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Ausgabe:

1882 Nr. 7

Spalte:

163-164

Autor/Hrsg.:

Herbst, Wilh.

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der evangelischen Kirche für unsere nationale Cultur 1882

Rezensent:

Köhler, Karl

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Seite 1

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163 Theologifche Literaturzeitung. 1S82. Nr. 7. 1O4

Auffaffung desjenigen Lebens, das Paulus das ,in Gott
mit Chriftus verborgene Leben der Seele nennt, wider-
fprochen. L. fcheint anzunehmen, dafs R. diefes ganze
Gebiet der perfönlichen Beziehung auf Chriftus und Gott
abweife. Das find Mifsverftändnifse. — Ich vermuthe,
dafs in L.'s Auffatz fich mehr als eine Recrimination
doch daraus erklärt, dafs L. trotz feiner Ruhe noch ab
irato gefchrieben. Gleichzeitig mit feinem Auffatz er-
fchien in feinem Literaturblatt eineAnzeige von Kaftan's
trefflichem Werke: ,das Wefen des Chriftenthums'. Diefe
Anzeige, die doch auch L.'s Name deckt, contraftirt
eigentümlich mit dem Auffatz. Wer R. kennt, weifs,
wie fehr Kaftan mit ihm übereinkommt. Das Buch wird
anerkannt in den entfcheidendften Partien, wo man Stück
für Stück die Parallele aus R. nachweifen könnte. Man
wird fich deffen freuen als eines Zeichens dafür, dafs
auf die Dauer wohl wirklich das zu erreichen ift, was
R.'s Schrift, auf die L. geantwortet hat, erftrebte, Ver-
ftändigung.

Giefsen, 1. Febr. 1882. F. Kattenbufch.

1. Goltz, Ob.-Confift.-R. Probft Dr. v. der, Unionsgesinnung
als Bedingung für die positive Lösung der Aufgaben,
welche der evangel. Kirche in Deutschland gegenwärtig
gestellt sind. Vortrag, gehalten in der Verfammlung
der landeskirchlichen evangel. Vereinigung, Erfurt, den
4.0ctbr. 1881. Halle 1881, Strien. (22 S. gr.8.) M. —. 30.

2. Herbst, Prof. Dir. Dr. Wilh., Die Bedeutung der evangelischen
Kirche für unsere nationale Cultur. Vortrag,
geh. in der Verfammlung der Evangel. Vereine der
öftlichen Provinzen der preufs. Landeskirche zu Erfurt
am 5. Octbr. 1881. Halle 1881, Strien. (III,
37 S. 8.) M. —. 60.

1. Diefer Vortrag wurde in der nachfolgenden Dis-
cuffion von einem Redner als eine ,That' bezeichnet und
war es in Wahrheit. ,Vor dem Herrn Chriftus und vor
unferm evangelifchen Volke — fagte der Redner —
fühle er fich verpflichtet, Zeugnifs abzulegen für das heilige
Recht der Union und den reichen Segen, den fie
unferer Kirche gebracht hat in Theologie und Leben,
im Regiment und in der Gemeinde'. Gefetzliche Durchführung
der Union auch dort, wo dafür bei mangelnder
confeffioneller Mifchung der Bevölkerung oder aus anderen
Gründen kein Anlafs gegeben ift, fordert er nicht,
wohl aber die Unionsgefinnung, die Anerkennung deffen,
dafs der gefammte deutfchc Proteftantismus in Leben
und Wiffenfchaft thatfächlich unirten Charakter trägt.
Unionsgefinnung, behauptet er in der Schlufsthefe, fei
,gleichmäfsig für den Widerftand gegen Rom, für die
förderliche Arbeit und kirchliche Haltung der Theologie
, für das Zufammenwirken von Kirche und Staat an
gemeinfamen erziehlichen Aufgaben, für die innerliche
und volksthümliche Wirkfamkeit der inneren Miffion un-
erläfsliche Bedingung'. Der Nachweis ift vollftändig gelungen
. Mit Sohm, gegen deffen Vortrag auf der vorjährigen
Auguft-Conferenz der Redner entfchiedenen
Proteft einlegt, berührt er fich in dem Anerkenntnis, dafs
auch, was in Deutfchland reformirt heifst, eine innere
Verwandtfchaft mit dem lutherifchen Wefen zeige und
von dem ausländifchen Calvinismus fich merklich unter -
fcheide; aber treffend gründet er gerade hierauf das
gute Recht der Union, anftatt der von der Auguft-Conferenz
erhobenen exorbitanten Forderung, dafs die gefammte
unirte Kirche Preufsens in eine confeffionell-
lutherifche verwandelt werde.

