterrichte.
5. In gemifchten Gemeinden find die Simultanfchulen
einzuführen. 6. Ift es nicht möglich, mit Beibehaltung
des Religionsunterrichtes die Schulen in diefer Weife zu
organifiren, fo fcheide man folchen aus und überlaffe ihn
den Eltern und Religionsgemeinden. Ift es zu verwundern
, dafs gläubige, ihrer Kirche treu ergebene Chriften
folchen Grundfätzen mit aller Entfchiedenheit entgegentreten
? Anerkennen wollen wir noch, dafs Hr. Seyffarth
einer in radicalem Sinne abgefafsten Schrift von Dr. M.
G. Conrad .Erziehung des Volkes zur Freiheit' zwar
nicht allen Beifall verfagt, doch auch keineswegs feine
Zuftimmung ertheilt mit dem Zufatz: ,Diefe Art des
Kampfes bringt nichts zuwege; dies Feld will in ganz

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