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Ausgabe:

1883 Nr. 14

Spalte:

326-327

Autor/Hrsg.:

Gerbel-Embach, C. Nic. von

Titel/Untertitel:

Russische Sectirer 1883

Rezensent:

Bonwetsch, Gottlieb Nathanael

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 14.

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zunehmen anfängt, vermindert fich auch die Zahl der
Pfalmen, bis fie zur Zeit des Frühlingsäquinoctiums wieder
auf das Sommerniveau herabgefunken ift. Anders ift es
in den beiden heiligen Nächten, der Samstags- und
Sonntagsvigilie. Für die kürzeften Nächte ift hier eine
Zahl von 36 Pfalmen und 12 Antiphonen vorgefchrieben.
Nach dem Sommerfolftitium beginnt die Zunahme diefes
Curfus, anfangs nur darin beftehend, dafs ftets längere
Hymnen und Pfalmen ausgewählt werden. Vom i.Auguft
an aber erhöht fich auch die Zahl der Pfalmen von
Woche zu Woche um drei, bis am 1. Nov. der höchfte
Stand 75 Pfalmen und 25 Antiphonen erreicht ift. Den
Winter hindurch wird in den beiden heiligen Nächten
der ganze Pfalter durchgebetet'. Entfprechend ift die
Wiederabnahme geregelt (vgl. S. 24 f.). Diefe Refultate
erfcheinen der Hauptfache nach zwingend, eine nähere
Unterfuchung über die Art, wie die Pfalmen gebetet
wurden, wäre recht erwünfcht gewefen; an eine voll-
ftändige Leetüre kann man doch nicht denken. Die
Quellen für die Iren des Feftlandes werden hierbei den
Dienft verfagen, in den liturgifchen Quellen der irifchen
Kirche felbft wird man, wenn fie zugänglicher gemacht
find, vielleicht Auskunft finden. Ueber diefe .Quellen
orientirt Warren, liturgy and ritual of the Celtic ckurch.
Oxford 1881, doch befchränken fich die Unterfuchungen
Warren's leider faft ganz auf die Abendmahlsliturgie.

Der zweite und dritte Abfchnitt der Abhandlung
von Seebafs ift der regula coenobialis und dem Uber
poenitentialis Columba's gewidmet. Hier gehen zunächft
manche Ausführungen den meinigen parallel, doch fehlen
auch dann in Einzelheiten Ergänzungen nicht. Alsbald
aber wendet fich S. auch hier zu einem Punkte, den ich
gleichfalls völlig beifeit gelaffen hatte. Ein näheres Eingehen
auf die Klofterregel Donat's von Befangon, das
ich unterlaffen hatte, weil es mir, z. Th. aus Unkenntnifs,
mehr weitläuftig erfchien als nützlich (cf. Antiqnae etc.
p. 110 not.), hat für Seebafs' Unterfuchungen über-
rafchend günftige Folgen gehabt. Es zeigt fich ange-
lichts feiner Ausführungen deutlich, welch günftiges
Object Columba's Klofterregel für eine methodifche
Forfchung ift. In Benedict's von Aniane codex regularum
und concordia rcgtilarum fowie in der Regel Donat's hat
man fo vortreffliche Hülfsmittel für alle kritifchen
Operationen, dafs es eine Freude ift, denfelben zuzu-
fehen. Gegenüber der Sicherheit diefer kritifchen
Operationen mufs es jedem Lefer märchenhaft vorkommen
, dafs Ebrard's Behauptungen einmal foviel Glauben
haben finden können. S.'s Refultat, dafs die unzweifelhaft
echte columbanifche regula coenobialis bei Fleming,
Collcctanea sacra p. 4 ff., nicht aber im codex regularum
in urfprünglicher Geftalt vorliege, beftätigt meine, nur auf
allgemeinen Eindrücken begründete Vermuthung (p. 110),
und fcheint mir völlig unanfechtbar. Auch dafür fcheint
mir der Beweis erbracht, dafs nur Cap. 1—9 diefer regida
coenobialis urfprünglich zur Regel Columba's gehört haben,
während der Reit, z. Th. aus anderen Schriften Columba's,
z. Th. aus Caffian entnommen, erft fpäter, doch vor 800,
hinzugefügt fei. Die Plinzelausfuhrungen dagegen über
diefe zweite Hälfte der regula coenobialis fcheinen mir nicht
die gleiche Ueberzeugungskraft zu befitzen; überhaupt
halte ich diejenigen Ausfuhrungen Seebass', die auf das
Bufsbuch Columba's, fein Verhältnifs zur regula und zu
dem Pocnitentiale Vinnian's und zu dem des Gildas fich
beziehen, für die am wenigften befriedigenden. S. hat
vor den PTagen, welche hier fich aufdrängen (cf. Anti-
quae etc. p. 103 not.), fich völlig die Augen verfchloffen.
Dies ift vielleicht fein Glück gewefen, denn mir fcheint
es fo, als ob, je mehr man hinein fieht in das Verhältnils
der verfchiedenen Bufsbücher zu einander, delto
fchwankender der Boden zu werden drohe, auf dem man
fteht. Wie verwickelt eine nach hiftorifcher Sicherheit
trachtende Literärgefchichte der Bufsbücher werden
müfste, das zeigt fchon ein oberflächlicher Blick auf