Der Verf. von Nr. 2 befpricht ein viel behandeltes
Thema in feiner, geiftvoller Weife und mit reicher Sach-
kenntnifs. ,Die Theologie und Kirche der Reformation
— fagt er — find niemals ein diesfeitiges Cultur- und
Wiffenfchaftsreich gewefen und werden es niemals wer-

! den; aber gefürchtet haben fie fich ebenfo wenig vor
! diefem Reiche, in Fühlung find fie ftets damit geblie-
j ben'. Wie die Reformation die eigenfte That des deut-
i fchen Geiftes, die Gründung der evangelifchen Kirche
j ,die gröfste nationale Culturthat' gewefen ift, fo ift un-
fere ganze heutige nationale Cultur, literarifche, wiffen-
! fchaftliche, künftlerifche, und fchliefslich der deutfch-
nationale Staat nur möglich geworden auf dem Boden
der Reformation, denn nur in der Luft der Freiheit
konnte das alles gedeihen. ,Nach Canoffa — heifst es
am Schluffe — geht unfere nationale Cultur gewifs weniger
noch als der grofse Reichskanzler. Es wäre auch
ihr letzter Gang. Aber auch das ift ein Culturkampf,
der Kampf wider die Cultur, jene Aftercultur, die ihr
Wefen in der Losfagung vom Chriftenthum oder vielmehr
im Kampf dagegen fieht; das Chriftenthum ift aber
die Seele unferes, ja gerade unferes Volkes. Wir aber
glauben an eine Harmonie, an die gottgewollte Möglichkeit
eines ehrlichen Bundes echter Cultur und eines
lebendigen Chriftenglaubens, der nicht ein Sacrifizio del
intellclto fo lange fordert, bis es nichts mehr zu opfern
giebt. Halten wir diefen Standort folgerichtig und mu-
thig feft'. Wer es mit der Kirche der Reformation und
unferer nationalen Zukunft wohl meint, kann nur Ja und
Amen dazu fprechen.

Friedberg. K. Köhler.

Ziegler, Gymn.-Prof. Theobald, Geschichte der Ethik.

1. Abtig.: Die Ethik der Griechen und Römer. Bonn
1881, Straufs. (XIII, 342 S. gr. 8.) M. 8. -

Seit einigen Jahren zeigt fich auf dem Gebiete der
wiffenfchaftlichen Ethik, das lange Zeit in befremdlicher
Weife vernachläffigt worden war, bedeutende Regfam-
keit. Sobald man fich um das Syftem einer Wiffenfchaft
bemüht, wird aber auch das Studium der ge-
fchichtlichen Entwickelung derfelben mit Eifer betrieben
werden, und auch dies macht fich, was die Ethik anlangt,
befonders in der letzten Zeit bemerkbar. Ich brauche
hierfür nur hinzuweifen auf die neuerdings erfchienenen
Werke von Beftmann über die fittlichen Stadien, von
Gafs über die Gefchichte der chriftlichen Ethik. Faft
zu gleicher Zeit find nun zwei auf die griechifche Ethik
bezügliche Arbeiten erfchienen, von denen aber keine
die andere überflüffig macht, fondern im Gegentheil ergänzen
fie fich beide in vortrefflicher Weife.

Während nämlich die Ethik der alten Griechen von
Leopold Schmidt, Bd. 1, Berlin 1882, die ethifchen Ideale
und das ethifche Leben des griechifchen Volks im allgemeinen
, auf Grund der ausgebreiteten Literatur bis
herunter zu Plutarch und Lucian fchildert, giebt uns das
vorliegende Werk im wefentlichen nur die ethifchen Anflehten
der Philofophen, ohne jedoch die fittlichen An-
fchauungen der verfchiedenen Zeiten, mit denen die ethifchen
Syfteme in Wechfelwirkung flehen, zu vernach-
läffigen. Hat ja doch, wie der Verf. fagt, in Griechenland
,die ethifche Speculation zunächft keine andere Aufgabe
gehabt, als die, das moralifche Selbftbewufstfein
des Volkes zu werden'.

Aus der Arbeit erkennt man nun leicht, dafs der
Verf. gründliche Kenntnifs des Quellenmaterials befitzt,
dafs er Selbftändigkeit der Auffaffung und des Urtheils
wahrt, dafs er an Schwierigkeiten nicht vorübergeht. Er
hat das Wefen der griechifchen Ethik richtig erfafst und
weifs es im allgemeinen treffend zu kennzeichnen, fowie
er auch das Befondere der einzelnen Philofophen und
Philofophenfchulen in einer Art, der ich meift beiftimmen
kann, hervorhebt. Als die griechifche Ethik im eminenten
Sinne gilt ihm mit Recht die des Ariftotelcs: ,denn
fie bringt ja nur auf den Begriff, was theilweife unbewufst
im griechifchen Volke lebte und galt, feine Sitten und
Gewohnheiten, feine praktifchen Anfchauungen und mo-
ralifchen Grundfätze, fein fittliches Ethos und fein fitt-