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Ausgabe:

1883 Nr. 1

Spalte:

20-21

Autor/Hrsg.:

Harnack, Theodosius

Titel/Untertitel:

Katechetik und Erklärung des kleinen Katechismus Dr. Martin Luthers. 2 . Bd.: Erklärung des kleinen Katechismus 1883

Rezensent:

Löber, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 1.

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hört hat. In feiner ganzen Gröfse aber konnte man |
ihn nur im Rauhen Haufe fehen. Wie er da bald mit
kindlicher Heiterkeit unter der Jugend fich bewegte,
bald mit der ganzen Energie der Liebe die Widerftre-
benden anfafste; das liefs einen die Macht verftehen,
welche er auf die Herzen übte. Jeden wufste er andrer-
feits zu nehmen, jeden, auch den verfunkenften, liefs er
den Refpect fühlen, den er vor der unfterblichen Seele,
vor dem Ebenbilde Gottes empfand. Als eine Beleidigung
diefer Majeflät des göttlichen Ebenbildes erfchien
ihm jede fchablonenmäfsige, gefetzliche Behandlung,
welche an die Stelle der Liebe todte Einrichtungen fetzt.

Eine folche Perfönlichkeit erregt natürlich das aller-
lebhaftefte Intereffe, zu erfahren, wie fie durch Gottes
Begabung und Führung allmählich geworden ift. Von
einer Biographie erwartet man daher vor allem Auffchlufs
darüber., eine Einführung in die verborgene Werkftätte 1
des Geiftes und Charakters, in das perfönliche und Familienleben
, in die bedeutfamen Geftalten der Umgebung, j
Von alle dem leiftet nun Krummachers ,Lebensbild' fehr
wenig. Es ift ja unleugbar mit viel Liebe und Verehrung
gefchrieben, es wird auch, wie fchon erwähnt, dem Charakter
und der Bedeutung W.'s gerecht. Aber im Grunde
giebt es weniger ein Bild feines Lebens, als feiner Werke.
Recht intereffant find die Schilderungen des Rauhen
Haufes, feiner Einrichtungen und feines Lebens. Man
merkt, dafs fie der Verf., der felber als Oberhelfer im
Rauhen H. thätig war, aus eigener Anfchauung kennt.
W.'s weitumfaffende und tiefgreifende, aber weniger
fcharf abgegrenzte Auffaffung der inneren Miffion wird
richtig charakterifirt. Ob es zutrifft, dafs W. auch die
Prägung des Namens der inneren Miffion zukommt?
Ref. ift der erfte Jahrgang der ,Fliegenden Bl.' nicht zugänglich
. Im allgemeinen Bewufstfein giltLücke alsGjuelle,
der doch nicht fo ausfchliefslich, wie Kr. angiebt, darunter
die Wiederbelebung der erftorbenen Kirchengemein- [
fchaften des Morgenlandes verlieht, obwohl er feine weitergehende
Definition allerdings faft ausfchliefslich dahin
exemplificirt. Nicht gerade zum Vortheil gereichen der.
Schrift die umftändliche Aufzählung aller Kirchentagsverhandlungen
. Neben diefen breiten Ausführungen
empfindet man doppelt den Mangel, dafs das Leben
W.'s felbft dabei fo fehr zu kurz kommt. Man hat den |
Eindruck, dafs der Verf. für eine Biographie W.'s keines- j
wegs die genügende Ausrüftung befafs. — ift doch fogar i
in dem wenigen, was er aus W.'s Leben erzählt, manches j
fchief und falfch berichtet. Dafs er fich dennoch dazu
entfchlofs, erfcheint um fo unbegreiflicher, da er davon
Kenntnifs hatte, dafs Prediger Oldenberg, der berufene
Biograph W.'s, im Auftrag der Familie und des Central-
ausfchuffes und im Befitz des reichften Materials mit Ab-
faffung einer Biographie W.'s befchäftigt war. Er mufs
es fich denn auch gefallen laffen, dafs das kurz darauf
erfchienene Werk Oldenberg's das feine gründlich in den
Schatten ftellt. O. bietet alles, was Kr. vermiffen läfst,
zunächft eine Jugendgefchichte, .fo reich an äufseren und
inneren Erlebnifsen, dabei fo feffelnd und anziehend ge-
fchildert, dafs man fich gar nicht davon trennen kann.
Da erkennt man bereits in den Grundlinien den fpäteren
Mann mit dem feurigen ernften Willen, mit dem tiefen 1
redlichen Wahrheitsfinn, dem reichen Intereffenkreis. j
Höchft lebendig rahmt fich um dies Lebensbild die
Zeitgefchichte mit ihren intereffanten Ereignifsen und
Perfonen. Der Fortfetzung diefes Werkes fieht man mit
der Spannung entgegen, die eine fo gründliche quellen- j
mäfsige und dabei fo geiftvolle Arbeit verdient.

