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Ausgabe:

1883 Nr. 13

Spalte:

303-305

Autor/Hrsg.:

Barry, Alfred

Titel/Untertitel:

Die natürliche Theologie 1883

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 13.

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bindung mit dem Staate einzugehen: dafs es in Deutfch-
land nicht zu einer Nationalkirche gekommen ift, fondern
nur zu Landeskirchen, lag einfach darin, dafs es keinen
Nationalftaat gab. Was S. 59 über den unterfcheidenden
Charakter der fchweizerifchen Reformation gefagt wird,
ift richtig: es ergiebt nicht ein Verhältnifs des Gegen-
fatzes, fondern gegenfeitiger Ergänzung zwifchen beiden
Zweigen der Reformation. Der Verfuch aber, der weiterhin
gemacht wird , eine religiöfe Grunddifferenz aufzu-
weifen, ift fchwerlich haltbar. Was der Verf. über Freikirchenthum
und Separation fagt, zeigt ein befonnenes
Urtheil; aber darüber foll fich doch Niemand täufchen:
die lutherifche Kirche, wie fie hier gemeint ift, d. h. die
Kirche der ftrammen Lehreinheit nach dem Mafse des
Concordienbuchs, ift als Volkskirche nicht mehr möglich.
Eine lutherifche Separation aber vor dem Auseinandergehen
in immer neue Separationen zu bewahren, würde
nur gelingen können, wenn eine unfehlbare menfchliche
Lehrautorität gefunden wäre.

Darmftadt. K. Köhler.

Barry, Hofpred. Dir. Kanon. Dr. Alfr., Die natürliche

Theologie. Eine Darftellung der den vereinigten Zeug-
nifsen von Gott innewohnenden Beweiskraft. Mit Genehmigung
des Verlagskomitees überfetzt vonj. Clark.
Gotha 1882, F. A. Perthes. (IX, 294 S. 8.) M. 4. —

Die 8 Vorlefungen, aus welchen dies Buch befteht,
find ihrem Hauptinhalt nach als Boyle-Lectures gehalten,
die ftiftungsgemäfs apologetifchen Intereffen dienen.
Nur der vorangeftellte kurze Text und der in einen
mehr erbaulichen Ton hinüberfpielende Schlufs jeder
Vorlefung erinnern daran, dafs diefe Vorlefungen eigentlich
Predigten find. Der Verf. ftrebt einen wiffenfchaft-
lichen Beweis für die Hauptwahrheit der natürlichen
Religion, für die Exiftenz eines perfönlichen, gerechten
und liebenden Gottes an. Er meint natürliche Religion
aber nicht im Gegenfatz gegen die befondere gefchicht-
liche Offenbarung, fondern bekennt fich zur letzteren als
der Ergänzung der erfteren; er gefteht auch zu, dafs die
dem menfehlichen Geift immanente Tendenz zu jenem
Glauben, auf die er aus feiner univerfellen Tliatfächlich-
keit fchliefst, aus ihrer urfprünglichen inftinetiven Geflalt
fich zur Klarheit eines Principes nur unter dem Einflufs
allgemeiner und fpecieller Offenbarung entwickelt habe;
er will nur im Intereffe ebenfowohl der Vernunft wie
der Religion jenen Entwicklungsprocefs zu wiffenfehaft-
licher Klarheit erheben. Die Methode der Erkcnntnifs
Gottes kann nur die der Induction fein; doch wird wie
bei aller Erkenntnifs von Perfonen das Feld der Beobachtung
durch die ,Sympathie' erweitert. Die Schätzung
der menfehlichen Perfönlichkeit nach Wefen und Werth
ift folgenreich für die Erkenntnifs Gottes.

Befonders Gewicht nun legt der Verf. darauf, dafs an
der Erforfchung des Lebensproblemes der Menfchheit
fich alle Fähigkeiten des menfehlichen Geiftes, neben
dem Verftande auch Phantafie, Gewiffen, Herz betheiligen
müffen, dafs die hieraus entfpringenden verfchiedenen
Gedankenreihen der natürlichen Theologie wegen der
Einheit des Subjectes und des Objectes vereinigt
werden müffen, dafs endlich das Gewicht der unabhängigen
und doch convergirenden Zeugnifse mehr als
die Totalfumme der einzelnen beträgt. Es ift ihm ein
Hauptfehler der natürlichen Theologie, dafs fie nur einen
diefer Wege eingefchlagen oder mehrere nur nebeneinander
geftellt hat. ,Eine dreifache Schnur reifst nicht
leicht entzwei', ift der Text für die diefen Gedanken erörternde
Vorlefung.

