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Ausgabe:

1883 Nr. 19

Spalte:

440-441

Autor/Hrsg.:

Hauck, Albert

Titel/Untertitel:

Die Bischofswahlen unter den Merovingern 1883

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 19

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gegen eine folche Theilung von vornherein fchwere
Bedenken habe, weil fie im Bewufstfein der älteften Gemeinden
eine Unterfcheidung fetzt, die fich nur fchwer
vollziehen läfst, und weil fie überhaupt das uns vorliegende
Problem verwickelt, ftatt dasfelbe zu vereinfachen.
Es ift noch nicht lange her, dafs durch Heinrici mit
Nachdruck für die Erklärung der älteften Gemeindever-
hältnifse auf die Parallele des Patronats in anderen reli-
giöfen Genoffenfchaften verwiefen wurde. Da diefes in
der chriftlichen Gemeinde nicht mit dem Presbyterium
zufammenfallen kann, fo hätten wir fo in der That eine
ähnliche Doppelheit. Aber freilich wäre damit eher zu
beweifen, dafs der Presbyterat gerade um feines geift-
lichen Charakters willen das Bleibende geworden ift.
Laffen wir aber dies bei Seite, fo kann doch die Hypo-
thefe auch in der ihr von Harnack gegebenen Geftalt
fich ja nur durch die Probe an den Quellen bewähren,
wie denn auch Harnack den Beweis auf diefem Wege
vorläufig angetreten hat. Wir können hier auch vorläufig
noch von dem fchwerwiegenden Momente abfehen, welches
in der Verwerthung der Quellen die Stellung be-
anfprucht, die die einzelnen Urheber, mitten in der Entwicklung
ftehend, zu den Einrichtungen eingenommen
haben. In jedem Falle mufs fich trotz aller Neigungen
und Beftrebungen derfelben eine Gemeinvorftellung über
die Natur der Aemter zu erkennen geben, und die nächfte
Probe liegt alfo darin, ob fich in derfelben die Hypo-
thefe über den Charakter der beiden verfchiedenen Or-
ganifationen bewährt. Da fcheint mir nun vor allen
Dingen nichts damit bewiefen, dafs in Gem. Rom. 42
eniaxonni und öidxovoi nebeneinander geftellt find und
dafs in 1 Tim. die Anweifungen für Beide fo viel Ge-
meinfames haben. Denn nach Gem. Rom. 44 find ja
eben die hüa/.onoi nichts anderes als ngeaßvcegoi, und
für die Paftoralbriefe erhellt dasfelbe aus dem Titusbrief.
Im Hirten des Hermas läfst fich Vis. III, 9, 7—10 die
Mifsftimmung über die ngorjyoviieroi der Gegenwart nicht
verkennen, aber ebenfo wenig, dafs das Amt der Zucht,
welches fie bewahren follten, ein geiftliches Amt ift,
welches fie verpflichtet, die eigentlichen Geiftesträger in
der Gemeinde zu fein. Ganz dasfelbe geht aus dem
Sim. IX, 31, 5 — 6 über die pastorcs Gefagten hervor,
und nicht weniger für die ngorfloviievoi aus Vis. II, 2, 6.
Ein Amt der Zucht, ohne den geiftlichen Charakter feiner
Träger, als blofs äufserliche Ordnung ift hier überall
nicht zu finden. Vielmehr fällt das Amt hin, wo die-
felben diefen Charakter verleugnen. Auch das Umgehen
der ngsoßvzSQOi in Vis. II, 4, 2 und III, 1,8 läfst fich
leicht als eine Abweichung von der Regel erkennen,
welche darauf beruht, dafs das Recht verwirkt ift, fobald
die wirkliche geiftliche Autorität in Verfall kommt. In
den Ignatianifchen Briefen dürfen wir uns von vornherein
nicht wundern, wenn mit dem mächtig emporftrebenden
Epifkopat auch die Diakonen gehoben werden, eben
weil fie Diener find und von Haufe aus nicht die felb-
ftändige geiftliche Autorität der iigtoßrctgot haben. Aber
auch hier ift der wefentlich geiftliche Charakter des Pres-
byterates durchweg vorausgefetzt. Die Presbyter bilden
den algumko/.og nvev^uTixog oiicpavog xov Tcgtaßvxagtov
Magn. 13, das avvtdgiov D-eov xai wg avvtdgiov unoaxökiov
Trall. 3. Sie ftimmen mit dem Bifchof zufammen, wc;
Xogöai v.ilkäga Eph. 4, worin fich die Vorftellung ursprünglicher
Einheit deutlich genug kundgiebt. Endlich
in Magnes. 2 wird an dem Diakon Zotion gerühmt, dafs
derfelbe dem Bifchof und dem Presbyterium gehorfam
fei, erfterem wg yägixi i>eoi, diefem wg voiuo '/«r/oü
Xgiazov. Auch hierin kann ich nicht mit Harnack den
Unterfchied finden zwifchen der Gnade Gottes, welche
im Bifchof da ift, und dem Presbytercollegium, deffen
Vorhandenfein (nur) auf einer gefetzlichen Anordnung
beruhe. Diefe Anordnung wäre doch von Jefus Chriftus,
alfo nicht blofs menfchliche Einrichtung. Aber das Prä-
dicat vöiiog Xgiaxov fagt wohl überhaupt etwas anderes,

