Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1883 Nr. 15

Spalte:

345-347

Autor/Hrsg.:

Ehses, Steph.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Pack‘schen Händel 1883

Rezensent:

Lenz, Max

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

345

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 15.

346

Ehses, Dr. Steph., Geschichte der Pack'schen Händel. Ein

Beitrag zur Gefchichte der deutfchen Reformation.
Freiburg i/Br., Herder, 1881. (VII, 280 S. gr. 8.)
M. 3. 60.

Die Pack'fchen Händel gehörten bisher zu den
wenigen Fragen der deutfchen Reformationsgefchichte,
worin die ultramontane und die wiffenfchaftlicheForfchung
in der Regel übereinkommen. Dafs Landgraf Philipp mit
feiner leichtgläubigen Annahme des erlogenen katholi-
fchen Gegenbundes, feinen Rüftungen und befonders der
Vergewaltigung der fränkifchen Bifchöfe überftürzt und
rückfichtslos gehandelt, ift von der letzteren ebenfo willig
eingeräumt worden, als die erftere gemeinhin zugegeben
hat, dafs der Fürft immerhin an die Echtheit der Bundesurkunde
geglaubt hat und von dem geldbedürftigen,
notorifchen Fälfcher Dr. v. Pack felbft betrogen worden
ift. Ihne Anficht, wie fie Rommel in feiner von Unkritik
und Voreingenommenheit erfüllten Gefchichte Philipp's
des Grofsmüthigen aufhellte, wonach Beide unfchuldig
und das Bündnifs womöglich echt fein foll, war fo fin-
gulär, dafs fie von ernfthaften Hiftorikern nie beachtet
wurde. Diefe erfreulicheConcordanz ift jetzt von Dr. Ehfes
auch zerriffen worden. Er hat nämlich erkannt, dafs von
Anfang an der Landgraf felbft der Hauptfchuldige war.
Erft durch diefen ift Pack überhaupt zu der Lüge von
dem Bündnifs veranlafst und danach mit der Drohung, ihn
fonft dem Herzog Georg zu denunciren, zu der Fälfchung
gezwungen worden. Wenn er fpäter den Landgrafen
fort und fort belog und betrog, fo hat er das .niemals
mit Abficht oder Vorfatz' gethan, ,fondern nur aus
Nothwehr und um fich felbft foviel wie möglich gegen
Philipp ficher zu ftellen' (208). ,Ein Fälfcher war Landgraf
Ph. nicht in dem gewöhnlichen Sinne; aber ein Betrüger
in ganz viel gröfserem und ftrafwürdigerem Mafs-
ftabe als Pack, da er eine erzwungene Fälfchung, wiffend,
dafs fie eine folche fei, zu ganz viel gefährlicheren und
unheilvolleren Zwecken auszubeuten fuchte, als Pack bei
feinen (fonftigen) aus freiem Antriebe gefertigten Falfi-
ficaten im Auge hatte, nämlich zu blutigem Kriege und
ewigem Hader'. Der Landgraf fchreibt einmal einem
feiner Räthe, als ihm diefer in Leonhard's v. Eck Namen
vorgefchlagen, das falfche Gerede der kaiferlichen Diplomaten
mit Gleichem zu erwidern: ,Lügen habe er nicht
gelernt; das ftehe auch niemand wohl an'. So hat ihn
felbft ein kaiferlicher Minifter dem Kaifer gefchildert:
.zweierlei habe er in diefem Fürften gefunden; das eine
fei Wahrheit: was er rede und handle, das thue er aus
einem offenen Herzen, und erhalte fich alfo, rede nicht
eines und meine ein anderes; das andere fei Beftändig-
keit: dafs nicht, was er heute handle oder rede, morgen
nein fei'. Als Philipp fpäter von Herzog Moritz den
Antrag erhielt, die Gnade Karl's V. durch Abfall und
Kampf gegen Kurfürft Johann Friedrich zu verdienen,
hat er es mit dem zürnenden Wort zurückgewiefen, dafs
er kein Wälfcher, fondern ein Deutfcher fei, der auf
Brief und Siegel, Treu und Glauben halte. Er meinte, der
Kaifer halte felbft nichts von den Italiänern, weil fie es ,für
eine geringe Unehre achten, dafs fie heute einem dienen
und morgen zum andern fallen'. Wer wider Gott und
Gewiifen handle, fchreibt er, der ,werde in der Hiftorie
zu einem ewigen Gedächtnifs gezogen'; und: .füllten wir
hernach hören, dafs einer Dinge von uns fagte, die wir
nit verantworten konnten, und müfsten dazu ftill-
fchweigen, fo wollten wir lieber todt fein'. Jetzt wird
diefem Fürften von einem deutfchen Gefchichtsforfcher
der Schandpfahl errichtet, dafs er ,alle Gefetze des
Völker- und Menfchenrechtes, der Menfchenwürde, des
fürftlichen und gefellfchaftlichen Anftandes, alle Gefetze
der Wahrheit und Redlichkeit in einer Weife verletzt hat,
die es unbegreiflich erfcheinen läfst, wie ihm blinde
Voreingenommenheit den ehrenden Beinamen des Grofsmüthigen
geben konnte'. Sein Zweck war nach E., eine

blutige Entfcheidung der religiöfen Streitfragen herbeizuführen
. Die P.'fchen Händel waren daher die Einleitung
zu den Glaubenskriegen, welche Deutfchland und
Europa durch anderthalb Jahrhunderte in Athem hielten
(8); und als vollendetes Ideal machiavelliftifcher Politik
fleht der Fürft: da, dem der deutfehe Proteftantismus
wie keinem andern fein Dafein verdankt.

