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Ausgabe:

1883 Nr. 8

Spalte:

185-187

Autor/Hrsg.:

Mmartius, Wilh.

Titel/Untertitel:

Die innere Mission 1883

Rezensent:

Schlosser, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1883. Nr. 8.

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Capitel zufammengenommen hätte. — Was nun den In- j bekanntes Werk fei. Und doch find es nahezu vierzig
halt betrifft, fo hat fich der Verf. zur Aufgabe gemacht, Jahre, dafs man unter uns innere Miffion treibt, d. h.
den Unterfcheidungslehren eine befondere Berückfich- j chriftliche Liebesthätigkeit in der eigenthümlichen Ge-
tigung werden zu laffen. Das Recht dazu ift bei dicfem , ftalt, die diefen Namen trägt, wozu wcfentlich die Frei-
Brief, der durch Luther's Commentar faft eine proteftan- . Willigkeit und die Vereinsform gehören; und doch ift
tifcheBekenntnifsfchrift geworden ift, unzweifelhaft. Allein (die innere Miffion, wie der Verfaffer voll warmer Be-

es ift mit diefer Abficht auch die Gefahr verbunden, dafs
über dem Ausfehauen nach der Beleuchtung, welche der
römifch-proteftantifche Gegenfatz durch die Worte des
Paulus erhält, die Vertiefung in deren nächften Sinn, in die
unmittelbareSchriftwahrheitnothleide. Der Verf. hat diefe

geifterung ausführt, in diefer Zeit ein mächtiger Baum
geworden, der feine Zweige über alle evangelifchen Lande
erftreckt und feine Wurzeln in alle Schichten des evangelifchen
Volkes fenkt; die kirchlichen Behörden laffen
fich die Förderung des Werkes angelegen fein Uf. XIII.

Klippe um fo weniger vermieden, als er fein Verfahren S. 58 — 71), die theologifche Wiffenfchaft hat bereits be-

nicht etwa auf die Rechtfertigungslehre und was damit
nothwendig zufammenhängt, befchränkt, fondern jenen
Gegenfatz auch in ganz abliegenden Punkten und auch
da hereinzieht, wo der Wortlaut und Zufammenhang keine

gönnen, die Miffionswiffenfchaft als einen Theil der
praktifchen Theologie zu reeipiren (XIV. S. 71—73), die
verfchiedenen kirchlichen Parteien bis zur äufserften
Linken find einig in feiner Anerkennung (XV. S. 73—78),

Aufforderung dazu enthält. So redet er z. B. zu 1, 13 auch der Staat und die innere Miffion nehmen mehr
über die katholifche und evangelifche Praxis Convertiten j und mehr eine freundliche Stellung gegenfeitiger För-
gegenüber, zu 6, 2 über kath. und ev. Ehefcheidungs- j derung zu einander ein (XVII. S. 87—103), jeder, der
grundfätze. Wie die Vertiefung in das Schriftwort, fo ! für die Beurtheilung folcher Dinge überhaupt in Betracht
auch die wünfehenswerthe Vielfeitigkeit leidet unter dem ! kommt, weifs, was innere Miffion ift und kennt fie, denn,
Verfahren des Verf.'s. Gerade in praktifcher Rückficht ift wo wir auch hinblicken, ftofsen wir auf ihre Thätigkeit.
das zu bedauern. Wir heben nur Eines heraus. Wie viele Nur der gewöhnliche liberale Bildungsphihfter, der feine
Anhaltspunkte würde der Galaterbrief geben, das unbe- geiftige Nahrung nur aus völlig kirchenfeindlichen Zeitfugte
Treiben der Secten auf dem Boden der evang. ungen zieht, weifs entweder nichts von ihr oder fieht
Landeskirchen im Allgemeinen und im Befonderen die [ mit Grufeln in ihr eine finftere Gefahr für unfer aufge-
lälfche Vollkommenheitslehre bei einzelnen modernen klärtes Jahrhundert. Es ift jedenfalls eine eigenthümliche
Ablegern des Methodismus grundfätzlich und eingehend Erfcheinung, dafs trotz alledem die Verhandlungen über
zu beleuchten. Aber nur zweimal (S. 17 und 107) ftreift das Wefen der inneren Miffion, über ihr Verhältnifs zu
der Verf. ganz im Allgemeinen und flüchtig die Secten. Kirche und Staat, die fchon an ihrer Wiege begonnen,
Der katholifche Gegenfatz hat ihn ganz abforbirt. Die ! nicht nur noch nicht zur Ruhe gekommen find, fondern
Berückfichtigung der Secten in dem angedeuteten Sinn nach einer Paufe, in welcher das freudige Schaffen viribus
hätte ihm dann vielleicht auch nahe gelegt, der katho- unitis in den Vordergrund getreten war, wieder mit er-

lifchcn Vollkommenheitslehre, auf die er S. 59 f. zu reden
kommt, nicht eben nur die kahle Verneinung (vgl. S. 60),
mit welcher der entgegenftehende Irrthum nirgends überwunden
wird, fondern die pofitive evangelifche Auffaf-
fung der von dem Chriftcn zu erftrebenden Vollkommen-

