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Ausgabe:

1883 Nr. 13

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Uhden, Herm.

Titel/Untertitel:

Die Lage der lutherischen Kirche in Deutschland 1883

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 13.

302

zugewandten Wählern und Wahlcandidaten hinzutritt.
Eben die Sachlichkeit, die Ruhe, die Alles abwägende
Vorlicht des Urtheils zeichnen das Loffcn'fche Buch in
hervorragender Weife aus. Irgend eine Voreingenommenheit
zu Gunften der katholifchen oder der evangelifchen
Kirche hat Referent nirgends bemerkt; Nichts wird ver-
tufcht; der Verf. redet eine offene Sprache.

Die getreue Zeichnung, welche Loffen von den Charakteren
der drei Hauptperfonen, des Kurfürften Salentin
von Köln und der beiden Bewerber um die Nachfolge
auf dem Kölner Erzfluhl, des Gebhard Truchfefs und
des Herzogs Ernft von Bayern, entwirft, kann uns eben-
fowenig Sympathie für den fpäter zur evangelifchen
Kirche übergetretenen Truchfefs einflöfsen, wie für die
beiden der katholifchen Kirche treugebliebenen Kirchen-
fürften, den Bayernherzog Ernft und Salentin. Letzterer
war ,ein grofser Freund vom ftarken Trinken, wie das
derzeit zu einem tapferen deutfehen Manne gehörte, mit
dem Cölibate fcheint er es nicht ftrenger genommen zu
haben als die meiften anderen Geiftlichen der hohen
Stifter . . . .; viel Schlauheit und viel Luft an Ränken und
feinen Liften fteckte unter dem polternden Wefen des
groben Rcitersmannes' (S. 35). Von Salentin's Ränken
und Liften giebt uns einen genügenden Beweis fein Streit
mit dem Kölner Domcapitel über die Vefte Recklinghaufen
und den Zonfer Zoll (S. 183 fr., S. 199f., S.412—427)
und ,das polternde Wefen des groben Reitersmannes'
wird fattfam durch feine gegen die Kölner ausgeftofsene
Drohung illuftrirt: ,Er wolle Pfaffen und Bürger anein-
anderhetzen, bis dafs die Bürger die Pfaffen todtfehlügen,
dann wolle er felbft kommen und unter die Bürger,
Weiber und Kinder dreinhauen, dafs er bis an die Knöchel
im Blut gehen könne' (S. 507).

Auch der Lebenswandel des jungen Ernft von Bayern
läfst viel zu wünfehen übrig. Dafs ihn fein Vater lediglich
der Verforgung wegen in den geiftlichen Stand gegeben
(S. 72 ff.), rächte fich; feit 1571 fteigerte lieh feine Abneigung
gegen den geiftlichen Beruf fo fehr, dafs er
.lieber Ketzer werden, als gciltlich bleiben wollte' (S.
116 ff.). Der römifche Aufenthalt in den Jahren 1574
und 1575 unter der barbarifch ftrengen Aufficht feiner
Zuchtmeifter Fabricius und Porzia verdarb ihn noch
mehr (S. 334 ff.). Die Früchte diefer Erziehung waren
allerhand heimliche Ausfchreitungen (S. 341, S. 348 ff),
die ihn fchliefslich nöthigten, fich durch Flucht nach
Neapel der drohenden Strafe feiner Präceptoren zu entziehen
. Während feines Aufenthaltes in Köln zum Zweck
der perfön liehen Bewerbung um die Nachfolge im Erz

fo dafs das von Loffen (S. 24) angeführte herbe Urtheil
des Kölner Minoriten Kratepoil über die Bifchöfe feiner
Zeit völlig gerechtfertigt zu fein fcheint. Näher auf den
Inhalt des Loffen'fchen Buches einzugehen, mufs fich
der Referent leider verfagen. Möge diefe Befprechung
dazu beitragen, die Blicke der Kirchenhiftoriker auf ein
Werk zu lenken, welches als ein Mufter gewiffenhafter
und exaeter Forschung und edelfter Parteilofigkeit, fo-
wie als eine reich fprudelnde Quelle für die Erkenntnifs
der Reformationsgefchichte, wie der Sitten- und Cultur-
gefchichte des 16. Jahrhunderts gelten darf.

Strafsburg i. E. R. Zoepffel.

Uhden, Präpof. Paft. Herrn., Die Lage der lutherischen
Kirche in Deutschland, kjrchengefchichtlich erwogen.
Hannover, Feefche, 1883. (V, 145 S. gr. 8.) M. 2. —