; die Fortfehritte der Forfchung, welche eine Vergleichung
der Behandlung des Poenitentiale Theodor's von Canter-
bury bei Wafferfchieben mit derjenigen bei Haddan and
Stubbs (Councils and ccclesiastical documents etc. III 1871)
aufweift. Doch ift es möglich, dafs die Aufftellungen
von Seebafs, die auf Einzelheiten aus der Gefchichte der

' Bufsordnungen fich nur feiten einlaffen, im Allgemeinen
dennoch richtig find. Als ficher erwiefen können fie m.
E. nicht gelten. Dafs fie von dem übrigen Inhalt der

! Differtation zu ihren Ungunften fich abheben, ift ein
gutes Zeichen für die Gediegenheit des Ganzen.

Wenn man tadeln wollte, müfste man an Aeufser-
lichkeiten und Einzelheiten fich halten, z. B. an den in-
correcten Druck — viele nicht berichtigte Druckfehler
könnte ich nachweifen —, an manche wunderbaren Abkürzungen
wie (S.43) M. bib. = Maxima bibliotheca patrum,
a. a. Oo (S. 17) — an andern Oertern, an Unebenheiten
des Stils, wie deren eine gleich im Titel fich zeigt, wenn
das S des Genitivs an Luxeuil angehängt ift anftatt an
Columba. Auch inhaltlich liefse fich hie und da über
Einzelheiten mit dem Verfaffer rechten, anderfeits aber
mufs hervorgehoben werden, dafs auch in Bezug auf
Einzelheiten — z. B. textkritifche — manche dankens-
werthe Bemerkung fich findet. Wer nicht aus eigner Erfahrung
es weifs, kann aus S.'s Differtation des üeftcren es
erfehen, dafs alle bis jetzt vorliegenden Texte der Schriften
Columba's viel zu wünfehen übrig laffen. Eine neue
Separatausgabe derfelben wäre, glaube ich, eine ebenfo
dankbare als dankenswerthe Arbeit. Man darf erwarten,
dafs fie bald einmal wird gethan werden, denn es ift vor-
auszufetzen, dafs die Bedeutung Columba's für die ältere
deutfehe bezw. fränkifche Kirchengefchichte immer mehr
deutlicher erkannt und anerkannt werden wird, als es
bislang gefchehen ift. Columba von Luxeuil hat Befferes
verdient, als in der Gefellfchaft Magnoald's, Trudpert's,
Goar's und ähnlicher dunkler Ehrenmänner als ein deut-
fcher Miffionar neben anderen mit aufgeführt zu werden.

Leipzig. F. Loofs.

Gerbel-Embach, Dr. C. Nie. von, Russische Sectirer.

[Zeitfragen des chriftlichen Volkslebens, 8. Bd. 4. Hft]
Heilbronn, Henninger, 1883. (71 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Ueber das noch recht unbekannte Gebiet des ruffifchen
Sectenwefens orientirt diefe Schrift in dankenswerther
Weife. Sie geht aus von einem Rückblick auf die Ent-
ftehung des Raskol, d. h. des grofsen Schismas, welches
die liturgifchen Verbefferungen des Patriarchen Nikon im
17. Jahrhundert hervorgerufen. Mit Recht hat der Verf.
die gewöhnlicheUnterfcheidung von priefterlichen und
priefterlofen Secten für feine Darftellung aeeeptirt.
Dagegen wird durch die Einfchiebung der ,myftifchen
und rationaliftifchen Secten' (Molokanen, Duchoborzen,
Stundiften u. a.) zwifchen die priefterlofen und priefterlichen
die Zufammengehörigkeit der letzteren als Schismatiker
im Unterfchied von den Ketzern verwifcht. Die
priefterlofen Schismatiker verzichten ja nur durch die
Noth der Umftände gezwungen auf Hierarchie und Sacra-
mente (aufser der Taufe) und motiviren dies damit, dafs
nun die Zeit des Antichrifts angebrochen ift, während
jene myftifchen refp. rationaliftifchen Secten grundfätz-
liche Gegner aller Hierarchie und Sacramente find. Was
die Schilderung des Raskol anlangt, fo fcheint mir die
Beanftandung der Echtheit des fog. Stoglaw, d. h. der
den altrituahftifchen Gegnern Nikon's günftigen Befchlüffe
des Concils unter Iwan IV. unberechtigt; eine Berück-
fichtigung der von Subbotin herausgegebenen ,Materialien
zur Gefchichte des Raskols m der erften Zeit feines
Beftehens' 1875 ff. wäre wünfehenswerth gewefen. Mehr
zu vermiffen ift wohl eine Erklärung für den Anftofs,
welchen jene fcheinbar fo geringen liturgifchen Aender-
ungen hervorriefen. Er beruht ohne Zweifel darauf, dafs
für die griechifche Kirche in den von den erften Hier-