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Ausgabe:

1882 Nr. 2

Spalte:

43-44

Autor/Hrsg.:

Nathusius, Martin von

Titel/Untertitel:

Unser Wandel ist im Himmel. Fünf Predigten aus der Pfingstzeit 1881 1882

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 2.

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den wirklichen Hergang bei Entftehung der Welt offen- !
baren müfste. Indefs, fo fcheinbar diefe Meinung fei, 1
fo verhalte es fich doch in Wahrheit gerade umgekehrt.
Die Wirklichkeit fei viel zu maffiv und complicirt, um
nicht, ftatt die Wahrheit erkennen zu laffen, diefelbe
vielmehr zu verbergen, noch dazu blöden Augen, welche
gleich Alles zu fehen glaubten, in Wahrheit aber nichts
fähen, als die Oberfläche und den Schein (S. 37). Weiter
heifst es: ,Was das der fichtbaren Welt entnommene
Gleichnifs für die Darfteilung der unfichtbaren, geiftigen
Dinge in, das ift das Hexaemeron für das Verliändnifs
der fichtbaren Welt. Und fo wenig hat der Glaube ein
Intereffe, die Schöpfungsgefchichte der h. Schrift zu
einer wirklichen Gefchichte zu machen, dafs er vielmehr
alle Urfache hat, diefe Meinung fchleunigft aufzugeben,
nicht fowohl, weil er fich damit nach vielen Seiten hin
zu einem Gefpötte macht; aber weil er fich dadurch das
wirkliche Verftändnifs der Schöpfungsgefchichte ver-
fchliefst oder wenigftens trübt. Dann dafs damit die
Erzählung zu einem blofsen Mythus werde, davon kann
nun fchon gar keine Rede fein. Haben wir Gründe dafür
, dafs diefe Gefchichte auf Offenbarung ruht, fo werden
diefe Gründe wahrlich nicht entkräftet, wenn diefelbe
aufhört, ein hiftorifcher Bericht zu fein und ftatt
deffen zu einer die höchften Wahrheiten auf das treff-
lichfte veranfchaulichenden Mythe wird'. Die biblifche
Erzählung, obwohl auch aus menfchlichem Denken her-
ftammend, fei doch im vollften Sinne des Wortes Gottes
Wort; und es könne nichts unrichtiger und irreführender
fein, als diefelbe eine Sage zu nennen; denn wir verbanden
unter Sagen, was Menfchen rein aus fich
gefagt haben, möge ihren Sagen nun ein hiftorifches Er-
eignifs, oder ein Gedanke als Motiv zu Grunde liegen.

Nach dem Verf. foll in der Schöpfungsgefchichte
dargeftellt werden, dafs Alles, was da ift, durch Gottes
Willen hervorgebracht fei, und dafs die Welt urfprüng-
lich gut gewefen. Das Böfe fei noch nicht da gevvefen,
und deshalb auch noch nicht der Tod als Folge des
Böfen. Die Gefchichte vom Falle der Menfchen folle
zeigen, wie die Welt fchlecht geworden, oder mit andern
Worten, wie die Sünde und mit der Sünde der Tod in
die Welt gekommen. So wird auch die Gefchichte vom
Paradies, vom Sündenfall, von der Vertreibung aus dem
Paradies und der Bewachung desfelben durch die Cherubim
fymbolifch gedeutet. Wir können nun natürlich
nicht dem Verf. ins Einzelne folgen, und muffen uns begnügen
zu erklären, dafs derfelbe bei der Behandlung
des Ganzen und des Einzelnen mit Scharffinn und mit
ernft rcligiöfem Geilte verfahren ift. Ob er aber überall
bei gläubigen Bibellefern und Forfchern Beifall finden
wird, wollen wir nicht behaupten. Wir fürchten, dafs
er feinen apologetifchen Zweck vielfach verfehlt habe.
Noch fei bemerkt, dafs er gegen die Annahme kämpft,
als rühre die zweite Erzählung Mof 3 von einem ganz
anderen Verfaffer her als die erfte, da beide Erzählungen
vielfach im Widerfpruch mit einander bänden. Er fucht
im Näheren nachzuweifen, dafs beide Darbellungen nur
einander ergänzten; auch die zweite fei nur Veranfchau-
lichung einer in ihrem äufseren Verlaufe dem Verf. unbekannten
, nichts debo weniger aber zweifellos feb-
behenden Thatfache.

Lang-Göns. K. Strack.

Nathusius, Pab. Martin v., Unser Wandel ist im Himmel.

Fünf Predigten aus der Pfingbzeit 1881. Leipzig
1881, Hinrichs. (IV, 70 S. 8.) M. 1. —; geb.
M. 1. 80.

