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Ausgabe:

1883 Nr. 1

Spalte:

6-8

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Leop.

Titel/Untertitel:

Die Ethik der alten Griechen. 2 Bde 1883

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 1.

6

Grunde nur das KünfUiche diefer Autoritätencombination,
was die Folge hat, dafs wir trotz vieler intereffanter
Beobachtungen nicht den Eindruck klarer Wirklichkeit
und beftimniter Begebenheiten bekommen, oder, wie man
fagt, den Wald vor lauter Bäumen nicht fehen. Dies
darf ja nicht hindern, den Werth der Arbeit anzuerkennen
, aber es mufs eine Mahnung fein, auf Grund
diefer Probe die zu Grunde liegende Quellentheorie wiederholt
zu prüfen, oder auf diefes Ergebnifs hin die
Gegenprobe anzuflehen.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Zimmer, Friedr., Neutestamentliche Studien. 1. Bd. Exe-
getifche Probleme des Hebräer- und Galaterbriefs.
Hildburghaufen, Gadow & Sohn, 1882. (VI, 237 S.
8.) M. 3. —

Der fleifsige Verfaffer leidet an einer gewiffen Sucht
Neues zu entdecken. Leider find diefe feine Entdeckungen
gewöhnlich von geringem Intereffe, und es ift
nicht gerade lohnende Arbeit, fich durch folche exege-
tifchen Exercitien durchzuarbeiten. Im Abfchnitt zu
Hebr. 1, 5—14 (S. 1 —19) wird der felbftändige Werth
der altteftamentlichen Citate zur Erhärtung des Satzes
,Chriftus höher als die Engel' verkannt. Der Auffatz über
2, 6—18 (S. 20 — 129) fleht in Beziehung zu dem in den
.Studien und Kritiken' (1882, S. 413 f.; über 2, 1—5 veröffentlichten
. Hiernach foll fich yäg V. 5 auf das nachdrücklich
vorangeftellte aviov V. 4 beziehen, der neue
Abfchnitt alfo erft mit V. 6 beginnen; die Einführungsformel
diefes Verfes foll aber direct mit dem Schlufs
von V. 9 in Zufammenhang zu bringen und was in der
Mitte fleht ganz neu zu überfetzen fein, alfo namentlich
V. 8, wie wenn darin Anfelmus fpräche: ,Warum ift er
ein Menfch? Weil du fein gedenkft. Oder eines Menfchen
Sohn? Weil du dich feiner annimmfl'. Die .vielen Söhne',
welche V. 12 ,zur Herrlichkeit geführt werden', find die
altteftl. Frommen, die Herrlichkeit aber ,der Zwifchenzu-
ftand zwifchen Erdenleben und ewiger Seligkeit' u. f. w.
Von derfelben Art ift beiläufig getagt auch der Auffatz
der .Jahrbücher für proteft. Theologie' (1882, S. 569 f.)
über 9, 14, demzufolge diu JivEVjiuzng aiwvim nicht, wie
von jeher alle gefunde Auslegung nicht umhin gekonnt
hat, mit dem Verbum zu verbinden, fondern unter ge-
wagtefter Ergänzung eines i'iv auf das Subject des Satzes
zu beziehen wäre, als welches ,im Zuftande ewigen Geiftes
fich felbft dargebracht hat-.

In zweiter Linie ift der Galaterbrief bedacht worden.
So foll Gal. 4, 12—20 (S. 130—216) zunächft darauf zu-
ruckfehen, dafs Paulus, obwohl er nur nothgedrungen,
durch eine Krankheit, die ihn am Weiterreifen verhinderte,
veranlafst, den Galatern gepredigt hatte, von diefen
doch mit Intereffe angehört und in Liebe aufgenommen
worden war; jetzt foll umgekehrt die Liebe auf feiner
Seite, der Mangel an Intereffe auf ihrer Seite zu entdecken
fein. Als ob die Worte ytveo&e wg iyai slfti ort
xdyo) F.ytvifrtjv tag bjiüg rjre eines fo grofsen Apparates
bedürften, um verfländlich zu werden. Möglichft unwahr-
fcheinlich und unnatürlich foll ferner nvdtv jis rjdixrjaaTe
bedeuten, dafs fie bis jetzt in jener ihrer Gleichgültigkeit
und Feindfchaft nur noch nicht zu thätlichen Beleidigungen
gegen ihn vorgefchritten feien. Das äXkoBat zr]v
fp&vnv endlich foll fich auf die ihm feitens der Gegner
vorgeworfene Zweizüngigkeit beziehen. Wie gerne —
foll der Apoftel fagen — wäre ich doch zweizüngig, um
jetzt recht zweckmäfsig laviren, jede Stimmung nach
Umiländen benutzen zu können! ,So erhält die fchwie-
rige Stelle auf einmal ein überrafchendes Licht' (S. 215).
Sie war aber fchon vorher klar genug und fprach wohl-
thuender an, als fie nunmehr, durch folche Brille betrachtet
, ausfieht. Ebenfo fcheint dem Verf. das Ver-
ftändnifs von Gal. 6, 1—6 (S. 217—235) erft damit
erfchloffen zu werden, dafs fall in jede Wendung ein

