Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1882 Nr. 7

Spalte:

157-163

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Chr. E.

Titel/Untertitel:

Zur Beurtheilung der Ritschl‘schen Theologie. Eine Entgegnung 1882

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

157

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 7.

158

zeichnete bereits 1853 öffentlich ausgefprochen hat,
Zeitfchr. f. hiff. Theol. S. 423) fich felbft ehren würde,
nämlich als Denkmal für Wiclif, zum 500jährigen Ge-
dächtnifs feines Todes, die Veröffentlichung der noch
ungedruckten lateinifchen Werke des Mannes zu Stand
und Wefen zu bringen.

Leipzig. G. Lechler.

Luthardt, Chr. E., Zur Beurtheilung der Ritschl'schen Theologie
. Eine Entgegnung. Leipzig, Dörffling & Franke.
(Zeitfchrift für kirchliche Wiffenfchaft und kirchliches
Leben. 1881. Heft XII, S. 617—643. gr. 8.)
Es ift nicht das erfte Mal, dafs in diefen Blättern
ein Auffatz, der nicht feparat erfchienen ift, befprochen
wird, und das Intereffe, das fich an Luthardt's Antwort
auf Ritfchl's Schrift: .Theologie und Metaphyfik' heften
dürfte, wird es berechtigt erfcheinen laffen, wenn auch
dem oben bezeichneten Auffatze gegenüber eine Ausnahme
von der fonftigen Regel gemacht wird. L. hatte
in der 5. Auflage feines Compendiums der Dogmatik in
einer kurzen Bemerkung, die er eingefchaltct, R.'s Theologie
dahin charaktcrifirt, dafs fie ,mit Ausfcheidung alles
Metaphyflfchen das Chriftenthum unter den ausfchliefs-
lichen Gefichtspunkt des Werthes, den alles Einzelne für
die fittliche Zweckbeftimmung des Menfchen habe, ftelle'
und fie danach beurtheilt als ,eine moralifirende Werth-
beftimmung des Chriflcnthums, welche dasfelbe in ra-
tionaliftifcher Verkennung feines göttlichen Wcfens ent-
werthet'. R. hatte, von diefer Bemerkung L.'s ausgehend,
des Weiteren auch Urtheile von F. Frank und H. Weifs
über feine Theologie berückfichtigend, feine Anfchauung
über die Bedeutung der Metaphyfik für die Theologie
entwickelt. Die Schrift war bezeichnet als ,zur Verftän-
digung und Abwehr' beftimmt. Dafs der Titel nicht zufällig
das ,zur Verftändigung' voranstelle, fpricht der
Verf. ausdrücklich aus. Es ift in der That für denjenigen
, der von der fcharfen Klinge, die R. zur Abwehr
führt, nicht perfönlich betroffen wird, wie ich denken
follte, bald bemerklich, dafs R.'s oberstes Abfehen Verftändigung
ift. Er giebt feiner Ueberzcugung mifsverstanden
zu werden wiederholt Ausdruck und erwartet
eben um deswillen von einer Darlegung der Methode,
die er befolgt habe, ein höheres Mafs von Verständigung
. Es kann auch feinen Gegnern — vorausgefetzt
dafs es ihnen überhaupt auf wiffenfehaftlichen Austaufch
ankommt — nur willkommen fein, wenn R. fich angelegen
fein läfst, feine Meinung ihrer Auffaffung gegenüber
felbft zu interpretiren.

L. fcheint für feine Perfon in R.'s Ausführungen nur
die .Abwehr' empfunden zu haben. Um fo mehr darf
es ihm als ein Verdienst angerechnet werden, dafs er es
fich abgewonnen, durchweg ruhig und fachlich zu antworten
. Er hätte fich nur nicht wundern follen, dafs
R. mit Affect gefchrieben. Wenn er R.'s Theologie der
,Entwerthung des Chriftenthums' zeiht, fo ift das ein I
Vorwurf, den doch R. nicht gleichmüthig hinnehmen ;
konnte. Es ift R.'s Verdienft vor allen anderen gegenwärtig
auf dem Plan befindlichen fyftcmatifchen Theologen
, dafs er gerade Alles in der Theologie auf feinen
Werth für das Chriftenthum d. h. die wirkliche
chriftliche Religiofltät beurtheilt und kein anderes Ziel
hat, als das Chriftenthum in feinem Werthe als abfo-
lute Religion verftändlich zu machen. Man mag nun
verfuchen, feine Deutung des Chriftenthums zu wider- l
legen. Aber dafs er fich in feiner Entgegnung fchneidig
zeigt, wenn er mit einem fo kurz hingeworfenen Urtheile
charakterifirt wird, welches gar nicht den Verfuch einer
Würdigung verräth, ift doch fehr berechtigt.