Diefe Predigten find ebenfo charakteribifch, als charaktervoll
. Charakteribifch ib die grofse Freiheit des
Verf.'s von der üblichen homiletifchen Technik. Die
Predigten haben keine eigentliche Dispofition; fie bellen
nur einen Hauptgedanken als Thema auf, das fie nicht j

! in bebimmte Theile gliedern, fondern in freier Weife in
1 klarer, überfichtlicher Gedankenentwickelung behandeln.
Diefes Thema umfpannt nicht den ganzen Text,
fondern nimmt eine einzelne, wenn auch wefentliche
Seite desfelben heraus. Die Ausführung der Predigten
, die beträchtlich kürzer find als die meiben neueren
, im Druck erfchienenen Predigten, ib nichts weniger
als fchulmäfsig; fie geht aus dem Leben ins Leben
mit einem kräftig realibifchen Zug und mit einer
fehr gefchickten, wenn auch zuweilen zu unmittelbaren
Anknüpfung an die natürlichen Lebensverhältnifse.
Durchweg tragen die Predigten das Gepräge einer grossen
chriblichen Entfchiedenheit, die mit energifcher
Sprache die Gewiffen fchärft und auf das Eine dringt,
was noth ib. Es liegt ein tiefer, nicht feiten ergreifender
Ernb auf ihnen, der mit Macht die Gemüther von
den Banden des Diesfeits losreifst und auf eine klare,
febe Pofition in der himmlifchen Welt hindrängt. Man
fpürt es den Predigten, die den Spruch: .unfer Wandel
ift im Himmel' nicht blofs als Motto, fondern als Ausdruck
des durchgehenden Grundtons an der Spitze tragen
, formell und materiell ab, wie fie unter dem frifchen
Eindruck eines mit der Gemeinde durchlebten erfchüt-
ternden perfönlichen Ereignifses des Verf.'s, des Heimgangs
feiner Gattin, einer früh zum Himmel gereiften,
edlen Pfarrfrau, gehalten find; als Einleitung des Ganzen
geht darum auch die Rede voraus, die der Verf. an
ihrem Sarge gehalten hat.

Um in Bezug auf den Standpunkt des Verf.'s noch
Etwas zu erinnern, fo können wir feine Stellung zu dem
unmittelbaren religiöfen Bewufstfein, zu der fog. natürlichen
Religion, nicht gerechtfertigt finden. Das testi-
monium animae naturaliter christianac ib in diefen Naturlauten
des religiöfen Lebens, um diefen Ausdruck zu
brauchen, nicht genügend anerkannt. Speciell die
Stimmen frommer Ahnung und Sehnfucht in unfern claf-
fifchen Dichtern , an die der Verf. hie und da erinnert,
frommt es ficher mehr nach ihrem pofitiven Werth
zu würdigen, als fie auf den Mangel klarer Erkenntnifs anzufeilen
. Auch läfst fich der Verf. zuweilen von feiner
Neigung und Gabe andringlicher Rede zu provocirenden
und verletzenden Ausfällen hinreifsen , wie z. B. auf
S. 49, wo er die Mehrzahl feiner Zuhörer als eine ,träge,
gleichgültige, unkluge Maffe' bezeichnet — und dies in
einer P'ebpredigt! Die ,heilige Impertinenz', die der fei.
Liebner in feinem homiletifchen Colleg den zukünftigen
Predigern nach feiner paradoxen Redeweife empfahl,
hat auch ihre Schranken. Und .Eines fchickt fich nicht
für Alle'. Was ein Paulus fich gegenüber feinen Korinthern
und Galatern gebatten darf, das können wir uns
nicht erlauben.

Dresden. Meier.

Wunderling, Pred. Th., Immanuel. Predigten über freigewählte
Texte des Neuen Tebaments auf alle Sonn-
und Febtage des Kirchenjahres. Stuttgart 1880,
J. F. Steinkopf. (466 S. gr. 8.) M. 4. —; geb.
M. 5. 40.

Der Verf. diefer Predigten hat fich die bekannte
homiletifche Vorfchrift Luther's zum Wahlfpruch genommen
. Er geht ,frifch drauf, verlieb nach einem
kurzen, oft nur zwei Zeilen füllenden Gebet feinen meib
kurzen Text, entwickelt die Hauptgedanken desfelben
und macht dann, ohne um die hergebrachte Form der
Predigt fich zu kümmern, ohne künblich nach Thema
und Dispofition zu fuchen, die Anwendung auf das Leben
der Gemeinde und die Seelenzubände der Einzelnen
. Nur feiten findet fich einmal eine ausdrücklich
hervorgehobene Partition v/ie S. 310, wo das Thema
lautet: .Worin ib die göttliche Traurigkeit von der
Traurigkeit der Welt verfchieden?' 1) nach ihrer Ent-