Gegenfatz zu den judaiftifchen Agitatoren hereingelegt,
dadurch aber nach Anficht des Ref. freilich der einfache
Sinn der Worte, die dem Selbftgefühl ftarkgeiftiger
jrvtvj.iaziy.oi entgegentreten, allenthalben verfchraubt und
verkünftelt wird. Möchte doch der Verf., dem es ja an
einem gewiffen Beruf nicht fehlt, auch die Aufgabe richtiger
fchätzen lernen, welche die Gegenwart der neutefta-
mentlichen Kritik und Exegefe ftellt. Diefelbe liegt
wahrlich nicht in gefliffentlicher Vermehrung des exege-
tifchen Materials um möglichft viele neue Hypotheken
von fraglichem Werth.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Schmidt. Leop., Die Ethik der alten Griechen. 2 Bde.

Berlin, Hertz, 1882. (V, 400 u. VI, 494 S.gr.8.) M. 15.—

Diefes Werk, das Lebenswerk feines Verf.'s, ift nach
Inhalt und Form geeignet, die befondere Aufmerkfam-
keit auch des Theologen auf fich zu ziehen. Die Darfteilung
der fittlichen Begriffe und Urtheilsweifen, der
fittlichen und ftaatlichen Ideale der Griechen, welche in
fachgemäfsen Gruppen geordnet und durch eine Fülle
von Beifpielen aus dem ganzen Verlauf der griechifchen
Literatur belegt werden, ift im Ganzen wie im Einzelnen
von der Rücklicht auf die religiöfen Grundanfchauungen
durchzogen, in denen die Griechen lebten. Die ver-
fchiedenen Arten philofophifcher Sittenlehren werden
nur berührt, foweit fie in Zufammenhang mit dem Leben
des Volkes flehen, und als die Grenzen für den ge-
fchichtlichen Ablauf feiner ethifchen Ideen. Dem Ganzen
liegt eine Leetüre zu Grunde, deren Umfang und
deren Genauigkeit kaum übertroffen werden kann. Wenn
noch etwas Befonderes den Lefer zur Durchmeffung
diefes Gebietes der Forfchung locken müfste, fo ift es
die Einleitung über die .Fundgruben' der Ethik der
Griechen, nämlich ein Ueberblick über die Gelchichte
ihrer Literatur, fo knapp und bündig, fo durchfichtig
und feffelnd gefchrieben, wie es nur möglich ift, indem
der eine Gefichtspunkt, die Frage nach der Vorllellung
von Gut und Böfe, Recht und Unrecht an der übrigens
fo mannigfachen Literatur durchgeführt wird. Sollte
diefe Frageftellung als ein einfeitiger Mafsftab erfcheinen,
fo richtet fie fich doch auf den Hauptmafsflab des Lebens
diefes Volks, wird alfo vielleicht auf Ergänzungen rechnen
können, fchwerlich aber ein unrichtiges' Bild herbeiführen.
Jeder wird an diefem auf einige 40 Seiten fich belaufenden
Einleitungscapitel die werthvollfte Belehrung finden.
In jedem der beiden Bände, deren erfler die allgemeinen
ethifchen Begriffe, der zweite die befonderen Pflichten-
kreife behandelt, tritt ein Capitel über die religiöfen
Mafsftäbe des Handelns voran. Der Stoff diefer Capitel
fordert nun das directe Intereffe des chriftlichen Theologen
heraus. Soweit nämlich die anderen Religionen
zu kennen unfere Aufgabe ift, wird man fich nicht auf
die Mythologie und die gottesdienftlichen Alterthümer
einer Religion zu befchränken, fondern den Kern der
Sache in den Vorftellungen davon zu fuchen haben, wie
die Götter das gefellfchaftliche Leben der Menfchen be-
flimmen, lenken und ordnen. Ueber diefe Seite der
griechifchen Lebens- und Weltanficht verfchaffen nun die
beiden bezeichneten Capitel die ausgiebigfte Auskunft,
indem fie, worauf fchon die Einleitung die Aufmerkfam-
keit gerichtet hat, auch den Wechfel in den Combina-
tionen zwifchen Religion und fittlicher Handlungsweife
durch die Gefchichte hindurch verfolgen laffen. Es ift
unmöglich, an einzelnen Zügen das Verfahren des Verf.'s
anfehaulich zu machen, da auch die ausführlichften Proben,
welche gegeben werden könnten, die Sicherheit des
Blickes, die Umficht und die Billigkeit des Urtheils nicht
vergegenwärtigen können, in denen die Thatfachen fell-
geftellt und mit einander verknüpft werden. Ref. erlaubt
fich nur zu erwähnen, dafs ihn bei der Leetüre diefer
i Capitel immer die Vergleichung der griechifchen Ver-