Giefsen. Gg. Schloff er.

Harnack, Dr. Theodofius, Katechetik und Erklärung des
kleinen Katechismus Dr. Martin Luthers. 2. Bd. Erklärung
des kleinen Katechismus. Erlangen, Deichert, 1882.
(VII, 382 S. gr. 8.) M. 5. —

Dem in diefer Zeitung befprochenen 1. Bande hat
fich nun der 2. Band in würdigfter Weife angefchloffen.
Denn er bietet eine fo reiche Entfaltung des kateche-
tifchen Lehrftoffies, dafs auch wohlorientirte Katecheten
viel daraus lernen können. Der Verfaffer zeigt feine
katechetifche Meifterfchaft ebenfowohl darin, dafs er den
unermefslichen Stoff auf einfach - klare Hauptmomente
zurückführt, als auch in der Kunft, mit welcher er von
den fo gewonnenen grofsen Gefichtspunkten aus das
weitfchichtige Material ordnet und beherrfcht. Wenn er
weit mehr darbietet, als bei der katechetifchen Unter-
weifung unmittelbar verwendet werden kann, fo wird
dem Katecheten es dadurch ermöglicht, fich den grofsen
Hintergrund der einfach-fchlichten Grundgedanken gegenwärtig
zu halten und fo aus dem Vollen heraus fein Werk
zu treiben.

Mit Recht erwartet der Verf. von dem Katecheten,
dafs er keinen felbftgemachten Schematismus verfolge,
fondern fich ftreng anfchliefse an den Wortlaut des Katechismus
. Doch ift er weit davon entfernt, eine zer-
ftückelte Worterklärung zu empfehlen, durch welche der
innere Zufammenhang des Materials nimmermehr zum
Bewufstfein gebracht, fondern verdunkelt wird. Daher
werden in der vorliegenden Erklärung fehr viele Verbindungslinien
gezogen, durch welche es den Katechu-
menen möglich wird, bei jedem Hauptftücke des Katechismus
die anderen Hauptftücke fich gegenwärtig zu
halten. So wird im Eingang des Dekaloges das Wort:
,Ich bin der Herr dein Gott' fehr treffend als der prägnante
Ausdruck deffen aufgefafst, was Gott in Chrifto
für Israel und für die ganze Menfchheit gethan, ehe er
im Anfchlufs daran feine Forderungen Hellte. Und nicht
minder fruchtbar wird daraus die durch alle Gebote lieh
hindurchziehende Verpflichtung abgeleitet, rückhaltslos
für Gott und die Menfchen zu leben und darin die wahre
Erfüllung des Dafeins zu fuchen. Diefes Zufammen-
fchauen der Hauptftücke tritt uns auch entgegen, wenn
der Verf. fogleich am Anfang des Katechumenenunter-
richtes zum Bewufstfein bringt, wie das höchfte Heilsgut
und das fich daraus ergebende Lebensziel in der Taufe
dargeboten wird.

Bei diefer principiell richtigen Verarbeitung des katechetifchen
Stoffes könnte es wohl befremdlich erfcheinen,
dafs der Verf. manche Lehrftücke nicht in durchgreifendem
Zufammenhang mit den übrigen hervortreten läfst, dafs
er namentlich die Lehre von dem Gewiffen und von den
göttlichen Eigenfchaften in der früher üblichen abftracten
Weife behandelt, als ob das Gewiffen eine von gefchicht-
lichen Einwirkungen unabhängige Gröfse wäre und als
ob die Erkenntnifs Gottes auf anderem Wege gewonnen
werden könnte, als auf Grund der für die Menfchheit
vollbrachten Offenbarungsthaten. Andererfeits wird bisweilen
Zufammengehöriges, aber hiftorifch Auseinanderliegendes
(z. B. Offenbarung, Wort Gottes und Heilige
Schrift) in der bekannten Weife vermifcht. Aber diefe
Ungleichheit der Behandlung wird durch die von dem
Verf. dargelegten Principien und durch die Methode ausgeglichen
, welche fonft in dem Buche die herrfchende ift.
Und felbft dann bietet der Verf. eine Fülle fruchtbaren
Lehrftoffies dar, wenn er aus dem Gefammtgebiet chrift-
licher Erkenntnifs Vieles herbeizieht, ftatt es feiner eigenen
Forderung gemäfs aus dem Text des Katechismus zu
entwickeln.

Befonders dankbar werden Viele es begrüfsen, dafs
der Verf. allen Lehrftücken des kleinen Katechismus ein
reiches Mafs von Licht und Klarheit zuführt aus Luther's
Schriften. Denn die authentifche Erklärung des Katechismus
kann doch nur Luther bieten und der Verf. zeigt