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Ausgabe:

1883

Spalte:

187-189

Autor/Hrsg.:

Palmer, Christian

Titel/Untertitel:

Evangelische Pädagogik. 5. Aufl 1883

Rezensent:

Strack, Carl

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es dem Verf. m. E. fo wenig, als feinen Vorgängern gelungen
, fie zur endgiltigen Löfung zu führen. Dazu fehlt
ihm die Einficht, für welche Th. Kaftan in Nr. 2 der
Monatsfchrift f. i. M. neulich das treffende Wort gefunden
hat, dafs innere Miffion ein blofser Sammelname
ift, dem kein einheitlicher Begriff entfpricht, weil darunter
ganz verfchiedenartige Thätigkeiten zufammengefafst find,
einmal folche, welche dem Gebiet der Kirche, und
wiederum folche, welche dem Gebiet des Staates angehören
. Die Einheit diefer Thätigkeiten ift lediglich in der
Einheit des Subjects begründet, nach dem fruchtbaren
Kaftan'fchen Gedanken: der chriftlichen Gefellfchaft,
welche fich nach der einen Seite als Kirche, nach der
andern als Staat projicirt. Erft im Verfolg diefer Gedanken
werden wir über alle die unklaren und fchillern-
den Definitionen (,foweit fie nicht vom geiftlichen Amte
mit Erfolg bekämpft werden können' u. dergl.), herauskommen
. Es hängt wohl mit diefem Mangel zufammen,
dafs die S. 19 ff. gegebene Eintheilung der Thätigkeiten
der inneren Miffion ein feftes Princip und klare Unter-
fcheidung vermiffen läfst. Von anderen kleinen Aus-
ftellungen und Correcturen abfehend, möchte Ref. vielmehr
nur noch den Wunfeh ausfprechen, dafs das mit
fo viel edler Wärme gefchriebene Büchelchen die Lefer,
welche fich der Verf. wünfeht, nämlich nicht blofs
Geiftliche, fondern namentlich auch Laien, die einen
offenen Blick für die Nothftände der Zeit haben, Mitglieder
von Synoden, Presbyterien u. f. w., reichlich
rinden möge, denn es ift fehr wohlgeeignet, einen guten
Ueberblick über das Werk der inneren Miffion zu geben
und die Herzen dafür zu erwärmen. Nicht wenig zur
Brauchbarkeit des Buches tragen die im IL Theile enthaltenen
Mittheilungen aus der Statiftik der inneren
Miffion, der Aufnahmebedingungen einzelner Bildungsanftalten
der inneren Miffion, fowie der Aufnahmebedingungen
und Statuten einzelner Anftalten und Vereine
bei. Vollftändigkeit ift dabei freilich nicht erreicht. Einzelne
Zweige, wie die Sache der Auswanderung und der
Sonntagsheiligung, die heutigen Tages doch von fo
grofser Bedeutung find, find gar nicht berührt. Das
Gebotene aber ift, foviel Ref. fieht, zuverläffig und
brauchbar.

Giefsen. Gg. Schloff er.

Palmer, f Prof. Dr. Chrn., Evangelische Pädagogik. 5. Aufl.,
neu bearb. von Sem.-Rect. Dr. E. Gundert. Stuttgart
, J. F. Steinkopf, 1882. (723 S. gr. 8.) M. 8. 60.

Der Herausgeber, ein Schüler des 1875 verftorbenen
Verfaffers, ift der gewifs nicht zu verwerfenden Anficht,
dafs eine Pädagogik, die ftreng nach den Grundfätzen
des evang. Glaubens behandelt fei und fomit ganz auf
biblifcher Grundlage beruhe, neben den zahlreichen
Schriften , die einen mehr oder weniger verwandten Inhalt
auf allgemeine philofophifche überfätze zurückzuführen
fuchen, den Lehrerkreifen erhalten werden müffe;
darum unterzog er fich der nicht leichten Arbeit, ein
Buch, deffen letzte Auflage 1869 erfchienen ift, im Sinne
des längft verftorbenen Verf.'s dem jetzigen Stand der
Dinge anzupaffen. Der Geift, in dem dies gefchehen ift,
hat keine Veränderung erlitten.

Ueber das Verhältnifs der Bibel zur Pädagogik fagt
der Verf. S. 164: ,Beides, das Wort Gottes und die
wirkliche Erfahrung, die an dem Kinde gemacht wird,
kann fich nie widerfprechen, und es ift merkwürdig, wie
oft folche Pädagogen, die weit über die Pädagogik der
Bibel hinauszufein fich rühmen, doch wieder, wo fie
irgend nüchtern beobachten und vorurtheilslos zu Werke
gehen, auf Refultate kommen, die — was viele freilich
bei ihrer Unkenntnifs des Schriftwortes gar nicht
merken — zui Beftätigung, ftatt zur Widerlegung des
letzteren dienen. Das wäre freilich ein Fehler, eine
pädag. Unweisheit, ausfchliefslich nur in der Schrift zu

1 fuchen und darüber die Beobachtung des wirklichen
| Kindeslebens zu verabfäutnen. Auf diefem Wege komme
man zu einem methodiftifchen Rigorismus, der,, weil er
inhuman ift, eben darum auch nicht mehr vom chriftlichen
Geifte getragen werde. — — — Wie im ganzen
chriftlichen Leben und Wiffenf fo auch im Erzieherberufe
, diene fich beides, die Schrift und die tägliche
Erfahrung, die concrete Wirklichkeit, zur Beleuchtung'.

