Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1882 Nr. 7

Spalte:

147-152

Autor/Hrsg.:

Delitzsch, Friedr.

Titel/Untertitel:

Wo lag das Paradies? Eine biblisch-assyriologische Studie 1882

Rezensent:

Philippi, Fr.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

147

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 7.

148

er, was er fonft zur LXX zu fagen hat, recht bald dem
Publicum vorzulegen im Stande ift. Viele, die ihn auf
feinem weiten Wege zum Ziele nicht begleiten konnten,
werden fich doch dankbar an den erreichten Refultaten
freuen.

Moers. Joh. Hollenberg.

Delitzsch, Prof. Dr. Friedr., Wo lag das Paradies? Eine
biblifch-affyriologifche Studie. Mit zahlreichen affy-
riologifchen Beiträgen zur biblifchen Länder- und
Völkerkunde und einer (chromolith.) Karte Babylo-
niens. Leipzig 1881, Hinrichs. (XI, 346 S. gr. 8.)
M. 20. —

Wo lag das Paradies? eine ebenfo oft aufgeworfene
als verfchieden beantwortete Frage! Fr. Del. will die
zahlreichen ,an dem Problem fruchtlos fich abmühenden
Verfuche' um einen neuen vermehren, ,bafirt in allen
Hauptfachen auf der monumentalen babyl. affyrifchen
Literatur und auf Ermittelung der zwar verwifchten aber
immerhin noch zu entziffernden Linien der Stromläufe
Babyloniens'. Nachdem der Verf. in einer Einleitung
den Wortlaut und Wortfmn der altteft. Paradiefeserzähl-
ung feftgeftellt hat, fucht er in dem erften Haupttheil
die bisherigen drei Hauptanfichten über die Lage des
Paradiefes zu widerlegen. Am Schlufs diefes Abfchnit-
tes weift er noch kurz auf das ,ganze Heer anderer bunt-
fcheckiger Hypothefen' hin, die fich um diefe drei Gruppen
lagern. Es folgt darauf im zweiten Haupttheil die
Darlegung feiner eigenen Anficht. Sie berührt fich am
nächften mit der Auffaffung der englifchen Affyriologen
Rawlinfon und Smith. Auch er glaubt in der babylo-
nifchen Landfchaft das biblifche Paradies wiederentdeckt
zu haben. Genauer ift nach ihm unter Gan-Eden ,die
Babylon zunächft liegende Landfchaft, welche fich vom
fog. Ifthmus, wo'jetzt Tigris und Euphrat am meiden con-
vergiren, bis etwas unterhalb Babylons hin erdreckt' zu
verftehen, jene Gegend, welche bei den Babyloniern wie
Affyrern felbft Kar-Dunias d. i. Garten des Gottes
Dunias hiefs. Der Paradiefesdrom ift darnach der diefe
Gegend durchfliefsende Euphrat, der in der That ganz
allein zur Bewäfferung und Befruchtung diefer Landfchaft
dient, — der Tigris kommt auf der ganzen Strecke
nicht in Betracht (p. 67). Die vier Ströme aber, in die
fich der Paradiesftrom bei feinem Austritt aus dem Garten
theilt, find 1) der berühmte Kanal des Euphrat oder
richtiger der Euphratarm Pallakopas, welcher unterhalb
Babylons fich abzweigt und auf dem rechten, arabifchen
Euphratufer in langem Lauf direct zum perfifchen Meer
fliefst = Pifchon — Chawila alfo die bis auf diefen Tag
zu einem gewiffen Theil Arä cl-häldt genannte fyrifche
Wüfte und zwar fpeciell ihr oftnordöftlicher, an den ba-
bylonifchen Euphratlauf angrenzender Theil (p. 59),
2) der Schatt en-Nil, ein Kanal des Euphrat, der von Babylon
aus auf dem linken babylonifchen Ufer in langer
Linie durch ganz Mittelbabylonien fliefst, um dann wieder
dem Hauptbett des Pluphrat fich zuzuwenden =
Gichon, — Kufch alfo das eigentliche Babylonien, fpeciell
deffen mittlerer Theil von Babylon bis zum Schatt
el-Häi (p. 72), 3) der Tigris, der von eben da an wieder
feine frühere, felbftändige, vom Euphrat unabhängige
Stellung einnimmt = Chiddekel, und 4) der Euphrat, der
von Babylon aus feiner Natur nach gänzlich verändert
erfcheint = Phrat (p. 78). Selbft die dem Gichon und
Pifchon entfprechenden einheimifchen babylonifchen Namen
glaubt Del. wenn auch nicht mit voller Sicherheit
nachweifen zu können. Unter Eden ift aber die ganze
mefopotamifche Ebene nordwärts und füdwärts vom
Ifthmus zu verftehen. Auch diefer Name ift ein hifto-
rifch gegebener, entftanden aus dem fumer. accad. cdin
(Feld, Ebene, Wiefe), wie wohl ein Theil Mefopotamiens
genannt worden fei, zu vergleichen dem heutigen Zor

