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Ausgabe:

1882 Nr. 25

Spalte:

592-595

Autor/Hrsg.:

Reinkens, Jos. Hubert

Titel/Untertitel:

Melchior von Diepenbrock. Ein Zeit- und Lebensbild 1882

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 25.

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vielmehr im Utrechtpfalter ein Beitrag zur Gefchichte
der Volksfrömmigkeit vor? Ein genauer Kenner der
Gefchichte der Hermeneutik könnte vermuthlich manche
intereffante Einzelheit aus den Illuftrationen des Utrecht-
pfalters herauslefen.

Das mag genug fein, um zu zeigen, dafs die Sprin-
ger'fche Abhandlung über den Utrechtpfalter für den
Theologen des Intereffanten genug bietet, — ganz ab-
gefehen von der Entfcheidung über das Alter desfelben,
welche die Frage nach der Entftehungszeit des Athana-
sianum doch nicht zum Austrag bringen wird. So bemer-
kenswerth es auch bleibt, dafs die kunfthiftorifche Forfch-
ung das Alter des Utrechtpfalters im Sinn der englifchen
Gegner des Atlianasianuni beftimmt hat (und ebenfo,
fobald fie einer entfprechenden Unterfuchung der Evangeliarien
fich zuwenden wird, das Urtheil jener Engländer
über das Wiener fogen. Evang. Hadriani beftätigen
wird) — die Entfcheidung über das Alter des symbolum
Quicunquc wird der Dogmengefchichte bleiben, und die
expositio des Venantius wird wohl das letzte Wort behalten
. —

Schliefslich fei noch darauf aufmerkfam gemacht,
dafs, weil die Bilder des Utrechtpfalters farblofe Federzeichnungen
find, die der Abhandlung beigegebenen
IO Tafeln in Lichtdruck vollkommen treue Proben der
Illuftrationsweife des Utrechtpfalters zu geben vermögen
und daher im Verein mit der den zweiten Theil der
Springer'fchen Schrift bildenden Erklärung aller Bilder
des Utrechtpfalters dem Lefer über die Natur jener Illuftrationen
nicht den geringften Zweifel übrig laffen. —
Die Beziehung der einzelnen Bilder oder genauer Sce-
nen auf die einzelnen Verfe ift oft dunkel, verfchiedent-
lich wird der Lefer der Abhandlung anderer Anficht
fein können als der Verf., doch wäre es kleinlich, darüber
Worte zu verlieren. Nur die Vermuthung mag
ausgefprochen werden — und wenn fie richtig ift, wäre
fie nicht unwichtig —, dafs unter ,Gott mit dem Kreuznimbus
' oft — ,ftets' würde Ref. fagen, wenn nicht offenbar
Inconfequenzen in der Zeichnung vorlägen, — Chri-
ftus verftanden werden müffe. Bei Pf. 56 (57) z. B. legt
auch das Elfenbeinrelief am Pfalter Karls des Kahlen
{cf. Spr. p. 219) diefe Vermuthung nahe, ja faft fcheint es,
als ob der fonftigen Illuftrationsweife des Utrechtpfalters
entgegen die obere Scene des Bildes zu Pf. 56 eine an
v. 12 fich anlehnende Darftellung der Himmelfahrt Chrifti
fein folle; wenigftens liegt es fehr nahe, in den 11 Männern
, welche zu 5 und 6 die in der Mandorla über einem
Berge fchwebende Geftalt Gottes oder Chrifti umgeben,
den Apoftelkreis zu erblicken.

Leipzig. Lic. Dr. Loofs.

Bienemann, Friedr., Die Anfänge unferer Reformation
im Lichte des revalen Rathsarchivs (Baltifche Monats-
fchrift, Bd. XXIX, Hft. 6, S. 415—460) 1882.
Diefer Auffatz bringt fehr intereffante Beiträge zur
Reformationsgefchichte Livlands, befonders orientirt er
über einen Fund im Revaler Rathsarchiv. Dasfelbe
fcheint mit Ausnahme einer auffälligen Lücke in der
2. Hälfte des 15. Jahrhunderts fo zu fagen vollftändig
erhalten, es gewährt uns nun namentlich auch einen Einblick
in die Anfänge der Reformation in Reval. Eine
Reihe von Raths- und Gemeindebeliebungen vom
15. Sept. 1524 bis zum 9. Sept. 1525 giebt nämlich ein
vollltändiges Bild der grundlegenden Mafsnahmen zur
Conftituirung der evangelifchen Kirchengemeinde dafelbft.
Bekanntlich aber gehören Riga, Reval, Dorpat zu den
erften Städten, welche nach Annahme der Reformation
eine neue kirchenregimentliche Ordnung gefchaffen haben.
Charakteriftifch ift für Reval die entfehiedene aber be-
fonnene Weife, in welcher fich die Umgeitaltung vollzieht.
Die Verkündiger der reinen Lehre find hier die rite vocirten
Prediger felbft: Lange, Marfow und Haffe; die bisher

