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Ausgabe:

1882 Nr. 8

Spalte:

171-175

Autor/Hrsg.:

Aubé, B.

Titel/Untertitel:

Étude sur un nouveau texte des Actes des martyrs Scillitains 1882

Rezensent:

Overbeck, Franz

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 8.

172

1. Aube, B., Les chretiens dans l'empire Romain de la fin

des Antor.ins au milieu du Ille siecle [180—249].
Paris 1881, Didier & Cie. (VI, 530 S. gr. 8.)

2. Aube, B., Etüde sur un nouveau texte des Actes des mar-
tyrs Scillitains. Paris 1881, Firmin-Didot & Cie.
(39 S. gr. 8.)

Mit dem gröfseren der vorftehenden Werke fetzt
der Verf. feine den Lefern diefer Zeitfchrift (1876, Nr.
17) fchon zur Anzeige gebrachte Erzählung der Verfolgungen
der chriftlichen Kirche im Römifchen Reiche
bis zum Regierungsantritt des Decius fort, welche die
hier (1878, Nr. 22) gleichfalls fchon beurtheilte Befchreib-
ung der erften heidnifchen Streitfchriften gegen die
Chriften unterbrochen hatte. Auch diefes Mal wird man
feine Arbeit nicht ohne Nutzen aus der Hand legen.
Doch wird zu ihrer gerechten Schätzung noch mehr als
fchon früher der theologifche Lefer zumal fich gegenwärtig
zu halten haben, dafs der Standpunkt des Verf.'s
der des politifchen, nicht der des Kirchenhiftorikers ift.
Nicht wie die Kirche fich zum römifchen Staat, fondern
wie fich diefer zur Kirche ftellt ift der Gegenftand des
Verf.'s, wobei man denn von der Kirche nicht mehr als
der Oberfläche anfichtig wird, die für den Staat zum
Vorfchein kam und mit welcher er fich zu thun machte.
Ueberfieht man dies nicht, fo wird man felbft ein Ca-
pitel wie das über ,die intranfigenten und die opportuni-
ftifchen Chriften' (S. 237 ff.), auch ungeachtet feiner ab-
fchreckenden Ueberfchrift, nur mit Dank für feine vielfach
lehrreichen Betrachtungen über den befchränkten
Bereich der chriftlichen Gemeinde, der zunächft und vor- I
nehmlich von den Schlägen der Staatsgewalt getroffen
wurde, entgegennehmen, ohne fich durch die fehr ungenügende
Begründung beirren zu laffen, welche die dabei
innerhalb der chriftlichen Gemeinde vorgenommenen
Unterfcheidungen aus der inneren Gefchichte der Kirche
beim Verf. finden. Freilich läfst die Darftellung auch
an Punkten zu wünfchen übrig, welche auf die volle
Aufmerkfamkeit des Verf.'s Anfpruch hatten. Sie hat
es mit einer Periode zu thun, während welcher in der
Hauptfache im römifchen Reich gegen die Chriften die
Grundfätze fortwährend in Geltung bleiben, welche feit
Trajan mafsgebend waren (f. z. B. noch Orig. c. Cels.
II, 31), und daran wird nichts Wefentliches durch die
Thatfache geändert, dafs man gleich am Anfang diefer
Periode unter Commodus), dem Chriftenthum zum erften
Male mit Einflufs am Hofe begegnet, am Schluffe fogar
auf dem Throne, wenn es denn wahrfcheinlich ift, dafs
Philippus der Araber ein Chrift war, und während einer
der längften Regierungen der Träger der Kaifergewalt
den Chriften perfönlich notorifch wcnigftens günftig ge-
finnt ift. Dennoch ift es die Frage, ob das fehr eintönige
Bild, welches man aus der Darftellung des Verf.'s
über die Politik der Staatsbehörden in der Sache der
Chriften während diefer Periode erhält, richtig ift, und
ob er nicht die Vorzeichen der in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts hervorbrechenden Wendung darin überfieht.
Im zweiten Jahrhundert ift von befonderer Politik des
Staats gegen die Chriften in gewiffem Sinne noch nicht
die Rede. Was man am Chriften beftraft ift nichts Anderes
, als die Widerfetzlichkeit gegen das ausgefprochene
Staatsgebot, die überhaupt ftrafwürdig ift, die man aber
in diefem Falle mit befonderen Mitteln zu verfolgen
fich noch gar nicht veranlafst fieht. Nun ift es, je mehr
fich feit Marc Aurel's Tode die Anzeichen intimerer Be-
kanntfchaft felbft der höchften Behörden mit der bekämpften
Sache häufen, von vornherein nicht wahrfcheinlich
, dafs es im 3. Jahrhundert bis Decius noch
bei diefem Mangel an Bewufstfein einer befonderen,
mit der Bekämpfung des Chriftenthums gegebenen politifchen
Aufgabe, einfach geblieben ift. Und davon, dafs
es nicht der Fall war, ift das Chriftenedict des Kaifers

