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Ausgabe:

1883 Nr. 9

Spalte:

203-208

Autor/Hrsg.:

Haupt, Herm.

Titel/Untertitel:

Die religiösen Sekten in Franken vor der Reformation 1883

Rezensent:

Mueller, Karl

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203

Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 9.

204

Werk der Gebrüder van Eyck — p. 38 — braucht er
freilich deshalb noch nicht zu fein). Der Altar weift alfo
nicht gar weit zurück. Und doch bietet er fchon An-
lafs zur Kritik, wenn anders die Nachricht bei Grimm
(a. a. O. S. 454) zuverläffig ift, dafs auf einem der (damals
noch vorhandenen) Altargemälde dargeftellt fei,

gegenüber fkeptifcher fein follen. Gerade in folchen
Dingen ift Johann äufserft leichtgläubig und nimmt das
fabelhaftefte Zeug mit befonderer Vorliebe auf.

Es folgt fodann die Secte des freien Geiftes im
14. und 15. Jahrhundert. Sehr forgfältig find auch hier
alle einzelnen Erfcheinungen aufgezeichnet. Allein ich

wie Notburga zur Sättigung der väterlichen Rache ent- glaube, dafs die Charakteriftik der Secte, wie fie Haupt
hauptet wird. Glock hätte S. 36 diefe Nachricht Grimm's im Anfchlufs an die geläufige Anficht giebt, den Kern
erwähnen und beurtheilen müffen. — Aelter als der Altar | der Erfcheinung fehr wenig trifft. Auch Haupt fafst die-
ift jedenfalls das Grabmal. Die Schnelligkeit aber, mit der | felbe nämlich nur an ihrer dogmengefchichtlichen Seite
Glock diefes Steinbild der Heiligen, das wefentlicheTheile an und leitet die in der Secte entwickelte eigenthümliche
der Notburgafage vorausfetzt — oder zu deren Dichtung j Lehre höchftens aus dem myftifchen Verlangen nach
Veranlaffung gegeben hat, der ,byzantinifchen Schule Aufgeben der eigenen Perfönlichkeit in Gott ab. Das
des VI—IX. Jahrhunderts' zuweift, verräth gar zu fehr j mag, m. E. aber auch nur theilweife, für die Urfprünge

den Dilettanten, um Glauben erwecken zu können.

Vielleicht ift es dem Verfaffer möglich, der Notburgafage
noch weiter nachzugehen, in der ältern bei Rettberg
II § 4 genannten Literatur nach Spuren derfelben zu
fuchen und über den Notburgaaltar und das Notburgagrabmal
genauere kunfthiftorifche bezw. archäologifche

der Secte gelten, die ja doch jetzt wohl allgemein mit
Amalrich von Bena in Verbindung gefetzt wird; es mag
auch vielleicht für einzelne hervorragende Köpfe innerhalb
derfelben zutreffen: folche aus der Menge auftauchende
Geftalten hat auch Haupt mehrfach gefchildert.
Aber für die Secte als gefchichtlich.es Ganzes reicht es

Ünterfuchungen anzuftellen. Wenn er das thut, wird er I ficher nicht aus. Man erkenne doch endlich, dafs unfere
nicht nur feinen Landsleuten eine angenehme Unter- j faft rein dogmengefchichtliche Behandlung der Secten

haltungslectüre bieten, wie er es diesmal beabfichtigt
und vielleicht auch gethan hat, fondern wird dann auch
der Kirchengefchichte einen Dienft leiften.

Leipzig. F. Loofs.

Haupt, Univ.-Bibl.-Affift. Dr. Herrn., Die religiösen Sekten
in Franken vor der Reformation. Würzburg, Stuber, 1882.
(60 S. gr. 8.) M. 2. —

In der mittelalterlichen Sectengefchichte fehlt es
derzeit mit wenigen Ausnahmen noch fo fehr an allen I Arbeiter, kleinen Handwerker recrutiren. Wird man

und ebenfo anderer ähnlicher Strömungen, wie der Myftik,
gerade das Wefen der Sache nicht trifft, fondern nur
an der Oberfläche haften bleibt und auch hier nur eine
Seite der Erfcheinung in's Auge fafst. Man bedenke
doch z. B., welche Elemente die Hauptmaffe gerade der
Secte des freien Geiftes ausmachen! Alle Quellen, denen
wir eine unmittelbare Kenntnifs der Zuftände zufprechen
dürfen, find darin einig, dafs die Brüder und Schweftern
gerade den damals ungebildetften Klaffen der Bevölkerung
angehören, fich aus den Kreifen der Tagelöhner,

