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Ausgabe:

1883 Nr. 12

Spalte:

284-285

Autor/Hrsg.:

Müller, H. F.

Titel/Untertitel:

Goethe‘s Iphigenie 1883

Rezensent:

Lindenberg, H.

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283

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 12.

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anfleht (S. VIII), dafs fie dem Zuhörer Punkte an die
Hand geben, welche ihm den Ueberblick und die Be-
hältlichkeit erleichtern, kann nicht erreicht werden ohne
den näheren, dafs ihre Aufhellung eine nothwendige |
Zucht der Gedanken des Predigers und die Bürgfchaft
der grundlichen Arbeit und des einheitlichen Guffes der
Predigt fei. Diefer einheitliche Gufs fehlt durchweg
in der Predigtfammlung, weshalb oder auch weil die
Dispofitionen fo mangelhaft find. Die am wenigften
mifslungenen find von der Art wie S. 590: Ziehet den
neuen Menfchen an 1) was ift das: 2) wie gefchieht das:
3) was wirkt es? (Eph. 4, 22—28), oder nach Eph. 5,
15—21 (S. 599): Vier chriftliche Lebensregeln 1) Wandelt
vorfichtig; 2) Schicket euch in die Zeit; 3) Werdet
verftändig, was des Herrn Wille fei; 4) Saufet euch nicht
voll. Allein was foll man fagen zu folgenden Dispofitionen
: Text: Rom. 13, 8—10, Thema: Nur die Liebe
erfüllt Gottes Gefetz. Disp.: 1) von einem geftückelten
Kleid, 2) von einem Kleid aus einem Stück, 3) von [
Schulden (S. 124); oder (S. 315) über 1 C. 5,6—8: Wie
der auferftandene Jefus in feiner Gemeinde lebt 1) in j
Corinth, 2) wir haben auch ein Ofterlamm. Und dergleichen
Dispofitionen finden fich viele.

Der Herr Verf. fagt S. VIII, dafs das Leben und
der Heilige Geift den menfchlichen Formalismus fo wenig
lieben, dafs vielmehr die Formvollendung oft der Tod
des Lebens wird. ,Die Predigt fei ein Kunflwerk! Nun
ja, aber in erfter Linie fei fie eine Bethätigung des Heiligen
Geiftes. Und den Geift dämpfet nicht'. Wir ftim-
men ganz bei. Aber in der Mangelhaftigkeit der Dispofitionen
thut fich wahrlich nicht ein ungedämpfter Geift
kund, und überdies macht es keinen guten Eindruck,
wenn ein Lahmer uns über den geringen Nutzen des
Turnens, ein häfslicher Menfch über den Unwerth leiblicher
Schönheit informirt. Gleichwohl behält der Herr
Verf. Recht, dafs die Predigt in erfter Linie eine Bethätigung
des Heiligen Geiftes fein Polle; und dafs auch
diefe Predigten folche Art an fich haben, wollen wir
nicht leugnen. Die Ausftattung ift einfach und folide;
die Correctur ift mit grofser Sorgfalt vollführt.

Marburg. Achelis.

1. Die innere Mission in Berlin. Ueberficht der dem Werke
der inneren Miffion dienenden Anftalten und Vereine,
für das Jahr 1881 zufammengeftellt. Hrsg. von dem
•Berliner Hülfs-Verein des Central-Ausfchuffes für die
innere Miffion der Deutfchen evangelifchen Kirche.
Berlin, Friedr. Schulze's Verl., 1883. (XII, 176 S. gr. 8.)
M. 2. —

2. Scherrer, ehem. Pfr. J., Das Werk des protestantischkirchlichen
Hülfsvereins in der Schweiz. Gefchichtlich dar-
geftellt. Mit (Lichtdr.-) Portr. von Pfr. Willi. Le Grand.
St. Gallen, Huber & Co., 1883. (VIII, 244 S. 8.) cart.
M. 2. 20.

1. Wer geneigt ift, Berlin wie ein modernes Babel
anzufehen, der wird erftaunt fein über die reiche Fülle
chriftlicher Liebesthätigkeit, von welcher uns die dankens-
werthc Arbeit des Berliner Hülfs-Vereins des Central-
Ausfchuffes für I. M. ein Bild entwirft. Da ift wohl kaum
ein Zweig der inneren Miffionsthätigkeit unvertreten, von
der äufserften Grenze der leiblichen Fürforge an bis zur
directen Evangelifation. Einzelnes ift aus älterer Zeit
überkommen, das Meifte verdankt fein Dafein dem vornehmlich
ausWichern's Anregung hervorgegangenen mächtigen
Strom der chriftlichen Liebesarbeit. Von den dem
Werke der inneren Miffion im engeren Sinne dienenden
Vereinen und Anftalten, welche im I. Theile behandelt
werden, find mit Recht die auf rein humaner Grundlage
begründeten und nicht ausfchliefslich von Evangelifchen
geleiteten als folche, welche der I. M. im weiteren Sinne