Septimius Severus vom J. 202 doch wohl an fich felbft
ein Anzeichen und wird als folches vollends deutlich,
wenn man fich nur nicht feine Bedeutung durch ab-
ftracte und willkürlich ifolirende Interpretation des davon
Ueberlieferten, wie gemeinhin gefchieht, verdeckt.
Das Einzige, was man vom Inhalt des Severifchen Edicts
weifs, ift bekanntlich, dafs es den Uebertritt zum Chriftenthum
verbot. Nichts ift aber verkehrter, als diefes
Verbot als eine Befchränkung der bisherigen Strafge-
fetze gegen die Chriften aufzufaffen, und nun das Edict, wie
dies Alles auch Aube thut,für eine finn- und nothwendiger
Weife erfolglofe Mafsregel zu erklären, welche als eigentliches
Verfolgungsedict gar nicht gelten könne und die
Lage der Chriften im Römifchen Reich politifch nur
verbeffert habe (S. 73. 77. 111 ff.). Dabei wird nur vergehen
, was die unzweifelhafteften Thatfachen aus der
fogenannten Severifchen Verfolgung und aus fpäterer Zeit
beweifen, dafs die ältere Gefetzgebung gegen die Chriften
den fortbeltehenden Hintergrund bildet, welchen
das Edict des Severus nicht befeitigt, fondern vorausfetzt
, und von welchem aus es allein zu deuten ift. Dann
läfst fich aber das Edict nicht anders auffaffen denn als
Verfuch, dem Chriftenthum, unbefchadet des allgemeinen,
dagegen beftehenden Verbots und der ferneren Handhabung
desfelben mit den alten Mitteln, auf eine neue
Weife beizukommen, und weit entfernt, etwa durch halbe
Anerkennung der Kirche, die Toleranzedicte des 3. Jahrhunderts
vorzubereiten, eröffnet das Severifche Edict
vielmehr die Reihe der für diefes Jahrhundert ebenfalls
charakteriftifchen Verfuche, das Chriftenthum auf wirk-
famere Weife zu bekämpfen, als nur mit den Mitteln der
Trajanifchen und Antoninifchen Gefetzgebung. Ohne auf
diefe zu verzichten, was nie gefchehen konnte ohne
ihren Zweck überhaupt aufzugeben, hat Severus fie nur
durch das Verbot des Profelytismus verfchärft, indem
er, unbefchadet des allgemeinen, aber im Einzelnen mit
grofser Unbeftimmtheit gehandhabten Verbots des Chriftenthums
, eine Claffe von Chriften für die Verfolgung
ex officio defignirte und befonders heraushob. Fafst man
aber das Edict nur richtig auf und erkennt man daher,
dafs es keine Herabftimmung der beftehenden Verfolg-
ungsgrundfätze, fondern nur ein neuer Accent darauf
war, fo wird man fich auch nicht mit Aube gegen den
Augenfchein fträuben, den Zufammenhang der im Anfang
des 6. Buchs des Eufebius erzählten Verfolgungen
in Aegypten mit dem Edict anzuerkennen (S. 138 f.),
zumal da, wie auch Aube S. 126 f. hervorhebt, die Verfolgung
für die alexandrinifche Kirche damit überhaupt
erft begann. Noch auffallender aber faft als beim Edict
des Severus läfst der Verf. Schärfe des Blicks für die
Vorzeichen der von Decius eröffneten Aera der Verfolgung
bei dem des Maximinus Thrax vermiffen. Ueber
1 dem eifrigen Bemühen, die th'atfächlich geringe Bedeutung
der Verfolgung des Maximinus zu erweifen,
welche keinem Zweifel unterliegt, ftreift der Verf. eben
nur (S. 427) die Notiz des Eufebius (VI, 28) über das
Edict diefes Kaifers, dafs es mit Hinrichtungen nur gegen
die Vorneher der chriftlichen Gemeinden vorzugehen
angewiefen habe, ohne das hohe Intereffe, welches diefer
Notiz im Zufammenhang der Gefchichte der Verfolgungen
im 3. Jahrhundert überhaupt zukommt, auch
nur mit einem Worte zu bedenken.

Es läfst fich nicht verkennen, dafs fchon die eben
befprochene Abftumpfung gewiffer Spitzen des Gegen-
ftandes beim Verf. mit der Grundtendenz feines Werks
zufammenhängt, welche auch im vorliegenden Bande die
Herabfetzung der Ausdehnung und des Mafses der Verfolgungen
der Kirche im Römifchen Reich gegen die
| übertriebenen Vorftellungen einer von der kirchlichen
j Tradition über die Lage der Kirche im Römifchen Reiche
| vor Conftantin beherrfchten Phantafie bleibt. Gewifs
kommt diefer Tendenz die von dem Verf. diefes Mal
j behandelte Periode weiter wie irgend eine andere ent-