L. alfo hat feinen Auffatz gefchrieben, um die Richtigkeit
feines Unheiles über R.'s Theologie darzuthun.
Es kann ihm leider nicht zugestanden werden, dafs er
von einem ausreichenden Verftändnifs der Pofition R.'s l

aus die Streitpunkte fixirte. Indem er im Allgemeinen
R.'s Meinung über die Metaphyfik refümiren will, bezeichnet
er fie dahin, die Metaphyfik betreffe ,die Frage
nach dem Sein, nach dem Wefen der Dinge'. Dann
meint er R.'s Meinung über das Chriftenthum fo präci-
firen zu müffen: ,1m Chriftenthum und feiner Theologie
handelt es fich nicht um das Sein, fondern um die Bedeutung
, um Werthurtheile; nicht was Gott, was Christus
, was Auferstehung ift, fondern welchen Werth fie
für uns haben'. ,Aber damit — fährt er fort — dafs
Alles auf Werthurtheile reducirt wird, habe ich entgegengehalten
, wird das Chriftenthum entwerthet'. Was
er gegen R. einzuwenden hat, ift in nuce mit den näch-
ften Sätzen ausgefprochen. Er giebt zu, dafs Alles im
Chriftenthum auf die Bedeutung der einzelnen Vorstellungen
ankomme. ,Gewifs, was hilft uns ein Gott, wenn
er nicht uns Gott ift? Was ein Gottmenfch, wenn er

nicht unfer Heiland ift etc.?' ,Aber — bemerkt er ■_

die Bedeutung einer Sache mufs doch ihr Fundament in
der Sache felbft haben. Wenn die Bedeutung nicht
fachlich begründet ift, wenn wir das Werthurtheil
vom Seinsurtheil löfen, fo hängt es fchliefs-
lich in der Luft'. — Ich kann nicht umhin, fogleich
hier zu bemerken, dafs L. R. wirklich mifsverfteht, einen
Gegenfatz formulirt, der fo gar nicht exiftirt und in feiner
Einwendung einen Gedanken ausdrückt, den R. fo
ausgefprochen gar nicht anders hegt, als L. felbft. R.
foll keine Seinsurtheile in der Theologie anerkennen
wollen? Ich vermuthe, dafs R. diefes Mifsverftändnifs
zu denjenigen rechnet, auf die er nicht geglaubt fich ge-
fafst machen zu follen. R. kommt in feiner Brofchüre
Abfatz IV (S. 30 ff.), nachdem er fich mit Bezug auf
concrete Probleme bereits mit Luthardt und Frank auseinandergefetzt
, ausdrücklich auf die Erkenntnifstheorie
zu reden, die ihn leite. Die Auseinanderfetzungen, die
er hier bietet, berühren den Gegenfatz, den L. ftatuirt,
nicht ausdrücklich, vermuthlich, wie gefagt, weil R. auf
eine Verkennung feiner Meinung nach der Richtung, wie
fie bei L. auftritt, gar nicht rechnete. Als Gegenfatz
ftellt R. fich hier zunächst entgegen eine Erkenntnifstheorie
, die das Ding ,an fich' meint befchreiben zu können
. Er felbft meint, nur folche Ausfagen über die
Dinge machen zu dürfen, die aus der Relation derfelben
zu uns erhellen. In der Theologie bedeutet ihm das,
dafs Alles, was wir von Gott und Christus ausfagen dürfen,
nur hergeleitet werden könne aus der Wirkung auf uns^
die fie üben. Diefe Wirkung ift ihre Offenbarung. Sofern
fie fich nicht eine Relation zu uns gegeben und fo-
fern wir diefe nicht erkennen oder nicht zu deuten vermögen
, können wir auch keine Behauptungen über fie
machen. Was wir nicht bemerken in irgend einem Sinne,
ift darum noch nicht nothwendig aufserhalb des Seins,
aber aufserhalb des Seins für uns. Wir können's nicht
leugnen, aber auch nicht ftatuiren. In diefer Ausführung
ift Nichts enthalten, was als die Vorbereitung eines Systems
von lauter Werthurtheilen in der Dogmatik im
Untcrfchiede von Seinsurtheilen erfchiene. Es hat blofs
den Sinn der allgemeinen Bereinigung der Grenzen der
Leistungsfähigkeit der Dogmatik als Wiffenfchaft, wenn
R. von Gott und Christus nur fo reden will, wie fie ,für
uns', nicht wie fie ,an fich' exiftiren. Wenden wir die
Unterfcheidung von Werth- und Seinsurtheilen an, fo
find es fogar bislang lediglich Seinsurtheile, die R. gewinnen
will. Das Werthurtheil befagt, ob das Ding für
uns belangreich oder gleichgültig ift, ob es uns mit Luft
oder Unlust afficirt. Ganz neutral gegen diefe eventuelle
fpätere Scheidung in den uns zugänglichen Urtheilen
über Gott etc. ift R.'s oberfter Grundfatz, dafs, was wir
überhaupt von Gott etc. wiffen können, zu erheben ift
aus feinen Wirkungen auf uns. Es fällt ein gut Theil
der Ausführungen L.'s zufammen, wenn man bemerkt
dafs die Grundvorausfetzung über den Charakter von
R.'s Ausfagen in der Theologie ein Mifsverftändnifs dar-