nämlich, dafs in den Presbytern das Gefetz Jefu Chrifti
felbft vorhanden und verkörpert ift, fo gut wie im Bifchof
I die Gnadengegenwart Gottes. Die Diakonen aber haben
I ihnen eben deswegen zu gehorchen. In denjenigen Stellen
aber, in welchen die Diakonen nach Recht und Anfehen
mit Prädicaten wie der Bifchof ausgeltattet werden, ift
wohl zu bemerken, dafs ihnen dies eben als den Organen
, das heifst Dienern des Bifchofes zukommt; nur
daraus erklären fich diefe Steigerungen. Im Briefe des
Polykarp aber Phil. 5 ift kein Zweifel, dafs Presbyter und
Diakonen als Autorität und Beauftragte die geiftlichen
Leiter der Gemeinde find.

Mit diefen flüchtigen Andeutungen von Gegengründen
mufs es hier genug fein. Die Anzeige ift auch fo fchon
mehr als gebührend zur Einfprache geworden. Die Bedeutung
des Gegenftandes mag es entfchuldigen. Die
in ihrer Art neue Beleuchtung, welche derfelbe durch
die Verfaffer erhalten hat, wird jedem zu lebhafter Anregung
werden. Sie behält jedenfalls den Werth eines
Verfuches im echt wiffenfehaftlichen Sinn.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Hauck, Prof. Dr. A., Die Bischofswahlen unter den Mero-
vingern. Erlangen, Deichert, 1883. (IV, 53 S. gr. 8.)
M. 1.20.

Diefe Abhandlung ift die Erweiterung einer akade-
mifchen Rede. Nicht nur weil die Beftimmung der Grenze
zwifchen dem ftaatlichen und kirchlichen Recht bei Ernennung
der Bifchöfe auch für die Gegenwart von In-
tereffe ift, bedarf die Veröffentlichung diefer Studie keiner
Entfchuldigung, fondern vor allem auch deshalb nicht,
weil fie in treffender und bündiger Ausführung auf Grund
des vollftändigen Materials über die Gefchichte der
Bifchofswahlen im merovingifchen Reiche berichtet.

Ausgehend von der Annahme Löning's, dafs bereits
Chlodovech den Rechtsfatz aufgeftellt habe, dafs kein
bifchöflicher Stuhl befetzt werden dürfe ohne Genehmigung
des Königs, fucht Hauck zu zeigen, dafs Chlodovech
den Fortbeftand des bisherigen Rechtes nicht angetaftet
hat, obgleich er die paffende Befetzung der bifchöflichen

I Stühle ftets im Auge gehabt hat. Erft feine Söhne haben

j die abfolute Königsgewalt auch auf die Befetzung der
Bisthümer ausgedehnt; aber von Aufftellung eines

! Rechtsfatzes kann man bei ihnen am wenigften reden.
Die Tendenzen des Epifkopats, den alten Wahlmodus
(durch Clerus und Volk) aufser Gebrauch zu fetzen und
dagegen allein denComprovincialbifchöfen die Wahl zu-
zuweifen, find zeitweilig bis zu einem gewiffen Grade
den Anfprüchen der Könige entgegengekommen, fofern

j fie die Rechtsordnungen an ihremTheile gelockert haben.
Indeffen eben jene Anfprüche haben fehr bald die Folge
gehabt, dafs die Bifchöfe fich auf die Rechte der Kirche
befannen und nun die alten Wahlordnungen forderten,
um der Simonie und der Ernennung von Laien vorzubeugen
. Das Weitere mufs man bei dem Verf. felbft

I nachlefen, der die Entwicklung in den fränkifchen Theil-
reichen bis ins 7. Jahrhundert verfolgt und feine Schlüffe
fo umfichtig zieht, dafs fie Widerfpruch nicht zu befürchten
haben.

Auf die Schlufsbetrachtung des Verfaffers fei noch
befonders hingewiefen. Nachdem das freie Wahlrecht
der Gemeinden untergegangen war — elementare Ver-
hältnifse und die Afpirationen des Epifkopats haben es
zu Fall gebracht und der Epifkopat konnte es nachträglich
nicht mehr erwecken — war die regelrhäfsige Mitwirkung
des Königs bei der Befetzung der Bisthümer
das geringere Uebel; denn die Wahl lediglich durch die
Comprovincialbifchöfe ift ,die fchlimmfte Form der Ergänzung
des Epifkopats. Bei ihm wäre der Zufammen-
fchlufs der Bifchöfe zu einem befondern, dem nationalen

I Leben fich entfremdenden Stande unvermeidlich, jede

! Betheiligung des Laienelements an der Ernennung der