Der Unterfchied der kath. und proteft. Pädagogik
wird an verfchiedenen Stellen, befonders S. 180 ff., ausführlich
und wahrheitgemäfs dargelegt. Die kath. Kirche
ftrebe danach, den einzelnen Menfchen einzufügen in
ihren Bau; fei er nur ein Glied der Kirche, fo fei er
auch, weil diefe fertig und vollkommen fei, nun felbft,
was er fein folle; feine perfönlichen Defecte würden
durch den Schutz der Kirche vollftändig gedeckt und
felbft das Fegfeuer könne ihn nicht länger halten, als
die Kirche wolle. Insbefondere wirkten ihre Sacramente
ex opere operato, es komme alfo nur darauf an, dafs
| der Menfch diefe Werke vollbringe, fo ftröme das Heil
ihm zu. Die Erziehung habe auf ftreng kath. Stand-
j punkt keinen anderen Zweck, als 1) das Kind in die
! Kirche hereinzuziehen — alfo eine Miffionsaufgabe, und
2) es fein Leben lang darin, d. h. freilich fchon: in
Abhängigkeit von ihr, nämlich vom Klerus, zu erhalten.
Infofern fei es confequent, wenn katholifche Pädagogiker
(z. B. Durfch) auf die allgemeine, das ganze Volk, Mündige
und Unmündige zugleich treffende pädagogifche
Wirkfamkeit der Kirche fo grofses Gewicht legen'.

Bei allem Feilhalten an der evangelifchen Lehre ift
! der Verf. frei von pietiftifcher Engherzigkeit, er will den
i Kindern nicht die Jugendfreuden verkümmern, auch
[ follen die individuellen Anlagen für weltliche Künfte:
Mufik, Malerei u. dergl., nicht unausgebildet bleiben.
Auch gegen überreizte Religiofität fpricht fich der Verf.
aus. Es heifst in diefer Beziehung (S. 245): ,Wir wiffen
recht gut, dafs in chriftlichen Häufern hier und da ein
[ Kind fich findet, bei dem fich Zeichen von bewufster,
fogar brünftiger Liebe gegen Gott, gegen den Heiland
I aufzeigen laffen. Aber wenn man fchärfer zufieht und
der Wahrheit die Ehre giebt, fo wird man auch ent-
| decken, dafs in vielen P'ällen diefer Art jene Zeichen
und Aeufserungen — wenn fie auch nicht fchon mit
Abfichtlichkeit den Eltern zu gefallen gefchehen — doch
mehr nur ein oberflächlicher Reflex deffen find, was das
Kind ftets hört und fieht; und nur in den fehr feltenen
Fällen einer fehr frühen geiftigen Reife, eines früh hervortretenden
— wenn der Ausdruck geftattet wäre — reli-
giöfen Genies, wird eine folche Liebe wirklich das Herz
erfüllend fein'. Ernftlich gewarnt wird davor, die Kinder
zu kritifcher Beurtheilung anzuregen; ein Kind,
das in der Schule nichts auf Treu und Glauben anneh-
I men wolle, fei Unnatur, und werde fich nicht leicht in
die Verhältnifse des Lebens finden. — Was über die
Fröbel'fchen Spiele gefagt ift, unterfchreiben wir mit
voller Ueberzeugung. Es heifst S. 220: ,Wie man auch
im übrigen die Fröbel'fchen Kinderunterhaltungen beur-
! theilen mag, fo erfetzen fie doch das weit nicht, was
} bei den traditionellen, volksthümlichen Kinderfpielen
als das Naturwüchfige, nicht pädagogifch Erfonnene fo
ungefucht den Zufchauer anfpricht'.

Wir halten den erziehlichen Theil diefes Buches für
den beffer gelungenen. Hätten wir das Buch in einer
pädag. Zeitfchrift anzuzeigen, fo würden wir auch genauer
auf den Inhalt der Unterrichtslehre eingehen.

Wir können zum Schluffe unfere Freude nicht unterdrücken
, dafs in einem Jahre drei ausführliche Lehr-
j bücher der Pädagogik, welche ganz auf chriftlich-
gläubigem Standpunkte flehen, erfchienen find, nämlich
das von Zezfchwitz, Curtman-Freienfehner und das
| vorliegende. Wir hoffen, dafs die weitere Verbreitung
J diefer Schriften dazu beitragen wird, Schulzuftände, wie
! fie im Eldorado des Liberalismus vorhanden find, immer-