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Ausgabe:

1882

Spalte:

607-612

Autor/Hrsg.:

Schultze, Victor

Titel/Untertitel:

Der theologische Ertrag der Katakombenforschung. Zur Orientierung und Abwehr 1882

Rezensent:

Harnack, Adolf

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6o;

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 26.

608

wird genügen, des Ref. Urtheil zu rechtfertigen. Was
übrigens der Verf. gegen Guthe, den Recenfenten feiner
früheren Schriften über Jeremias und Jefaias (in diefer
Zeitung) bemerkt, beruht auf Mifsverftändnifsen oder ift

wenn er weniger gebracht, d. h. wenn er nicht wieder
feine Lefer gezwungen hätte, mit ihm durch die Jahrhunderte
zu fchweifen und bald im 1., bald im 6. Jahrhundert
, dann wieder im 3. und 4. feften hufs zu faffen.

unberechtigt. — Druckfehler find nicht zu feiten, doch Ich habe es hier nur mit der Zeit bis zum Ende des
find fie leicht zu verbeffern. Auffällig war dem Ref., dafs 3. Jahrhunderts zu thun; denn weiter reichte die Thefe

Sch. ftets und "5, ft. "in druckt,

Strafsburg i. E. W. Nowack.

Schultze, Victor, Der theologische Ertrag der Katakomben-
' forschung. Zur Orientirung und Abwehr. Leipzig 1882,
Drefcher (IV, 30 S. 8.) M. —. 60.

Diefe Brofchüre ift eine Entgegnung auf meine Anzeige
des Werkes des Verfaffers ,die Katakomben' (in
diefer Zeitung 1882 Nr. 16). Er hat fie für nöthig befunden
, obgleich er in dem Vorwort feinen Lefcrn mittheilt
, dafs ,(mein) Meinen auf dem in Frage flehenden
Gebiete von keinem Belang ift'. Ich habe mein .Meinen
' auf keinem Gebiete jemals für belangreich gehalten
, wünfehe auch nicht, dafs es Jemand dafür nimmt.

Der Verfaffer ftellt mich ferner feinen Lefern auf j um die neuen Refultate der Katakombenforfchung für

nicht, die ich dem Verfaffer entgegengehalten. Ich bemerke
aber zuvor noch ein Dreifaches. Erftlich: der
Satz, von welchem ich in meiner Recenfion (Nr. 16
Col. 36g) ausgegangen bin, um zu zeigen, dafs der Verf.
den Ertrag der Katakombenforfchung weit überfchätzt
— jener Satz, dafs die Monumente für die ältefte Kir-
chengefchichte genau diefelbe Bedeutung haben wie für
die klaffifche Alterthumswiffenfchaft — findet fich in
der neuen Schrift, welcher derfelbe Vortrag des Verf.'s
zu Grunde liegt, aus dem ich ihn entnommen, nicht
mehr. Alfo ift meine Anzeige auch in den Augen des
Verf.'s doch zu etwas gut gewefen; oder foll die verflechte
Exclamation, die Niemand bcanftanden wird
(S. 18 oben), die frühere Unvorfichtigkeit vertreten?
Zweitens: in dem Matcriale, welches der Verf. anführt,

verfchiedenen Blättern feiner Abhandlung als Ignoranten
vor, der über Dinge fchreibt, die er nicht kennt. Es ift
mindeftens nicht fein, die Befcheidenheit, die ich ihm
gegenüber in Bezug auf etliche Detailkenntniffe, die Monumente
betreffend, zum Ausdruck gebracht habe, in
diefer Weife auszubeuten. Indeffen überlaffe ich es dem
Verfaffer, an meine Ignoranz zu glauben und fich in
diefem Glauben gegen meine Gründe zu verfchliefsen.

Wozu ich nicht fchweigen kann, das ift der Umftand,
dafs der Verfaffer — ich will annehmen in blindem Unwillen
— meine Worte, und zwar die entfeheidendften,
entftellt hat. Auf Grund diefer Entftellung kämpft er
gegen einen eingebildeten Gegner, und diefer mag denn
auch der Ignorant fein, deffen er fich tröffet. Ich hatte
in meiner Anzeige gefchrieben: ,Für das 2. und 3. Jahrhundert
ift der Ertrag jener mühfamen Forfchun-
gen aut nullus aut incertus'. Was macht der Verfaffer
daraus? Er theilt gleich vorneweg im Vorwort
feinen Lefern mit, meine Behauptung laute: ,der hifto-
rifche Ertrag der Katakombenforfchung ift aut
nullus aut incertus'. Er ignorirt alfo den Unter-
fchied, auf den mir alles ankam; er läfst die Worte weg,
welche hier die entfeheidenden find. Wie nennt man
einen Kritiker, der alfo verfährt? Ich überlaffe es meinem
Gegner, fich auf diefe Frage eine Antwort zu fuchen.
Dafs er aber diefen Punkt völlig ignoriren konnte, ift,
abgefehen von dem Unrecht, welches er mir damit
angethan, für den Scharfblick des Verfaffers in Bezug
auf den Stand der Probleme felbft nicht rühmlich. Denn
es ift in der That die Hauptfrage, wie viel Neues und
Sicheres uns die Katakombenforfchung für die Gefchichte
des 2. und 3. Jahrhunderts bisher gewährt hat. Dafs es
Weniges, fehr Weniges fei, hatte ich behauptet (die prägnante
Formulirung habe ich Col. 370 Z. 11 f. von unten
und Col. 371 Z. 6 von oben für jeden Befonnenen hinreichend
eingefchränkt), die Ergebnifse für das 4. Jahrhundert
u. f. nicht in Abrede geftellt, diefe aber an der
noch unerfchöpften Reichhaltigkeit der literarifchen
Quellen gemeffen. Bei der mir bekannten Bereitwilligkeit
fo Vieler, fich Differenzen ftets in Form radicaler Gegen-
fätze vorzuftcllen, erhebe ich ausdrücklich Proteft gegen
die Behauptung, die mir vom Verfaffer zugefchrieben
worden ift, und bitte, unferen wiffenfehaftlichen Legen-
denfehatz nicht mit dem neuen Stücke zu bereichern,
dafs ich die Katakombenforfchung als eine Arbeit pro

