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Ausgabe:

1882 Nr. 8

Spalte:

175-181

Autor/Hrsg.:

Uhlhorn, G.

Titel/Untertitel:

Die christliche Liebesthätigkeit in der alten Kirche 1882

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 8.

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Vermuthung laut werden laffen, dafs dem bis dahin
allein bekannten lateinifchen Text der Acten der fcilli-
tanifchen Märtyrer ein griechifches Original zu Grunde
liegen möge (S. 503), und dasfelbe follte auch bei den
Acten der Perpetua und Felicitas der Fall fein (S. 315 f.).
Wie es auch mit der letzteren Vermuthung flehen mag,
welche dem Ref. jeder Wahrfcheinlichkeit zu entbehren
fcheint: für die fcillitanifchen Acten fchien der durch
Ufener bekannt gewordene griechifche Text, da er im
Verhältnifs zu den bekannten lateinifchen unzweifelhaft
eine urfprünglichere Geftalt diefer Acten repräfentirt, die
Vermuthung des Verf.'s glänzend zu beftätigen, und eben
das ifl was er gegen Ufener felbft, dem der griechifche
Text für überfetzt galt, in feiner Etüde zu beweifen unternimmt
. Allein diefer Beweis ift ihm nicht gelungen.
Das einzige, womit der Verf. unzweifelhaft Recht hat,
ift der Nachweis, dafs die Möglichkeit der Originalität
des griechifchen Textes durchaus nicht von vornherein
abzuweifen ift (S. 12 ff.). Ja infofern etwa der Verkehr
montanifirender Chriften in Afrika mit orientalifchen
Glaubensgenoffen das natürlichfte Motiv für eine frühe
chriftliche Aufzeichnung der ganzen Sache an die Hand
giebt, könnte die Urfprünglichkeit des griechifchen Textes
felbft ein Vorurtheil für fich haben. Allein von den
zwei Hauptargumenten des Verf.'s dafür, um nur von die-
fen zu reden, ift das eine fchwach und das andere ganz
unglaublich fchwach: dafs der Name Lactantius oder
Laetantius in den lateinifchen Texten aus dem griechifchen
KaileoxT.voQ entftanden fein foll, indem die erfte
Silbe vom Ueberfetzer als Bindewort genommen wurde,
— denn diefes Mifsverftändnifs lag an der in Betracht
kommenden Stelle vorzüglich fern, und dafs fich ein
Lateiner beim ganz bekannten Namen Caeleftinus fo
verfah, ift auch nicht wahrfcheinlich; unglaublich, dafs
die Corruption der Confulatsangabe in den lateinifchen
Texten fich auf dem Umwege einer Ueberfetzung aus
dem Griechifchen natürlicher erklären foll als aus dem
lateinifchen Original Praesente II et Condiano. Ganz richtig
fcheint dem Ref. überhaupt der Stand, in welchem Aube
die Frage der Urfprache diefer Acten zurückgelaffen
hat, von M. Bonnet Revue critique, 1881, Nr. 44 bezeichnet
zu fein. Weit glänzender ift jedenfalls die Beftätig-
ung, welche Leon Renier's fcharffinnige Herltellung der
richtigen Confulatsangabe fchon durch Conjectur (f. Aube
S. 3 f.) nun durch den griechifchen Text erhält. Dankenswerth
ift der Abdruck der Acten in allen bisher bekannt
gewordenen Gehalten im Anhang (S. 22 ff.). Die
neuerdings zu Tage getretene Vorzüglichkeit des lateinifchen
Textes, von dem Mabillon gerade nur ein kurzes
Fragment (aus einem Codex Augiensis) bekannt gemacht
hat (f. Aube S. 30), läfst die Wiederauffindung feiner
Quelle lebhaft wünfchen.

Bafel. Franz Overbeck.

