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Ausgabe:

1883

Spalte:

211

Autor/Hrsg.:

Dieffenbach, G. Chr.

Titel/Untertitel:

Evangelische Haus-Andachten. I. Bd 1883

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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212

Dieffenbach, G. Chr., Evangelische Haus-Andachten. Zur

Ergänzung und Fortsetzung der evangelifchen Haus-
Agende. I. Bd. Die Summe der chriftlichen Lehre
nach dem Katechismus. 2. Monatsheft: Das heilige
Gefetz des Herrn. Bremen, Heinfms, 1883. (96 S.
gr. 8.) M. 1. —

Die Einrichtung jeder Andacht ift diefelbe wie im
erften Heft: Einige Bibelftellen, kurze Betrachtung,
Gebet und Lied. Der Stoff iff fo vertheilt, dafs nach
vier einleitenden Betrachtungen (der heil. Gefetzgeber,
das Gefetz im Herzen, die Gefetzgebung auf Sinai, die
Hauptfumme der heiligen 10 Gebote) in 22 Betrachtungen
die IO Gebote befprochen werden, welchen zuletzt
fünf Schlufsbetrachtungen (Gottes ernftes Drohen, Gottes
gnadenreiche Verheifsung, Vom dreifachen Nutzen des
Gefetzes, Chriftus des Gefetzes Ende, Gefetz und Evangelium
» folgen. Es fällt auf, dafs Luther's kl. Katechismus
fehr ungleichmäfsig verwerthet und die einzelnen
Gebote fehr ungleichmäfsig behandelt find; während
fünf Betrachtungen über das erfte, vier über das vierte
Gebot angeftellt werden, wird dem dritten Gebot nur
eine, dem neunten und zehnten gar zufammen nur eine
Betrachtung gewidmet.

Die Schwierigkeit wahrhaft erbauender Betrachtung
diefes Stoffes ift unverkennbar. Die Aufgabe würde
fein, das Verhältnifs des ATlichen Gefetzes zu dem durch
Chriftum und in Chrifto offenbar gewordenen ewigen
Sittengefetz des N. T.'s darzulegen, Chriftum als Erfüller
des Willens Gottes und damit auch des ATlichen
Gefetzes, fofern dies eine Enthüllung des Willens Gottes
ift, zu veranfehaulichen, in der Rechtfertigung untere
Erlöfung von dem Fluche des Gefetzes, in der Verformung
unfere Verpflichtung zum Thun des Willens
Gottes zu verkünden.

Diefe Aufgabe hat fleh der Verf. nicht geftellt. Das
altteft. Gefetz ift ihm ohne Weiteres verbindlich für uns
Chriften, auch das Sabbathgebot, das nur auf den Sonntag
übertragen ift, im Widerfpruch mit der Anfchauung
der Reformatoren, der luth. und ref. Bekenntnifsfchriften
(vgl. Th. Zahn: Gefchichte des Sonntags 1878), vor
Allem des Apoftels Paulus. Von dem Herrn Jefus Chriftus
ift nur an wenigen Stellen ganz beiläufig die Rede; die
Artikel von der Furcht Gottes, der Liebe zu Gott, dem
Vertrauen auf Gott, faft fämmtliche Gebote werden abgehandelt
, ohne des Herrn Jefu nur mit einem Worte
zu erwähnen; nicht einmal wird beim Schwören fein
Wort Mt. 5, 33 ff. herbeigezogen. Die Folge davon ift,
dafs jede chriftliche Vertiefung fehlt; in mattem Mo-
ralifiren ohne Demüthigung und ohne Erhebung und in
grofser Gedankenarmuth fchleppen fich die Betrachtungen
hin, und man athmet auf, wenn das Ende da ift.
Nachdem uns immer wieder gefagt ift, was Gott von
uns fordert, wird uns in Nr. 30 und 31 kundgethan, dafs
wir's gar nicht thun können; das fei aber auch nichtnöthig,
weil Chriftus es für uns gethan hat; das Gefetz foll nur
Bufse wirken, damit wir uns der Gnade Chrifti getroffen.
— Das Ganze fchliefst mit zwei Gebeten, in welchen
wiederum die ,fchuldigen' Fürbitten nicht vergeffen find.

Die Nachläffigkeit der Arbeit zeigt fich in manchen
Dingen; in der Schreibweife (z. B. des Prt, pf. bald
.offenbart', bald ,geoffenbart'), in der Auswahl der Bibelftellen
(z. B. bei der Furcht Gottes Nr. 7 fünf Citate
des A. T.'s, aber kein Citat des N. T.'s), in der
Auswahl der Liederverfe (z. B. tragen S. 64 und 70
diefe die Unterfchrift ,Hiller', ohne dafs angegeben
wäre, ob Fr. K. Hiller (1662—1726) oder Ph. Fr. Hiller
(1699—1769) gemeint ift; bei den Liedern S. 13. 40. 52.
61. 67. 84. 86 fehlt die Angabe der Melodien). Die
hübfehe Ausftattung des Pleftes wird durch eine unglaubliche
Zahl von Druckfehlern verunftaltet.