Ecken und Enden, dafs jeder Beitrag dazu willkommen
fein mufs. Dafs der Verfaffer vorliegender Schrift vom
provinzial-gefchichtlichen Intereffe ausgehend geradeFran-
ken gewählt hat, ift nicht nur durch feine Stellung in

diefen Leuten zutrauen, Lehrfätze von folcher fpecula-
tiver Höhe, von folcher Künftlichkeit und abfichtlicher
Wendung in das fcheinbar Widerfinnige zu erfinden und
zu hegen, aus dogmatifcher Ueberzeugung für diefelben

der alten Refidenz der ehemaligen Herzoge in Franken, | in der uns bekannten Weife fich verfolgen zu laffen?
der Bifchöfe von Würzburg motivirt, fondern auch durch [ Ich zweifle, ob die grofse Menge der Brüder und
das Jubiläum der dortigen Univerfität veranlafst: die | Schweftern derartige Lehrfätze auch nur übernommen
Abhandlung ift eine der Schriften, die zu Ehren diefer ! und traditionell weitergefchleppt haben. Jedenfalls haben
Feier veröffentlicht worden find. diefelben für fie nur eine unverftandene und grofsen-

Haupt verzeichnet fehr forgfältig alle vorkommenden j theils wohl gleichgiltige Stütze ihrer praktifchen Be-

Secten und fectenartigen Bewegungen. Er unterläfst es
aber auch nicht, diefelben zu charakterifiren und feine
Ergebnifse zu den herrfchenden Anflehten hie und da
in Beziehung zu fetzen. Ich befitze nicht die genaue
Einzelkenntnifs der fränkifchen Literatur, um beurtheilen
zu können, ob nichts übergangen ift. Ich kann nur
fagen, dafs mir manches neu gewefen ift; und bei einem
Beamten der Würzburger Univerfität wird man allen
Grund haben, zu vermuthen, dafs er die fränkifche Ge-

ftrebungen gebildet: nur an die letzteren giebt fich die
Menge innerlich hin. Sie aber liegen auf einem anderen
Gebiet, als dem dogmengefchichtlichen, ja felbft auf
einem anderen als dem praktifchen der religiöfen Myftik.
Das wird man gewifs leicht erkennen, fobald man über
die blofsen Inquifitionsacten hinweg fleh an die lebendigen
Schilderungen der Zeitgenoffen theils in Chroniken, theils
in Abhandlungen, theils endlich in den Synodalbefchlüffen
hält. Die Inquifitionsacten find nämlich theilweife fchon

fchichtsliteratur vollftändig überblickt. Es ift daher auch 1 darum gar nicht als genügende Quellen zu betrachten,
wohl kein Ueberfehen, fondern ein abfichtliches Ueber- weil die Unterfuchung diefer geiftlichen Gerichte gegengehen
, wenn der Verf. die Beftimmungen der Würzburger über der Secte des freien Geiftes fich häufig darauf beSynode
von 1287 über die Leccatores seu reprobatos Apo- fchränkt, mechanifch nach den Lehrfätzen zu fragen,
stolos (Manfi 24, 850 ff.) nicht erwähnt. Denn diefe Sy- welche die Bulle Clemens' V ,Ad nostrum' (vom Com:
node ift eben keine blofs fränkifche, fondern eine allge- j Vienn) als innerhalb der Secte umgehend bezeichnet,
mein deutfehe, und manche Anzeichen dürften darauf [ Dagegen enthalten die übrigen genannten Quellen oft
hinweifen, dafs die von ihr erwähnten Sectirer keine
fpeciell deutfehen find, fondern vielmehr Eirfcheinungen,
die damals gerade in Italien befonders bedeutfam find.
Denn der Legat, welcher die Synode berufen hat und
leitet, ihr auch die einzelnen Artikel vorlegt, kommt

fehr genaue und richtige Beobachtungen. Aus diefen
allen aber ergiebt fich gleichermafsen ein Bild, nach
welchem die dogmatifchen Sätze überhaupt nur als
Symptome zweiten Ranges angefehen werden können.
Als Symptome erften Ranges bekommt man vielmehr
eben aus Italien. Jedenfalls ift es verkehrt, wenn Mosheim j jenes unftäte, zum Theil fchaarenweife Umherfchwtifen,
aus diefem Würzburger Kanon und feiner fpäteren Wie- i Vagabundiren diefer ehemals fleifsigen, jetzt dem Müfsi

derholung in rheinifchen Synoden den Schlufs ziehen
will, dafs jene Apoftel zunächft in Franken aufgetreten,
dann, durch Synodalbefchlüffe vertrieben, dem Rhein zugezogen
feien.

In Bezug auf das Vorhandenfein katharifcher An-
fchauungen im 14. Jahrhundert zu Nürnberg hätte Haupt
feiner einzigen Quelle dafür, dem Johann von Winterthur

gang verfallenen und darin allem excentrifchen Träumen
und Treiben erfchloffenen Arbeiter, Handwerker, Tagelöhner
; das Erbetteln, richtiger gefagt drohende Verlangen
und Fordern von Almofen; die Verbindung des
letzteren mit communiftifchen Gelüften und Beftrebungen,
wie fie die Secte an manchen Orten auf's deutlichfte
zeigt. Diefe Gedanken werden zum Theil freilich religiös