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Ausgabe:

1883 Nr. 16

Spalte:

363-365

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Chr.

Titel/Untertitel:

Bibelforschungen. I. Bd 1883

Rezensent:

Rade, Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 16.

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Diefes Verhältnifs an und für fich mufs fchon jetzt das- j
felbe fein, welches es in Zukunft fein wird, alfo kann |
es fich auch für die Gegenwart nur um dasfelbe Gefetz
der Vergeltung handeln wie für die Zukunft. — Wie
Jeremia nach dem Verf. gewiffermafsen eine vermittelnde j
Stellung einnehmen foll zwifchen den beiden Vergeltungslehren
, fo läfst der Verf. — und dies ohne Frage mit
Recht — in dem leidenden Gottesknechte Deuterojefaja's
beide Anfchauungen in einer höheren Einheit zufammen-
gefafst werden (S. 136 ff.). In einem letzten Paragraphen
werden noch anhangsweife die Berührungspunkte der |
nachkanonifchen jüdifchen Literatur mit jenen beiden
Standpunkten befprochen (S. 145 ff.).

Obgleich aus der Abhandlung deutlich genug hervor- 1
geht, dafs die zur deuteronomifchen Zeit beginnende I
Wende nicht ununterbrochen die Folgezeit beherrfcht !
hat, wäre doch ein zufammenfaffender hiftorifcher Ueber- !
blick über die Geltendmachung der beiden Anfchauungs-
weifen wünfchenswerth gewefen. Das Verhältnifs des 1
nachexilifchen Judenthums zu der von den letzten Propheten
erreichten Höhe des Gefichtspunktes würde da- |
durch in ein charakteriftifches Licht gefteilt worden fein. !
— Aus meinem Referate geht hervor, was fchon der Titel
andeutet, dafs nur eine Seite der altteftl. Vergeltungslehre
hier zur Sprache kommt. Das Räthfel des Leidens
der Gerechten und des Glückes der Gottlofen wird mit
der Befprechung von Jef. c. 53 nur geftreift.

Ich fchliefse mit Dank für die von der altteftamentl.
Theologie wohl zu verwerthende forgfame Arbeit.

Marburg i. H. Wolf Baudiffin.

Hoffmann, Chrph., Vorfteher der Tempelgemeinden in
Paläftina, Bibelforschungen. 1. Bd.: Erklärung der elf
erften Kapitel des Römerbriefs. Jerufalem,Selbftverlag,
1882. (Stuttgart, J. F. Steinkopf.) (IV, 244 S. gr. 8.)
M. 4. 50.

Es hat etwas Erfrifchendes, einmal eine Auslegung
des Römerbriefes zu ftudiren, die nicht nach Meyer,
Hofmann und Philippi fragt. Kann das auch ohne
Schaden im Einzelnen nicht abgehen, fo werden wir
durch um fo felbftändigere Arbeit im Ganzen entfchädigt.
Dem Verf. ift auch offenbar der Umftand, dafs ihm in
Jerufalem alle literarifchen Hülfsmittel fehlten, fehr willkommen
gewefen. Er giebt uns keinen eigentlichen
Commentar, aber doch das Befte, was wir von einem
Commentar fordern, eine fortlaufende Erläuterung des
Gedankeninhalts des Briefes. Abfchnittweife überfetzt er
denfelben und läfst jedem Stück eine bündige Repro-
duction des inneren Zufammenhanges folgen; mit wie
gutem Verftändnifs zumeift, dafür vgl. man z. B. S. 134 ff.
über 7, 7—25. Diefe an den Text gebundenen Erläuterungen
nehmen aber einen verhältnifsmäfsig geringen
Raum ein gegenüber frei eingeflochtenen biblifch-theo-
logifchen und dogmatifchen, auch wohl zeitgefchichtlichen
Excurfen.

Dem Verf. gelten die Worte der h. Schrift als höchfte
Auctorität. In den fog. Einleitungsfragen (AG., Paftoralbrr.
z. B.) giebt er keiner Kritik Raum. Seine hermeneutifch.cn
Grundfätze find doch die einer wahrhaft hiftorifchen Exe-
gefe: was im Briefe gefagt ift, wie ihn Schreiber und
Lefer verftanden, fragt er zuerft, dann ob es wahr ift
und welche Bedeutung es für uns hat. Ja, er thut fich
etwas darauf zu gute, dafs er gefchichtlich verfährt, während
unferen Theologen hiftorifcher Sinn ganz abgeht.