das 4. Jahrh. u. f. zu erweifen, finden fich mehrere Stücke,
die man aus den Urkunden längft und beffer kennt. S. 18
fchreibt der Verf. auf Grund einer Infchrift des 6. Jahrhunderts
{FL PP Cristianus): ,Wir erfahren daraus, dafs
— was bisher nicht bekannt war — die früheren Inhaber
des Flaminats . . . nach ihrem Uebertritt zum Chriften-
thum' den Namen fortführten'. Wir befitzen aber eine
Gefetzgebung in Bezug auf Chriften gewordene jlamines
bereits aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts (Synode v.
Elvira) und ebenfo in Bezug auf ,sacerdotes'. Zu der
eigenen Terminologie, welche fich die Gemeinde
gebildet hat, die nur aus den Infchriften erkennbar fei,
rechnet der Verf. (S. 24 f.) Ausdrücke wie: ,adolescens
integrac carnis' — ich verweife auf die Apologeten —
,amicus omniutn' ,blandus servis1 ,spiritu sanclo' ,naaiqu-
Xoq xori ovdevi txltgöc:1. Sollte der Verf. nicht wiffen, dafs
dies nichts ift? Damit komme ich auf das Dritte. Wer
über den theologifchen Ertrag der Katakombenforfchung
ernfthaft fchreiben, nicht aber das Publicum anregen will, der
mufs nichtnur eingründlicherKennerderchriftlichenmonu-
mentalen Alterthümer fein, fondern er mufs die gleichzeitigen
profanen mindeftens in einem gewiffen Mafse beherr-
fchenundzu deuten verliehen, und er mufs in den kirchlichen
literarifchen Quellen wohl bewandert fein. Was das
erflere betrifft, fo hat ein Fachmann, Prof. Schiller, fich
im Jahresbericht über römifche Gefchichte und Chronologie
für 1880' (S. 503—507) über die Schlüffe, welche der
Verf. aus den Infchriften (Ztfchr. f. kirchl. Wiffenfchaft
11. k. Leben 1880) gezogen hat, fo abfehätzig wie möglich
geäufsert. Er fpricht von ,merkwürdigen Entdeckungen
', die der Verf. in Bezug auf die Themata Chriften-
thum und Sklaverei, Chriftenthum und Stellung der
Frauen, Freigelaffene und Handwerker gemacht hat. Er
hält dem Verfaffer den Satz entgegen: ,Man nützt dem
Chriftenthum und der Erkenntnifs feiner Plntftehung nicht,
wenn man Phantafiebilder auf- und fortführt, fondern
wenn man vor Allem einmal fich eine genaue Kenntnifs
der Zeit verfchafft, in der es allmählich fich bildete;
dazu gehört freilich viel Arbeit, und die Infchriften
allein thun es nicht; fie wollen nicht blofs citirt, fie
wollen vor Allem gelefen und verftanden fein'. ,Die
Propaganda und Miflionsthätigkeit, welche der Verf. an
das Wandern der alten Handwerker knüpft, kann auf
hiftorifche Wahrheit keinen Anfpruch erheben; doch
darüber kann man mit dem Verf. nicht rechten; folche

nihilo erachtet hätte. Bilder, wie er fie zeichnen will, bedürfen immer ftarker

Was die Sache anlangt, fo fragt es fich, ob der Verfaffer
in feiner neuen Abhandlung meine Thefe er-
fchüttert hat. Man wird fich dabei vorhalten müffen,
dafs er auf 30 Seiten nicht Alles fagen konnte, was erheblich
ift. Aber er hätte vielleicht mehr fagen können,

Retouche durch die Phantafie'. ,Wenn der Verf. einige
Kenntnifs von den heidnifchen Infchriften hätte, fo würde
er wiffen u. f. w.' Diefe Sätze find nirgendwo in der
Recenfion Schiller's durch eine Anerkennung irgend welcher
Art limitirt. Sie waren mir bekannt, als ich meine