neben Lange und Haffe als Reformatoren Revals ge-

[ nannten Maffien und Böckhold erweifen fich als mythifche
Pcrfonen. Allerdings hat auch Reval am 14. Sept. 1524
feinen Bilderfturm gehabt, aber fchon am nächften l ag

j zeigt fich der Rath durchaus als Herr der Situation und
fchreitet ruhig auf dem Weg ordnungsmäfsiger Reformation
fort. Dabei weifs man fo richtig wie kaum
irgendwo anders zu fcheiden zwifchen innern und äufsern
Angelegenheiten des Kirchenwefens. Der Rath bleibt
zwar Inhaber der oberften kirchlichen Gewalt als ftädtifche
Obrigkeit wie als oberfter Vertreter der Stadt, und die
Bürgerfchaft nimmt Theil an einzelnen conftitutiven
Acten der Kirchengewalt (S. 453). Aber die Leitung des
Kirchenwefens wird einem evangelifchen Prediger übertragen
, der fie durchaus felbftändig und unabhängig verwaltet
als ,oberfter Paftor'. Er ilt Mitinhaber des Kirchenregiments
(S. 454). Die Ordnung des Gottesdienftes
fchlägt Lange vor, der Rath approbirt fie. Die gottes-
dienftlichen Beftimmungen im Einzelnen fcheint der Rath
dem ,Pa(tor' zu überlaffen. Diefer hat auch die Wahl
und Anftellung der Prediger, nur bedarf er der Zu-
ftimmung der Corporationen und ihrer Vertreter; ein
Recht, welches aber factifch — wie Superintendenz
Girgenfohn in Reval dem Ref. mittheilt — fchon nach
einem Jahrzehnt der oberfte Paitor nicht mehr ausübt.

1 Dagegen ftand ihm von Anfang an keinerlei Competcnt
zu über das Kirchenvermögen, Rath undKaftenvormünder

j haben deffen Verwaltung. — Die Reformation hat aber
nicht blofs die Wiederherftellung der reinen Lehre im
Auge. Das ganze Gemeinwefen foll ein wahrhaft chrift-
liches werden. Die Armenpflege wird fofort durch Errichtung
eines Gotteskaftens in Angriff genommen. Den
Mönchen will man Krankenpflege als Aufgabe zuweifen.
Eine Schule foll eingerichtet werden. Vergeblich zwar
verlangen die Paltoren die Unterdrückung öffentlicher
Schande, aber doch erläfst der Rath als Stadtobrigkeit
auch fittliche Verordnungen. Den Gegnern der Refor-

1 mation begegnet man ebenfo mafsvoll als energifch. Ein
Geilt weifer Mäfsigung läfst fich im Verhalten aller Theile
nicht verkennen, und Reval darf fich ungemifchten Gefühls
des neuen Auffchluffes über feine Gefchichte freuen.

' Mittheilungen aus der Kirchengefchichte Revals im
17. Jahrh. find auf Grund des Archivfundes von Sup.
R. Girgenfohn demnächft zu erwarten.

Dorpat. Bonwetfch.

Reinkens, Bifchof Dr. Jof. Hubert, Melchior von Diepen-

brock. Ein Zeit- und Lebensbild. Leipzig 1881,
Bernau. (VIII, 499 S. gr. 8. mit rad. Portr.) M. 8. —

Eine fehr willkommene Gabe. Der Verf. nennt Die-
penbrock mit Recht ,die intereffantefte und bedeutendfte
Perfönlichkeit des deutfehen Epifkopats feit einem halben
Jahrhundert'. Ich kenne die kurze Biographie, die
Börner, der im vorigen Jahre verltorbene Fürltbifchof
von Breslau, feinem Vorgänger gewidmet hat, nicht. R.
meint, diefelbe fei .nicht nur mangelhaft, fondern fchlecht-
hin einfeitig und in der Darfteilung der bifchöflichen
Verwaltung eine Art Selbftrechtfertigung'; die Perfon
des Nachfolgers trete als folche zu fehr in den Vordergrund
mit dem Anfpruche D. geiftesverwandt zu fein,

I was von diefem in feinen eigenen Briefen nicht zuge-
ftanden werde. Mag das Urtheil zutreffen oder zu fcharf
fein, jedenfalls verdient D. neben einer Biographie, die
fich felbft nur als einen .Grundrifs' bezeichnet, fchon um
der Zeit willen, der er angehört hat, eine folche, die in ausgeführter
Weife feine Entwicklung und fein Wirken zur

I Darftellung bringt. R. ift ein begeiiterter Verehrer des
,grofsen Fürftbifchofs'. Aber er hat ,die herrliche Ge-

| halt D.'s' nicht darftellen wollen als Panegyriker, fondern
,fo treu wie fie war', und ,nach ihrer inneren und
äufseren Wahrheit'. In der That behauptet er durchaus
die Pofition des Hiftorikers, dem die Richtigkeit feiner