Diefe Entdeckung ift fo merkwürdig, dafs wir es dem
Verf. nicht verübeln können, wenn er einer Begebenheit,
die fich auf einer Seite ausreichend darfteilen läfst, 18
Druckbogen gewidmet hat, zumal das urkundliche Material
vorher noch niemals auch nur mit annähernder
Vollständigkeit durchgearbeitet worden ift. Seltfamer
freilich noch als das Ergebnifs ift die Methode der
Forfchung, durch welche es gewonnen wurde. Denn
abgefehen von einem Epiftolarcodex des Würzburgifchen
Kreisarchives, der aufser willkommenen Mittheilungen
über das Verhältnifs Philipp's zu Bifchof Konrad und
befonders den Einfall in deffen Stift nichts wefentlich
Neues enthält, hat E. kein Stück benutzt, das nicht bekannt
gewefen wäre. Weder das Marburger, noch das
Weimarer, noch das Dresdner Archiv find von ihm eines
Befuches gewürdigt worden. Neben den älteren Publi-
cationen ftützt er fich meift auf die fragmentarifchen
Excerpte Rommel's und die kläglichen Abfchriften Neu-
decker's, die ihm überdies bei der Ausarbeitung nur
wieder in Auszügen vorgelegen haben. Blofs durch Interpretation
des bekannten Materials hat er das Refultat,
und durch feitenlange Excerpte wie durch unermüdliches
Rccapituliren des fechs und acht Mal gefagten den Umfang
feines Buches erreicht. Das Erflaunlichfte aber an
dem Buch ift die kritifche Methode, die den Verf. geleitet

I hat. Der Raum verbietet uns, die Verfchiebungen, die
Interpretationskünfte und befonders die unabläffig wiederkehrende
petitio prineipii im Einzelnen nachzuweifen; aber
nach dem, was über die Materialbenutzung gefagt ift,
wird es kaum noch verlangt werden. Dafs die Verdrehungen
abfichtlich find, ift nicht anzunehmen; es
fcheint nur kritifche Farbenblindheit zu fein, die den
damit Behafteten eben nöthigt, Schwarz als Weifs und
Weifs als Schwarz anzufehen. Das eclatantefte Beifpiel
dafür ift das Hauptargument, mit dem unaufhörlich agirt
wird, das Bekenntnifs Pack's bei dem peinlichen Verhör
, das zu feiner Hinrichtung führte, 1536. Der Verf.
fieht in ihm die directe Ausfage, dafs Philipp den Doctor
in der angegebenen Weife mit vollem Bewufstfein der
Lüge zu der Fälfchung der Bündnifsurkunde genöthigt
habe. Sehen wir nun den Inhalt der Urgicht, den er
uns zum Glück nicht vorenthält, an (179), fo lefen wir,
dafs der Fürft den Angeklagten in Kaffel über das ihm
kundgewordene Bündnifs eindringlich ausgefragt, ihn
dadurch zu der Bejahung desfelben gebracht und nun
allerdings unter Zuhülfenahme der Drohung, feine In-
discretion fonft nach Dresden zu melden, ihm das Ver-
fprechen abgenöthigt habe, eine Copie der Urkunde felbft
zu verfchaffen: d. h. mit Ausnahme jener Drohung und

I des nebenfächlichen Umftandes, dafs Pack nach feiner

I Ausfage nur eine Copie, nach der des Fürften das Original
felbft verfprochen hat, nichts anderes, als was Philipp
gleich nach der Klarftellung der Fälfchung im Juni 1528
feinem Schwiegervater felbft bekannt hat; und nicht die
leifefte Andeutung, dafs er die Fälfchung auch nur
irgendwie vorher geahnt, angeregt oder gar erzwungen
habe. Vielmehr ift fein Glaube an die Echtheit nirgends

j beffer bezeugt als in dem Schlufsfatz diefes Bekenntnisses
von Pack felbft: ,decreverat, extrapatriam ad dimi-
dium annum discedere, et non putabat, quod Landgravius

fratri ipsius rei Uta quattuor milia floren. exsolutnrus esset,
nisi litterae originale s hui US foederis exhiberen-
tur} — Worte, die das ganze Kartenhaus der Ehfes'fchen
Hypothefen über den Haufen werfen.

In einem Anhang kritifirt der Verfaffer die Gründe,
welche Melanchthon und Luther zu ihrem Gutachten

#*