neuter Lebhaftigkeit geführt werden. Es ift ja deutfehe
Art, dafs wir die Erfcheinungen des Lebens nicht einfach
hinnehmen, wie fie fich geben, fondern nicht raften und
ruhen, bis wir fie auf ihren reinen Begriff gebracht und
in unfer Begriffsalphabet an richtiger Stelle eingegliedert

heit entgegenzuftcllen, wie deren Grundzüge in C. A. j haben. Das will denn offenbar mit der inneren Miffion
p. 2, VI. 49 s. enthalten find. — In Einzelnheiten der j nicht fo leicht gelingen, und zwar einfach darum, weil
Erklärung mit ihm verfchiedener Meinung zu fein, giebt j fie, wie der Verf. (VII. S. 35. 36 u. a. O.) richtig darthut,
der Verf. feiten Anlafs. Er geht nicht tief genug, um j eine gefchichtliche Gröfse ift, die aus beftimmten, ge-
durch die Schwierigkeiten gehemmt zu werden. Theil- j fchichtlich gegebenen Verhältnifsen, hier aus beftimmten
weife liegen diefelben ja auch der erbaulichen Betrach- ' Nothftänden heraus, begriffen fein will. Wie fie ,gleich-
tung in der That fern. Nur zu 3, 19 möchten wir unfere j fam als ein natürliches, nothwendiges und begreifliches

Verwunderung ausfprechen, dafs erklärt wird: ,Die Engel
durch welche das Gefetz gegeben wurde, find der grofse
Engel des Bundes, Chriftus, dem die anderen Engel als
ihrem Haupte dienten'. Diefe uns wenigftens neue Auf-
faffung ift um fo auffallender, als der Verf. gleich darauf
Chriftus als den wahren, durch den Vermittler des Ge-
fetzes Mofes vorgebildeten Mittler bezeichnet. Der Erbauung
fuchende Lefer kann durch diefe Erklärung nur

Product der Zeitverhältnifse' entftanden ift, fo mufste
fie fich erft aus innerer Nothwendigkeit heraus und in
lebendiger Wechfelwirkung mit den vorhandenen Factoren
ausgeftalten und ihren Platz fich erringen, ehe es möglich
war, ihr auch theoretifch ihren rechten Platz anzuweifen,
Mittel und Ziele feftzuftellen. Zum Erweis dafür diene
die Thatfache, dafs die Frage nach dem Verhältnifs der
inneren Miffion zum Staat erft in neuerer Zeit in den

verwirrt werden. — Indefs möchten wir mit unferen Aus- Vordergrund getreten ift, nachdem die fociale Thätigkeit
Heilungen das zum Eingang gefprochene Urtheil nicht der inneren Miffion in gröfserem Mafsftab Beruhrungen
zurücknehmen, können demfelben vielmehr hinzufügen, mit dem Staatslcben herbeiführte. Diefen Weg, Be-
dafs auch Geiftliche, welche etwa zur Vorbereitung auf 1 deutung und Wefen der inneren Miffion, ihr Verhältnifs
Bibel- und Erbauungsftunden nach dem Büchlein greifen zu Kirche und Staat aus ihrer gefchichtlichen Erfcheinung
möchten, darin manche Anregung finden können. Immer- j zu entwickeln, fchlägt der Verf. ein. Was er da im
hin mufs die Benützung desfelben von der Erinnerung ! erften Theile über die Nothftände, welchen die innere
begleitet fein, dafs die evangelifche Erbauung nicht nöthig Miffion abhelfen will (L), über das Verhältnifs zur Huma-
hat, von dem katholifchen Gegenfatze zu leben. nität (IL), über die allgemeine Aufgabe der inneren

Ulm a D. A Bilfinger. i Miffion, ihre Ausbreitung und Gliederung (III.), ihren

J Namen (IV.), den Umfang ihres Begriffs (V.), ihre Ent-
Martius, Divif.-Pfr. Dr. Wilh., Die innere Mission, ihre i ftehung (VI. VII.), über das Verhältnifs der inneren
Bedeutung und ihr Wefen, ihr Verhältnis zu Kirche ! Miffion zur Kirche VIII—XV.), zum Staat (XVI—XVIII.)
und Staat. Ein Wort zur Onentirung und zur Mahnung. undzur Schule(XIX), endlich über die Nothwendigkeit,
, . „. „ . , //ttt c m 1 perlonliche Kräfte für die innere Million zu gewinnen

Gütersloh 1882, Bertelsmann. (VIII, 192 S. 8.) M. 2. - | fXX v ausführt> zeu?t von eingehender, begeifterter Be

Wenn einem mit unferen Verhältnifsen völlig Unbe- | fchäftigung, von vielfeitigem Nachdenken über diefe
kannten der Titel diefes Buches in die Hände fiele, fo [ Dinge und gefundem nüchternen Urtheil, und bietet
würde er fich darnach wahrfcheinlich die Meinung bilden, neben einer Fülle pofitiver Mittheilungen eine treffliche
dafs die innere Miffion ein noch fehr junges und wenig Oricntirung über alle cinfehlägigen Fragen. Dagegen ift