Die Theologie des Verftandes hat es zunächft mit
der Caufalität zu thun. Dafs es eine einheitliche erfte
Urfache giebt, ift felbftverftändlich. Aber welches ift ihre
Natur? Nun handelt es fich in den Werken der Natur

[ überall um Hinzufügung der Form oder Structur zur
todten Materie, fie haben daher fo viel Analogie mit den
| Werken der Kunft, dafs wir als Urfache für fie eine ähn-
I liehe anfetzen müffen wie für die letzteren einen be-
wufsten Willen, ohnehin die einzige vera causa, die wir
wirklich kennen. Die erfte Urfache ferner für die Sub-
ftanzen felbft — Materie und Geift — kann nicht materiell
fein; der Dualismus verftöfst gegen den unveräufserlichen
Begriff der Einheit der erften Urfache, der Pantheismus
der Weltfeele wird dem Werth der Perfönlichkeit nicht
gerecht; fo genügt nur der theiftifche Schöpferglaube.
Dies Refultat wird beftärkt durch die Betrachtung der
Zweckmäfsigkeit. Aufser dem Beftreben, die Evolutionstheorie
mit der Ueberzeugung von fucceffiven Schüpf-
ungsacten zu verföhnen, hebt fich hier befonders der
Gedanke heraus, dafs die Lücken in dem Gefetz der
abfoluten Convertibilität der Kräfte, welche zwifchen den
verfchiedenen Reichen des Seienden vorhanden find,
überbrückt und die Continuität und Einheit des Univer-
fums gewahrt werden kann nur durch die Idee eines
Planes. Auch die Gegeninftanz der ,Verfchwcndung'
ftöfst dies Refultat nicht um, weil wir bei der Complexi-
tät der Zweckbeziehungen der Dinge den eigentlichen
Zweck des Einzelnen gar oft nicht ermitteln können.
Was der Verftand fo durch mühfame Reflexion entdeckt,
die fchöpferifche Intelligenz, das ergreift intuitiv die die
Schönheit des Weltganzen und feiner Theile würdigende
Phantafie. Scheint fie fich mit dem Pantheismus befriedigen
zu können, fo legt doch ihre Fähigkeit zu ideali-
firen und wiederzuerfchaffen ein Zeugnifs für den Theismus
ab, weil beide Thätigkeiten die Entdeckung der
Ideen eines fchöpferifchen Geiftes im Univerfum invol-
viren. Den Willensgehalt der göttlichen Perfönlichkeit
beftimmt dann die Theologie des Gewiffens und der
Liebe. Das Gewiffen als moralifches Bewufstfein erkennt
die Ideen von Recht, Pflicht, Vergeltung an. Was in
der Wirkung ift, mufs auch in der Urfache fein; dazu
finden moralifche Qualitäten wie Ehrfurcht, Vertrauen
die Gelegenheit ihrer vollen Ausbildung nur in Beziehung
auf Gott; endlich ift die intuitive Begründung der
1 Moralität auf ein eingebornes Gefetz der Menfchennatur
und die utilitariftifche auf ihre Fähigkeit, das Glück der
ganzen Menfchheit herbeizuführen, theoretifch und prak-
tifch unvollkommen, fo lange man nicht das menfchliche
Bewufstfein als Ausdruck des Schöpferwillens fafst und
nicht im Walten eines gerechten Gottes den Grund für
jene Wirkung der Moralität findet. Die Thatfache ferner
der fittlichen Erziehung durch die Gefellfchaft fchliefst
die moralifche Regierung der Menfchheit durch die höchfte
Macht ein, und die Erziehung der Individualität durch
die Umftände des Lebens führt ebenfo wie ganz unmittelbare
und unvermittelte Regungen der Seele auf ein nicht
: menfehliches perfönliches Agens. Nach ähnlichen Ge-
I fichtspunkten wird von der Thatfache der Liebe und
Liebesfähigkeit und der Erziehung zur Liebe auf die
| Liebe als Attribut Gottes gefchloffen.

Dies den Inhalt des Buches nicht erfchöpfende
Referat möge genügen, um zu zeigen, dafs die natürliche
Theologie' hier vielfach andere Wege als die bei
uns traditionellen einfehlägt, und dafs dabei manch' an-
! fprechender Gedanke fich findet, üb das aber genügt,
! um der natürlichen Theologie den verlorenen Credit
wieder zu erwerben? Ref. will nicht dabei verweilen,
dafs religiöfe Urtheile, welche PVlgerungen aus der
chriftlichen Weltanfchauung find, wie das Urtheil über
die erziehliche Kraft des Leidens, wie die Zurückführung
der erziehenden Einwirkung der Gefellfchaft auf Gottes
Wirkfamkeit als allgemeine zugeftandene Wahrheiten benützt
werden, und nur auf zwei Punkte hinweifen. Der
Nerv der Argumentationen des Verfaffers ift die Werth-
fchätzung der Perfönlichkeit; das ift aber ein Gedanke,
[ der mit den Verftandesargumentcn, die mit dem Begriff
[ der Caufalität und der formalen Zweckmäfsigkeit ope-