Paulus erhält in Korinth Nachricht, dafs (ich in Rom
eine noch kaum fichtbare Gemeinde von Chriften aus
den Heiden, zumeift Profelyten, um Prisca und Aquila
gebildet habe. Mit diefer die fonft in Rom zernreuten,
einander unbekannten, dem Paulus aber vielfach bekannten
Chriften zu vereinen, fchreibt er an die Gemeinde
und macht den Punkt zum Gegenftande feines Briefes,

der einem Zufammenfchlufs die meinen Schwierigkeiten
entgegenftellte: die Meinungsverfchiedenheit über das
Verhältnifs der Heidenchriften zum jüdifchen Volk und
zum Gefetz Mofe's. Die nationalheidnifche Abkunft der
römifchen Chriften wird oft und entfchieden vertreten;
doch hatten fie als Gottesfürchtige' Heiden einen Eindruck
von der Wahrheit des Judenthums und dem Vorzuge
der Juden. P. befchreibt nun diefen von jüdifchen
Irrthümern bedrohten, zu Chrifto bekehrten Profelyten
in Rom ,das Wefen des meffianifchen Reiches mit eingehender
Widerlegung der jüdifchen Mifsbegriffe von
demfelben'. Und während man fonft wohl fragt, warum
bei P. der Begriff des Gottesreiches, der den Mittelpunkt
der Predigt Jefu bildet, fo fehr zurücktritt, ift des Verf.'s
Commentar gleichfam Ein Nachweis, dafs die Lehre vom
Meffias Jefus und vom Reiche Gottes auf Erden Grundlehre
des Apoftels und von Anfang bis zu Ende Inhalt
des Römerbriefes ift. Man folgt der Durchführung diefer
Anficht mit Intereffe. Der erfte Haupttheil des Briefes
(—8) beantwortet die Frage, ob der Glaube an das Evangelium
vom Meffias Jefus und feinem Königreich zur
Rettung eines Menfchen genüge oder auch abfolut noth-
wendig fei. Pauli Rechtfertigungslehre ift nur eine Folgerung
der fälfehlich für jüdifch erklärten, in der That
altifraelitifchen und von und in Jefus zur höchften Klarheit
vollendeten Idee eines meffianifchen Reiches. Die
ifraelitifche Erwartung wird dadurch der chriftliche Glaube,
dafs Jefus als der wirklich erfchienene Meffias, das Reich
als der Welt noch nicht offenbares, aber in ihm verwirklichtes
, gegenwärtiges erkannt und geglaubt wird.
Diefer Glaube bewirkt eine Umwandlung oder Neu-
fchaffung des Menfchen: die wahre Gerechtigkeit, welche
bei P. nicht anders als in der Bergpredigt zu begreifen
ift. An die Stelle der iustitia forensis tritt eine iustitia
infusa: wer aus dem Glauben das geiftige Leben fchöpft,
wird eben hierdurch gerecht gemacht. Der Meufch Jefus
ergriff zuerft die dem Willen des Schöpfers entfprechende
Beftimmung des Menfchen. Als er die Wahl hatte, entweder
dem Gehorfam des Gefetzes des Geiftes oder dem
irdifchen Leben zu entfagen, blieb er feinem geiftigen
Berufe treu und ftarb. Er ftarb für das Wohl der
Menfchen in demfelben Sinne wie Leonidas für die
Rettung Griechenlands und opferte fich wie diefer, weil
fein Zweck nur durch Verzicht auf das irdifche Leben
erreicht werden konnte. Gott fandte feinen Sohn, fofern
dies in feinem Schöpfungsplane begründet war; der
Menfch, welcher in feiner Perfon die ganze Beftimmung
des menfehlichen Gefchlechts erfüllte, konnte Jefus doch
nur werden durch die Entwicklung. ,Als aber ein Menfch
bis zur geiftigen Reife gekommen war, fo konnte und
mufste auch bei ihm die Sünde in ihrem letzten Bollwerk
, nämlich in der an fich unfchuldigen, aber im Ent-
fcheidungskampf felbft Sünde gewordenen fleifchlichen
Natur des Menfchen verurtheilt werden'. Dem wahren
Menfchen Jefus wird 9, 5 die Gottheit als Fligenfchaft
beigelegt nicht im Sinne einer Identität der Perfon,
fondern einer geiftigen Einheit, zu der auf dem Wege
eines allmählichen gefchichtlichen Werdens auch die
übrige Menfchheit gelangen foll. Denn auf die erfte Zeit,
da das Gottesreich durch Jcfum hergeftellt ift im Geifte
der hierzu befähigten Menfchen, wird folgen eine zweite
Zeit der Enthüllung und zur Anerkennung nöthigenden
Offenbarung der Herrlichkeit Chrifti und feiner Genoffen
in leiblicher Wirklichkeit vor aller Welt. Die dritte Zeit
der Vollendung wird anbrechen, wenn alle Wefen von
derFeffel der Körperlichkeit befreit werden. — Im zweiten
Haupttheile (9—Ii) befpricht P. nicht das Dogma von der
Prädeftination, fondern eine unleugbare, erfahrungsmäfsig
bekannte Thatfache, und handelt nicht fowohl von den
Schickfalen des Menfchen in der endlofen Ewigkeit, von
Willensfreiheit oder Nothwendigkeit, als von dem Verhältnifs
der ifraelitifchen Erkenntnifs Gottes und feines
Willens zu der neuen Offenbarung Gottes in Jefus dem