(pp. 79. 80). In einem Nachwort (pp. 83—94), das vom
Urfprung und Alter der altteft. Paradiefeserzählung handelt
, werden wir noch belehrt, dafs wie alle anderen
fog. Urgefchichten der Genefis fo auch die Paradiefes-
und Sündenfallerzählung auf Babylonien als ihre Heimath
zurückgehen. Zwar fei bisher noch keine baby-
lonifche Paradiefes - und Sündenfallerzählung gefunden,
aber fie müffe fich noch finden, und es laffe fich mit
ziemlicher Sicherheit behaupten, dafs die vorauszufetzende
babylon. Sündenfallerzählung auch im Einzelnen der
biblifchen verwandte Züge enthalten haben werde. Zum
Schlufs weift er hin auf die Räthfel, welche auch die
neuefte Pentateuchtheorie noch nicht vollftändig gelöft
hat und die darin beliehen, dafs ,auf keine der biblifchen
Urgefchichten und zwar weder in ihrer elohiftifchen noch
in ihrer jahwiftifchen Fafiung innerhalb der altteft.
Schriften Bezug genommen ift, aufser feit dem babylon.
Exil'. Der Text ift begleitet von einer grofsen Zahl
von Anmerkungen fehr mannigfaltigen Inhalts (pp.
95—166). Damit haben wir aber erft den Inhalt der
erften Hälfte des Buches fkizzirt. Die andere Hälfte
nehmen Anhänge geographifchen Inhalts ein (pp. 169—
329), nämlich I. Zur Geographie Babyloniens, II. Zur
biblifchen Völkertafel, III. Zur Geographie Kanaans,
IV. Zur Geographie Aegyptens, V. Zur Geographie
Elams. Meines Erachtens liegt der Hauptwerth des
Buches in diefen allerdings mit dem eigentlichen Thema
nur in fehr lofem Zufammenhange flehenden Anhängen.
Abgefehen von einigen höchft problematifchen, insbe-
fondere accad. fumer. Etymologien — cf. p. 169 Purat
aus dem fumer. akkad. Pura-nunn, der grofse Strom;
p. 170 DMat aus dem fumer. akkad. I-digna, Flufs mit
hohen Ufern oder Strombett, p. 189: i-tu-ru-ungal, i wohl
Flufs und nugal König, alfo Königs .... kanal, p. 216:
Borsippa aus sumer. akkad. Bad-si-ab-ba = Schlofs, Horn,
Haus; p. 270 Kan-a-na = IJäna woraus JJaiitit, ljattu,
fo dafs 1253 zufammenzuftellen wäre mit nn, ennr; etc., —
werden fowohl biblifche wie orientalifche Forfcher diefe
Anhänge, in denen das Hauptfächlichfte von dem, was
wir aus den Keilinfchriften über die Geographie der genannten
Länder erfahren, mit grofser Sorgfalt zufammen-
geftellt ift, gewifs dankbarft willkommen heifsen. Den
Haupttheil des Buches, die Beantwortung der Frage:
Wo lag das Paradies? bedauere ich aber trotz aller affy-
riologifchen Gelehrfamkeit als durchaus mifslungen
bezeichnen zu müffen. Zunächft ift mir fchlechterdings
unbegreiflich, wie Del. überfehen konnte, dafs einige der
Hauptargumente, die er gegen die heut zu Tage ver-
breitetften Anflehten von der Lage des Paradiefes geltend
macht, fich in ungleich ftärkerem Mafse gegen feine eigene
I Anficht richten. Nach Del. gilt dem Erzähler das Territorium
des Paradiefes als noch zu feiner Zeit vorhanden .
| (pp. 2. 35). Nun hätten die Hebräer ficher vom Tigris und
j Euphrat und deren Urfprüngen hinreichend genaue Kennt-
1 nifs gehabt. Ergo find nach ihm alle Anflehten unhaltbar
, die den Erzähler phantaftifche, nebelhafte Träume
von einem einheitlichen Quellenurfprung des Tigris und
Euphrat ausfprechen laffen (pp. 24. 25). Eine abfolute
Unkenntnifs der Urfprünge des Tigris und Euphrat fei
bei dem Jahwiften, der fich mit der Geographie Babyloniens
wie auch Affyriens innigft vertraut zeige, einfach
unmöglich (p. 114). Aber eben diefer über die Urfprünge
des Tigris und Euphrat genau orientirte Erzähler fcheint
nach Del. nicht zu wiffen, dafs der Euphrat fchon längft
oberhalb Babels Euphrat hiefs, indem er den Euphrat
aus dem anonymen Paradiefesftrom unterhalb Babels
hervorgehen läfst! Warum bezeichnet denn der in die
Geographie Babyloniens tief Eingeweihte nicht den Paradiefesftrom
felbft als Euphrat ? Und weiter! Eben diefer
Geograph läfst den Tigris unterhalb Babels aus dem
Euphrat entfpringen! Das ift doch von den Vorausfetz-
ungen Delitzfch's aus ganz unfafsbar! Denn dafs er den
Tigris als Arm des Paradiefesftromes betrachtet, fleht