Nach einem Zeitalter urfprünglicher Vollkommenheit
, wenn auch nicht voller äufserer Correctheit — denn
diefe gehört nicht zur wefentlichen Vollkommenheit der
Kirche, — nachdem fie, was wenigftens ihren inneren
Beftand anging, auch der jefuitifchen Gegenreformation
ungefchädigt Stand gehalten, fieht fich die lutherifche
Kirche Deutfchlands, d. h. die Kirche der Augsb. Con-
feffion und der Concordienformel — in ihr fieht der
Verf. das genuine Product der ,Wittenberger Reformation
' — feit dem Ausgang des 30jährigen Krieges den
unausgefetzten Angriffen äufserer Feinde preisgegeben,
des Pietismus und des ihm verwandten Herrnhuterthums,
der Aufklärung, der Union, neuerdings des vollbewufs-
ten Unglaubens. Das Ergebnifs von Allem ift der gegenwärtige
fchwer bedrohte Zuftand. In den altpreufsi-
fchen Provinzen findet fich die lutherifche Kirche unter
einem ,fremdgläubigen' Kirchenregiment, welches feine
Aufgabe darin fieht, ihre Auflöfung herbeizuführen (S. 136.
137); auch in ungemifcht lutherifchen Kirchengebieten
wie in Hannover (S. 134) dringt die Union auflöfend ein.
Ihre letzten Confequenzen enthüllen fich in den Vorgängen
auf der Berliner Stadtfynode und in dem Verhalten des
Überkirchenraths dem Civilftandsgefetz gegenüber: es
konnte nicht anders fein bei einem Kirchenregiment,
welches die fichere Norm und den feften Rückhalt des
Bekenntnifses verloren hat (S. 123. 124). Und doch wäre es
das fchwerfte Unglück für das deutfehe Volk, wenn ihm
feine lutherifche Kirche verloren ginge. Geholfen kann
nicht werden auf dem Weg der Nationalkirche, denn
diefe würde unvermeidlich eine unirte fein, alfo eine
andere Religion haben als die lutherifche Kirche (S. 128),

bisthum hat er für einige Zeit von feinem leichtfertigen j auch nicht auf dem der Freikirchenbildung. Die lutherifche
Leben gelaffen (S. 516), dem er fich aber fofort wieder j Separation in Preufsen hat die Hoffnungen, welche fie
ergeben zu haben fcheint, als die Ausfichten auf Köln j anfangs erwecken mochte, nicht erfüllt, nachdem man
gänzlich gefchwunden waren (S. 685). Auch fpäter noch, j fich voreilig von den Lutheranern in der Landeskirche

als er fchon Bifchof von Lüttich war, hat Herzog Ernft
fich ,oft zur Freude feiner Lütticher als ftarker Trinker
bewährt' (S. 750).

Nicht beffer fteht es mit Gebhard Truchfefs; in

getrennt und über Fragen der kirchlichen Correctheit in
fich felbft gefpalten hat (S. 128 ff). Aber noch fehlt es
nicht an lebendigen Gliedern der lutherifchen Kirche in
allen Ständen. Was ihnen dermalen zukommt, ift, dem

feiner Jugend hatte er — wie fein Onkel, der Cardinal ; inneren Zwiefpalt zu wehren, fich der Neigung zu mo-

Truchfefs, fagte — ,fich unpfäffifch gehalten, ift toll und
voll durch die Stadt gefchwärmt, eher wie ein Waibel
denn wie ein Domherr gekleidet' gewefen (S. 611); fpäter
hat fich fein Lebenswandel gebeffert 'S. 650). Dafs er
noch nach feiner Erhebung auf den Kölner Erzftuhl wie
vor derfelben ein treuer Sohn der katholifchen Kirche
war (S. 583, 611, 629, 645—649, 674 f.), dafs er vor
feinem Liebesverhältnifs mit der Gräfin Agnes v. Mansfeld,
welches fpäter das Hauptmotiv zu feinem Uebertritt zur
evangelifchen Kirche gegeben, nie häretifche Anflehten

dernen, über den urfprünglichen lutherifchen Lehrtypus
hinausgehenden Lehrbildungen zu entfchlagen und feit auf
dem legitimen Recht der lutherifchen Kirche, nicht etwa
blofs der lutherifchen Richtung oder Confeffion, zu beliehen
, dabei auch das bedenkliche Bündnifs mit der
.pofitiven Union' zu meiden, im Uebrigen aber Alles
betend dem Herrn zu befehlen. — Dies iff in den Grundzügen
der Gedankengang der gegenwärtigen Schrift.
Wefentlich Neues bietet fie nicht; eine Auseinanderfetz-
ung mit der zu Grunde liegenden Gefchichtsanfchauung

gehegt (S. 588), hat Loffen unwiderleglich nachgewiefen. , würde, zumal auf dem knappen Raum einer Anzeige,
Uebrigens traf nicht blofs das Leben diefer drei [ ausfichtslos fein. Mit welchem Rechte der Verf. dafür

deutfehen Prälaten manch' berechtigter Tadel, fondern
überhaupt die Sitten eines grofsen Bruchtheiles des ge-
fammten katholifchen Clerus in Deutfchland gegen Schlufs
des 16. Jahrhunderts (S. 171, 225, 226, 547, 570, 573 etc.),

hält, dafs die reformirte Confeffion mehr als die lutherifche
und im Unterfchiede von ihr zur Nationalkirche
ftrebe (S. 60. 80), ift nicht abzufeilen; in der That tragen
beide reformatorifche Kirchen den Zug in fich, eine Ver-