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Ausgabe:

1883 Nr. 12

Spalte:

279-281

Autor/Hrsg.:

Kübel, Rob.

Titel/Untertitel:

Ueber den christlichen Wunderglauben 1883

Rezensent:

Rade, Martin

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279

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 12.

280

Wenn das Conftitutionenbuch nur zu der Religion verpflichte
, in welcher alle Menfchen übereinflimmen, fo fei
darin nur das Princip der Toleranz ausgefprochen, aber
nicht verlangt, dafs jemand der Religion, der er von
Herzen zugethan fei, entfage. Diefe Toleranz aber fei
kein Product des Deismus, und eher flamme fie von
Männern wie Cromwell, Fox, Penn u. a., als von den
Deiften. Auch die Perfönlichkeit der Stifter des Freimaurerbundes
gebe zu einer Anklage auf Deismus keine
Veranlaffung. Dafs die Loge kein beflimmtes Glaubens-
bekenntnifs fordere, könne man ihr nicht zum Vorwurf
machen. Sie habe es nur mit fittlichen Aufgaben zu
thun, aber kein Chrift fei gehindert, die fittlichen Aufgaben
in evang.-chriftlicher Ueberzeugung aufzufaffen
und zu löfen.

Nieifen wird fleh die hiftorifchen Berichtigungen
Schiffmann's fowohl hinfichtlich der grofsen Landesloge,
als der Freimaurerei überhaupt gefallen laffen müffen.
Welcher von beiden Autoren die richtigere Anfchauung
über Urfprung und Wefen des Freimaurerbundes vorträgt
, ift nicht zu entfeheiden, da flreng beweifende
Actenftücke fehlen. Dafs aber der Bund als folcher das
chriftliche Glaubensbekenntnifs nicht vertritt, darin ftim-
men Nieifen und Schiffmann überein.

Lennep. Lic. Dr. Thönes.

Kübel, Prof. Dr. Rob., Ueber den christlichen Wunderglauben
. Vortrag. Stuttgart, Buchh. der Evangelifchen
Gefellfchaft, 1883. (24 S. gr. 8.) M. —.30.

Diefer Vortrag wird von vielen, die über ihren
Wunderglauben beruhigt fein möchten, dankbar begrübst
werden. Ref. hat fleh mit den bald biblifch-pofitiven,
bald theofophifch-vernünftigen Ausführungen im Ganzen
nicht befreunden können. Aber wenn fchon der Rahmen
eines Vortrags dem Verf. eine wiffenfehaftlichere Begründung
feiner Anficht unmöglich machte, wie vielmehr
der Rahmen einer Recenfion dem Ref. eine klare Begründung
feines Widerfpruchs.

Im erften, einleitenden Abfchnitt werden abgefehen
vom Chriftenthum Wunder auf dem Gebiete des gewöhnlichen
Natur- und Gefchichtslebens herangezogen, die
als Analogien der biblifchen Wunder zu gelten haben.
Nicht nur die geheimnifsvollen Erfcheinungen, die noch
aller Erklärung fpotten, die aber doch factifch auch
Naturkräften ihre Entflehung verdanken, fondern die
alltäglichen Vorgänge im Naturleben bieten folche Analogien
. ,Merkwürdig: die Bibel braucht, abgefehen vom
fpeeififchen Offenbarungsgebiet, das Wort Wunder für
jene myfteriöfen Naturerfcheinungen nicht'. Wir ftatuiren
ein Wunder, wo wir das innerlich Bewegende in einem !
Lebensvorgang nicht kennen, indem wir als geheim
wirkende Urfache Gott fetzen, den nach feinen Zwecken
über die Natur verfügenden. Wunderglauben erzeugt nur
eine unmittelbare, faft blitzartige Ueberwältigung des
Subjects von dem Object', ,ein der dichterifchen Ergriffenheit
von Gott ähnliches Uebernommenfein von Gott'. Durch
Gott lebendig überführt fage ich: Gott thut das, und:
nur Gott konnte das thun, und entnehme es damit denjenigen
Kategorien, worunter ich mir das fonftige Ge-
fchehen als natürlich fleh vollziehendes denke. Wo der
Verf. nicht auf die fogenannten Naturgefetze reflectirt,
bietet er hier einzelne treffliche Ausführungen. Das
Lebensverhältnifs Gottes zur Creatur ift auf dem Boden
der Natur das des unendlichen, allgegenwärtigen Lebensgrundes
zur endlichen Lebenserfcheinung, auf dem Boden
der Gefchichte das von Ewigkeit und Zeit. Gefchicht-
liches Werden wäre nicht möglich, wenn nicht Neues
aufträte, Epochemachendes. Alles wirklich Neue ift ein
Wunderbares. Aber da redet man von Wundern, ohne
noch ein dem göttlichen urfprünglichen Schaffen analoges
, unmittelbares Eingreifen Gottes und damit ein

Aus-fich-entlaffen und Wirken-laffen wefentlich neuer
Kräfte und Subftanzen zu ftatuiren.