Uhlhorn, Abt Dr. G., Die christliche Liebesthätigkeit in

der alten Kirche. Stuttgart 1882, Gundert. (IV, 421 S. 8.)
M. 6. —

Wenn ich nicht irre, fo bedarf diefes Buch bereits
jetzt, doch kurze Zeit nach feinem Erfcheinen, keiner
Empfehlung; ich meine nicht nur, weil der Name des
Verf.'s genügende Bürgfchaft giebt für das, was davon
zu erwarten ift, fondern weil es fich feine Lefer bereits
genügend felbft angezogen hat. Ich habe auch darüber
nicht viel anderes zu fagen, als dafs ich diefe Anziehungskraft
meinerfeits bezeuge. Damit foll alfo nichts
hinzugethan werden zu dem Eindrucke reicher Belehrung
und innerlicher Anregung, welchen fehr weite Kreife
von felbft haben, und der vielleicht doppelt ftark ift in
einem Augenblicke , in welchem in Deutfchland jedermann
fich fo oder fo mit den grofsen focialen Fragen
befchäftigt, und auch jedermann an der nicht nur natürlichen
, fondern auch aufgedrungenen Frage Theil
nimmt, was denn das Chriftenthum dabei thue und zu
thun habe. Für jeden, der eben nicht fchon längft gewöhnt
ift, auch in folchen Dingen nur feinem eigenen
Kopf zu folgen, und fich feine Anflehten vom Chriftenthum
, wie von anderem, was in der Welt ift, nach feinem
guten Willen und Meinen zurecht zu machen,
kommt es dabei doch auch darauf an, was die Ge-
fchichte überhaupt aufweift, und was insbefondere die
älteften Zeiten der chriftlichen Religion lehren. Und
wenn ihm nun da ein Ueberblick geboten wird, der ihm
jede Antwort auf die Frage an die Vergangenheit gewährt
, welche die Quellen überhaupt verftatten, und bei
aller innigen Ueberzeugung von der Hoheit des Chri-
ftenthums doch ftets das unbefangenfte Urtheil kund
giebt, der aber zugleich den engeren Gegenftand in den
grofsen Rahmen der welthiftorifchen Betrachtung der
chriftlichen Kirche mit Meifterfchaft einträgt, fo giebt
das eben nicht nur die befriedigende Antwort, fondern
auch den geiftigen Gewinn, den jede echte gefchicht-
liche Erkenntnifs mit fich führt. Wir andern nun, deren
Lebensberuf eben das Arbeiten an diefer Erkenntnifs
ift, lefen ja wohl auch, was uns darin geboten wird, etwas
anders, und es kann nicht ausbleiben, dafs wir dabei
auf einzelnes ftofsen, was von der eigenen Meinung
zumal in dunklen Theilen der Gefchichte abweicht, aber
wir find auch im Stande, die mühefame Arbeit, welche
einer fo durchfichtigen, in edler Natürlichkeit wie in
nothwendigem Fluffe fich verbreitenden Darfteilung zu
Grunde liegt, zu fchätzen, und die grofsen Blicke als
Ergebnifs derfelben zu würdigen. Uebrigens hat der
Verf. dafür geforgt, dafs jedermann einen gewiffen Einblick
in diefe Arbeit gewinne. Denn feine Erzählung
ift zwar ohne alles Hemmnifs der gelehrten Unterfuch-
ung zu lefen, und im beften Sinne als Aufbau auch zur
Erbauung benimmt. Aber die Beigabe zahlreicher Anmerkungen
, welche als ganzes die Schlufsbeilage bilden,
giebt nicht nur für alles erhebliche die Quellen an, fondern
neben diefen auch zahlreiche, wiewohl aufs äufserfte
gedrängte Begründungen des Gefchichtsforfchers. Das
Buch ift dadurch ebenfo fehr gelehrte Studie, wie es
nach feinem allgemeinen Entwürfe für die Gemeinde
und für jeden Denkenden und um die Sache der Mcnfch-
heit Bekümmerten gefchrieben ift. Der Begriff der Liebesthätigkeit
, welchen der Titel giebt, ift ein engerer,
als er unmittelbar im Worte liegt, welches an fich,
ohne alle Befchränkung durch den Gegenftand der Liebe,
das ganze chriftliche Verhalten zum Nächften umfaffen
kann. Er ift in dem befonderen übrigens geläufigen
Sinne angewendet, in welchem er durch den Charakter
des Nächften als des Armen oder überhaupt Hilfsbedürftigen
beftimmt ift. Dafs der Verf. denfelben ftatt
Armenpflege gewählt hat, bedeutet nicht nur, dafs er
die Bedürftigkeit im weiteren Umfange als dem der
eigentlichen Armuth zu Grunde legt, fondern er hat damit
jene Thätigkeit von vorneherein unter den dem
Chriftenthum eigenen Gefichtspunkt feiner höchften
Triebfeder geftellt. Und diefer Gefichtspunkt beweift
fich denn gleich zur Evidenz fruchtbar in den erften
Abfchnitten der vergleichenden Vorgefchichte. Das erfte
Buch, mit dem Titel: Ausgänge und Anfänge, enthält in
den vier Capiteln: Eine Welt ohne Liebe, Unter dem
Gefetz, Die Erfcheinung der Liebe in Jefu Chrifto, Anfänge
und Grundlegungen in der apoftolifchen Kirche,
eben diefe Vorgefchichte im Heidenthum des Römifchen
Reiches, im Judenthum, in der Gefchichte und Lehre
Jefu und im apoftolifchen Zeitalter. Die überaus anziehende
Darftellung der Zuftände des grofsen Reiches
vor und neben dem Chriftenthum, vermeidet eben dadurch
die fonft fo gefährliche Einfeitigkeit der Färbung,
dafs fie getragen ift von der grundfätzlichen Unter-
fcheidung, und daher auch neben der Zeichnung der
tiefen Mängel und Gebrechen allem befferen Stieben