Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1883 Nr. 17

Spalte:

402-403

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Herm.

Titel/Untertitel:

Messianische Psalmen und Weissagungen 1883

Rezensent:

Lindenberg, H.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

40i Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 17. 402

redet werden, die ,negative' Freiheit fei bewiefen. Und
aus diefer fei fodann die ,pofitive', das Vermögen aus
fich felbft, unbeeinflufst von einem jeglichen aufser ihm,
zu einem Act zu gelangen, zu folgern. Aber fchliefst
nicht diefer Beweis über fein Ziel hinaus? Ift Notwendigkeit
nichts objectives, fondern nur etwas pfychi-
fches, fo kann diefelbe ebenfowenig von der Welt aufser
uns, als von der Welt in uns behauptet werden. Der
fpecififche Unterfchied nicht nur der Willenacte von dem
übrigen geiftigen Leben, fondern diefes insgefammt von
dem äufseren Gefchehen ift wieder aufgehoben. Dies
liegt durchaus nicht in der Abficht des Verf.'s, wohl
aber in den Confequenzen feiner Ausführung. Er müfste
denn feinen Beweis für die Thatfächlichkeit der Freiheit
auf einen Beweis für die Möglichkeit derfelben be-
fchränken, indem er dann die Thatfache der Freiheit,
ähnlich wie Kant, auf die Thatfächlichkeit der fittlichen
Verantwortlichkeit begründete. — Es ift gewifs zu billigen,
dafs der Verf. feine Ausführungen nicht mit ausführlichen
Definitionen begonnen hat, bei denen fich am Anfang
niemand viel denkt, doch wäre es gerade bei dem
Zwecke feiner Schrift zu wünfchen gewefen, dafs er
nachträglich den Inhalt derfelben begrifflich klarer
und pracifer zufammengefafst hätte.

Leipzig. Härtung.

Borgius, Confift.-R. Paft. prim. Dr. Eug., Brosamen vom
Tische des Herrn. 12 Predigten. Eine Abfchiedsgabe
an feine bisherige Gemeinde beim Wechfel des Amts.
Berlin, Wiegandt & Grieben, 1883. (VI, 173 S. 8.)
M. 2. —

Eine Abfchiedsgabe reicht der mit feiner Gemeinde
eng verbundene, augenfcheinlich gern gehörte
und vielgeliebte Prediger beim Wechfel des Amtes und
des Ortes feinen bisherigen Zuhörern in diefen Predigten
dar. Ein Mann redet zu uns, der reich ift an Erfahrung
auf der Kanzel und unter der Kanzel, der das
Leben der Gemeinde und des eigenen Herzens kennt,
der feft im Glauben fleht an die Offenbarung Gottes in
Chrifto und brennenden Herzens feine Gemeinde zu
Chrifto zu führen und bei Chrifto zu halten fucht. Die
Gemeinde ift in der That glücklich zu preifen, die aus
fo treuem Herzen und Munde das Wort des Evangeliums
verkünden hört.

Die Predigten find nach dem Kirchenjahr geordnet
vom Advent bis zum Todtenfefte; nur die letzte Predigt
zur Inftallation beim Antritt des Ephoralamtes macht
eine Ausnahme; die Folge der Zeit, in der fie gehalten
find, ift nicht innegehalten; fie umfpannen die Jahre
1874 bis 1883. Nicht beabfichtigt, aber thatfächlich
vorliegend ift ein anderes Princip der Anordnung, das des
Werthes; von minderwerthigen Predigten wird man zu
werthvolleren geführt, und die Krone des Ganzen ift die
vorzügliche Inftallationspredigt, dem Inhalt nach durch
die echt evangelifche Auffaffung des Amtes, der Form
nach durch die belebte und doch in gehaltener Ruhe
dahinfliefsende Diction. Die dogmatifche Haltung der erften
Predigten, in welchen mit Vorliebe das Dogma von der
perfönlichen Präexiftenz Chrifti verkündet wird, die der
chriftlichen Erkenntnifs doch erft vermitteln1 eines Rück-
fchluffes aus der Erfahrung des Glaubens an die ge-
fchichtliche Offenbarung Gottes in Chrifto erreichbar wird,
geht allmählich über in das lebensvolle Gebiet der chriftlichen
Heilserfahrung felbft; und die Form des hohen,
ftets auf der gleichen Höhe einherfahrenden Pathos, wie
es in den erften Predigten herrfcht, macht je mehr und
mehr der den Stoff beherrfchenden Ruhe Platz, ohne
dafs freilich ein auch hier noch faft zu reiches Pathos
verfchwände. Wo dies Pathos ungehemmt fich ergiefst,
häufen fich Anklänge auf Anklänge, halbe Citate von
Schriftftellen auf halbe Citate von Gefangbuchverfen, wobei
es dem Redner begegnen kann, dafs er in einer
Predigt S. 32 ff. dreimal falfch citirt: S. 41: ,Mitten
wir im Leben find mit dem Tod umgeben', S. 45: ,Es
kann mir nichts gefchehen, als was er hat verfehen und
was mir heilfam ift', S. 46: ,Nimm meine beiden Hände
und führe mich bis an mein Ende nur feliglich'. Auch
| fonft kommen gewagte Behauptungen vor: S. 25: ,Wer
kann an der Wiege eines Kindes flehen, ohne für das-
felbe zu beten?' S. 35, wo das Roth der Jugend in
das Weifs des Alters verwandelt wird; S. 92, wo behauptet
wird, dafs der Herr erft von Oftern an feine
Jünger mit dem ,Friede fei mit euch' gegrüfst habe;
S. 100, dafs der Geift Gottes Wohnung gemacht habe
in einem Buch und dafs dies Buch die Quelle des
Friedens für das Menfchenherz fei; S. 102, dafs Ruhe im
Grabe und im Himmel fei, Frieden aber auf Erden fein
folle. Exegetifch verfehlt dürfte die 9. Predigt, homi-
letifch zu beanftanden in der 10. Predigt die Vertaufch-
ung der Stadt Hebr. 13, 14 mit Stätte, liturgifch
zu verwerfen die durchgehende Correctur des apoftolifchen
Grufses 2 Cor. 13, 13 am Anfange jeder Predigt fein.