Marburg. u. AcheIis.

1. Rebe, Maria, Unter einem Dach. Karlsruhe, Reiff, 1883.

(245 S. 8.) M. 2. —

2. Rebe, Maria, Die Schule kann helfen! Die Schule muss
helfen! 2. Aufl. Karlsruhe, Reiff, 1883. (IV, 62 S.
gr. 8.) M. —. 60.

1. Wenn Ref. recht berichtet ift, fo verdankt die
erftgenannte Schrift der hochbegabten Verfafferin ihr
Dafein dem Preisausfehreiben des Genfer internationalen
Comite's für Sonntagsheiligung, welches in Form eines
Romans oder einer Novelle eine möglichft realiftifch gehaltene
Darftellung des Segens der Sonntagsheiligung,
und den Schaden, welchen die Sonntagsentheiligung für
das leibliche und das geiftige Wohl des Einzelnen, wie
für die Familie und das fociale Leben im Gefolge habe,
verlangte. Sie ift in der Concurrenz unterlegen, m. E.
mit Recht, weil — fie zu gut dazu war. Eine derartige
Handgreiflichkeit der Tendenz, und dazu noch einer folch
fpeciellen Tendenz, verträgt fich nicht mit den künftleri-
fchen Erfordernifsen. In dem Mafse, in welchem der
Tendenz gedient wird, wird der künttlerifche Werth beeinträchtigt
werden. Beleg dafür ift die von dem Go-
mite preisgekrönte Schrift, die ein ziemlich ungeniefs-
bares Machwerk ift. Es foll damit nicht gefagt
fein, dafs das vorliegende Buch diefe Schwierigkeit
gänzlich uberwunden habe. Gegen das Werk als Ganzes
wäre vom äfthetifchen Standpunkte vor allem der Einwand
zu erheben, dafs es ihm an Einheitlichkeit fehlt,
dafs es eine Reihe bewegter, mehr oder weniger lofe
miteinander zufammenhängender Lebensbilder ift, die
es vorfuhrt. Einzelne Scenen und Worte verdanken
nicht der Entwicklung der Gefchichte und der pfycholo-
gifchen Nothwendigkeit, fondern der Tendenz ihr Dafein.
Aber alles das thut der hohen Vortrefflichkeit des Buches
keinen Eintrag. Es ift ein urgefundes Buch
durch und durch, und die Verfafferin erfcheint darin
als eine gottbegnadete Schriftftellerin, wie wenige. Ur-
gefund ift der Realismus, mit welchem Perfonen und
Verhältnifse gefchildert werden. Das find keine nebelhaften
Phantafiegeftalten, das find lebensvolle und lebens-
wahrelndividualitäten, alles mit wenigen markigen Strichen
gezeichnet. Menfchen und Natur tragen Localfarbe,
und dabei ift das Ganze fo köftlich beleuchtet mit dem
Lichte der Ewigkeit. Und das ift ja freilich noch das
befte, zugleich das, um defswillen dem Buche eine Be-
fprechung in der Th. Lztg. gebührt. Es ift ein lebensvolles
Chriltenthum, das uns in diefer Erzählung entgegentritt
, voll inniger tiefer Frömmigkeit, aber zugleich
frilch, kräftig, fröhlich und weitherzig. In gleichem
Geifte ift die Sonntagsheiligung behandelt, nicht ifolirt,
gefetzlich, fondern im Zufammenhang einer tiefen chriftlichen
Lebensauffaffung und mit Berückfichtigung aller
Factoren des focialen Lebens. Im Vordergrunde fleht
dabei das Familienleben, das fie in fo lebendigen Zügen,
mit fo liebe- und verftändnifsvollem Eingehen auf die
concreten Einzelheiten zeichnet, dafs ihre Zeichnung
ein rechter Spiegel, befonders ein Frauenfpiegel geworden
ift. Alles in allem möchte Ref. wünfehen, dafs das
treffliche Buch in jedem Haufe, das noch nicht mit
chriftlicher Lebensauffaffung gebrochen hat, Eingang
finden möge. Jedenfalls hat die viel gebrauchte Phrafe,
dafs es in keiner Volksbibliothek fehlen follte, diefem
Buche gegenüber ihre volle Berechtigung, denn es darf
fich ohne Scheu neben die beften Erzeugnifse unferer
chriftlichen Volksliteratur ftellen.

2. In ähnlicher Weife möchte man von dem zweiten
Schriftchen aus der Feder derfelben Verfafferin fagen,
es follte von allen Eltern, Lehrern und allen, die mit
der Leitung unferes Schulwefens zu thun haben, gelefcn
und beherzigt werden. Es giebt Bücher, bei denen
einem das Herz aufgeht, die einem wie aus der Seele
gefchrieben find, weil fie fo wahr, fo treffend die Dinge
fchildern, wie fie find, und mit gefundem Urtheil den