In einem zweiten Abfchnitte werden des weiteren
Analogien behandelt, wie fie die religiöfe Lebenserfahrung
eines jeden Frommen auch aufserhalb des ,biblifchen'
Glaubens bietet, insbefondere die Erfahrung der Gebets-
erhörung. Intereffant ift hier, dafs nicht nur die Gläubigen
des A. und N. T.'s, fondern alle Frommen durch
ihre Gebete den äufseren Erfolg eines Natur- und Ge-
fchichtsereignifses erzielen. Alfo die Erfahrungen des
Aberglaubens bieten Analogien zur Stützung des chrift-
lichen Wunderglaubens? Und die Gebetserfahrung des
frommen Chriftenwird mit der des frommen Nichtchriften
zufammen behandelt, damit von folcher Vorftufe aus
zu der Höhe der biblifchen Wunder emporgefchritten
werde.

Von diefen handelt der 3. Abfchnitt. Das eigentliche
Wunder findet nur im Gebiete der biblifchen Offen-
barungsgefchichte ftatt: ein fubftantielles Einftrömen
material Neues producirender Kräfte aus Gott in die
Welt. Man fleht mit Verwunderung, dafs die Gefchichte
des Reiches Gottes auf die Geschichte der alt- und
neuteft. Offenbarung befchränkt wird. Auch die fata-
nifchen Wunder waren nur möglich durch ihr — freilich
negatives — Verhältnifs zum ,Reiche Gottes'. Sie
treten damit als echte Wunder auf gegenüber den
nur als Analogien in Betracht kommenden Wundererleb-
nifsen des frommen Chriftengemüths, welche nicht auf
dem Boden der fpeeififchen Gottesoffenbarung erfahren
find! Eine neue Kraft, eine neue Subftanz aus Gott
(refp. aus dem Satan?) tritt ein in das Welt- und Menfch-
heitsleben. ,Subftantialer', ,ftoffmäfsiger' als Dorner
und Rothe will der Verf. fleh die Sache denken: alles
vom Lebensgott Gefchaffene ift angelegt auf Füllung
von ihm; wenn er nun die Subftanz und Kraft ewigen
wahren Lebens eingiefst in das Erdenleben, fo braucht
er die zuvor gefchaffenen Dinge und Ordnungen nur als
Organe, um Vollleben da zu produciren, wo vorher nur
halbes, ja geftörtes Leben, ja Tod geherrfcht hat. Wie
das Wunder wurde, ift unbegreiflich, was dabei herauskommt
, nie dagewefen; fobald es ift, fügt es fleh in
den Natur- und Gefchichtsverlauf ein. Das ift aber entweder
felbftverftändlich, denn fobald das Wunder ift,
ift das Wunderbare daran vorüber, oder es ift nicht
biblifch, denn Chriftus war nach feiner Auferftehung
nicht ein Menfch wie andere (gegen das Beifpiel des
Lazarus); hier trifft die Formel nicht, dafs das Refultat
des Wundervorgangs für fein Erfcheinungsleben derjenigen
Form und Weife folgt, in welcher überhaupt
Endliches lebt.

Was nun folgt, der Beweis aus dem unmittelbar
überführenden Eindruck des Wunders, kann doch nur
für die Wunder gelten, die wir felbft erleben. Nach K.
aber erleben wir keine, fondern nur Aehnliches. Und
hier liegt eine Schwierigkeit, die dem Verfaffer verborgen
ift: die biblifchen Wunder verfagen heute den Dienft,
den fie einft geleiftet. Einft halfen fie denen, die fie
erlebten, zum Glauben, wir glauben und müffen nun
erft mit den Wundern fertig werden. Was einft Motiv
des Glaubens war, ift Leiftung, Probe des Glaubens geworden
. Daher mufs auch jeder für fleh mit der Frage
nach der hiftorifchen Wirklichkeit der biblifchen Wunder
fleh auseinanderfetzen. Daher ift bei gleichem Glauben
doch eine fehr verfchiedene Stellung der Einzelnen zu
den biblifchen Wundern möglich und wiederum eine
verfchiedene Stellung desfelben Einzelnen zu den ver-
fehiedenartigen Wundern. Vom Verf. ift eine folche
Möglichkeit nicht offen gelaffen. Auch die völlig veränderte
Naturanficht jener und unfererTage läfst er aufser
Betracht. Insbefondere aber ift zu bedauern, dafs der
pofitiv chriftliche Standpunkt des Verf.'s zu durchfchlag-
endem Einflufs auf die Erörterung nur da kommt, wo
es fleh um die Glaubwürdigkeit der biblifchen Berichte