Marburg. Achelis.

Schmidt, Paft. Herrn., Messianische Psalmen und Weissagungen
, in Predigten ausgelegt für die chriftliche
Gemeinde. Eine Winterpoftille. Bevorwortet von Prof.
Dr. E. Riehm. 1. Thl. Bremen, Müller, 1882. (XV,
189 S. 8.) M. 2. —

Die Klage, welche Dr. E. Riehm in dem Vorwort zu
der vorliegenden Predigtfammlung erhebt, dafs unfere
fonft fo überreiche Predigtliteratur an gefunder Auslegung
und lebendiger Reproduction des altteftamentlichen Schriftwortes
fo arm fei, ift gewifs eine völlig berechtigte. Schon
aus diefem Gefichtspunkt verdienen diefe Predigten, welche
Abfchnitte aus dem Propheten Jefajas (40, 1 —11. 60, 1—6.
9, 2—7. 11, 1—5) und eine Anzahl von Pfalmen (2. 72.
24. 90. 103. 1. 122. 127. 34. 19) behandeln, allgemeine
Beachtung. Die Schwierigkeit, über altteftamentliche
Texte zu predigen, liegt ja hauptfächlich darin, dafs die
hiftorifche Situation des betr. Schriftwortes zu ihrem
Rechte kommen und doch die Predigt eine chriftliche fein
foll. Der Verf. hat den Beweis geliefert, dafs Beides
fehr wohl fich miteinander vereinigen läfst. Ohne den
Unterfchied zwifchen altem und neuem Teftament zu
I verwifchen, hält er an der Zufammengehörigkeit beider
j Offenbarungen feft und führt überall den Nachweis, dafs
das, was von Ifrael erfehnt, von den Propheten geweis-
fagt ift, feine vollkommene Erfüllung erft in Chrifto gefunden
hat. Als ein charakteriftifches Beifpiel der Behandlungsweife
mag eine kurze Skizze der Predigt über
Jefajas 40, 1—11, am erften Advent gehalten, dienen.
Nach einer kurzen Einleitung über die Bedeutung des
j Tages wird das Thema geftellt: Vernehmt in diefer Weis-
I fagung: 1) den Troff: Siehe, da ift euer Gott; 2) die
Mahnung: Bereitet dem Herrn den Weg. Im erften Theile
j fchildert der Verf. den Eindruck, den das Wort des
Propheten auf die Exulanten machen mufste. ,Wie moch-
| ten die mühfeligen und beladenen Herzen der Gefangenen
| warm werden bei folcher Botfchaft!' Dann zieht er eine
kurze Parallele zwifchen der Zeit des Exils und der Zeit
Johannis des Täufers, wo es unter ähnlichen Verhält-
j nifsen wiederum heifst: ,Und alles Fleifch foll das Heil
j Gottes fchauen', um dann den Uebergang zu machen:
,Wir kennen diefen Troft, wir wollen heute froh werden
in feinem Licht'. So ift der praktifchen Anwendung der
Weg gebahnt, die fich um die Frage dreht: Verlangft
du nach diefem Troft unter der Mühfal, unter der Schuld
j diefes Lebens? Im zweiten Theil wird dann der Vers:
,Alle Thäler follen erhöht werden etc.' bildlich gedeutet
und auf die verfchiedenen Gemüthsverfaffungen praktifch
angewandt. Einen ähnlichen Gang fchlägt die Predigt