dienen, unterfchieden. Während die letzteren in Anftalten
und Vereine auf dem Gebiet der Armen- und Krankenpflege
und folche zur Förderung fittlichen und wirth-
fchaftlichen Volkswohls zerfallen, find die erfteren in I.
Anftalten und Vereine auf dem Gebiet der Armen- und
Krankenpflege, II. folche zum Zweck der Jugenderziehung
und Kinderpflege, III. folche zur Förderung kirchlichen
und chriftlich-fittlichen Lebens eingetheilt. Wäre an
diefer Eintheilung zu beanftanden, dafs fie vielfach fehr
Verfchiedenartiges zufammenbringt, fo hat fie das, fo viel
ich fehe, mit allen Eintheilungsverfuchen auf diefem
Gebiete gemein. Zuverläfflgkeit und Selbfländigkeit der
gemachten Angaben zu prüfen ift Ref. natürlich aufser
Stand. Jedenfalls ift es eine fehr mühevolle Arbeit, eine
Arbeit zugleich von hohem Intereffc, durch welche dem
Werk der I. M. nicht blofs in Berlin, fondern aller Orten
ein nicht geringer Dienft geleiftet ift.

2. In diefem Buche will der Verf. ,fo etwas von noch
mangelnder fchweizerifcher Vereinsgefchichte (d. h. nur
der proteflantifch-kirchlichen Hülfsvereine. D. Ref.) mit
Allem, was drum und dran hängt, ein Compendium des
diesfalls Wiffenswertheften für fchweizerifche Vereinsfreunde
und Kirchenglieder' bieten. Darum giebt er
nach einer Einleitung, in welcher er fleh über Wefen
und Entftehung der Diafpora in fehr viel oberflächlicherer
Weife, als es z. B. H. Rendtorff in feiner ,Evang. Diafpora
der preufs. Monarchie' (Berlin 1855) gethan, ausläfst, im
I. Theile zuerft eine Schilderung der kirchlichen Noth-
gebiete, die ziemlich ungleichmäfsig ausgefallen und
keineswegs vollftändig ift. Der II. Theil, welcher von
den Hülfsvereinen handelt, bringt die Darfteilung des
proteftantifch-kirchlichen Hülfsvereins in der Schweiz,
eine Gefchichte des Guftav-Adolf-Vereins und verwandter
Vereine (unter welchen der lutherifche Gotteskaften auch
hätte genannt werden follen). Wirklich werthvoll und anziehend
ift die darauf folgende Gefchichte der Schweizer
Vereine, ihrer Entftehung, ihres Bundes, des Lebens
und der Entwicklung der evangel. Vereine und der
Frauenvereine. Da tritt uns foviel eigenartiges Wefen,
die Schweizernatur, wie fie fich in ihrem Freiheitsfinn,
ihrer Zähigkeit und Nüchternheit auch auf dem Gebiete
des Vereinswefens geltend macht und jedem Verfuch
der Schablonifirung widerftrebt, entgegen, dafs man auch
die mancherlei Specialia, die uns fonft ferner flehen, mit
Intereffe lieft. Das Intereffantefte aber find die beifpiels-
weife gegebenen Mittheilungen über evangel. Schweizer
Diafporagemeinden, meift von Diafporapfarrern felbft aus
lebendiger Anfchauung heraus verfafst. Als Anhang ift
eine kurze Biographie des bekannten Pfarrers Le Grand,
des langjährigen Hausvaters des Basler Alumneums, eines
der hauptfächlichften Mitarbeiter an dem Schweizer
Vereinswerke, deffen Bild auch den Anfang des Werkes
ziert, beigegeben. Etwas nachläffig ift die Schreibweife;
fonft empfängt man, foweit es fleh um Schweizer Verhält-
nifse handelt, den Eindruck genauer eigner Kenntnifs
und wirklicher Zuverläfflgkeit.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Müller, Dr. H. F., Goethe's Iphigenie. Ihr Verhältnifs
zur griechifchen Tragödie und zum Chriftenthum.
[Zeitfragen des chriftl. Volkslebens, 7. Bd. 6. Trift.]
Heilbronn, Henninger, 1882. (58 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Das Verhältnifs der Goethe'fchen Iphigenie zum
Chriftenthum ift neuerdings vielfach befprochen worden.
Darin ftimmen faft alle Erklärer überein, dafs diefes
Drama nur auf dem Boden des Chriftenthums entfliehen
konnte, dafs die handelnden Perfonen, wenn fie auch in
antikem Gewände erfcheinen, in ihren Handlungen und
Empfindungen vom Geift chriftlicher Sittlichkeit beftimmt
werden. Der Verf. der vorliegenden Abhandlung geht
jedoch noch einen Schritt weiter. Anknüpfend an eine
gelegentliche Aeufserung Goethe's, nach welcher die Ent-