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Ausgabe:

1882 Nr. 24

Spalte:

568-570

Autor/Hrsg.:

Kleyn, Hendrik Gerrit

Titel/Untertitel:

Het leven van Johannes van Tella door Elias. Syrische tekst en nederlandsche vertaling 1882

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 24.

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vorausfetzt. Was den Grundgedanken des Verf.'s betrifft,
fo wird man ihm darin beißimmen können, dafs in der
Entwicklung der Heilsauffaffung von Juftin bis zu Bernhard
eine gewiffe Rechtfertigung der Modification der
mittelalterlichen Lehre liegt, welche Luther unternommen
hat. Allein diefe Rechtfertigung wird deshalb auf ka-
tholifche Lefer wenig Eindruck machen, weil der Verf.
die Lehre von der Kirche faß ganz bei Seite gelaffen
hat. Luther's Abweichung von der mittelalterlichen, der
auguftinifchen und der bernhardinifchen Heilslehre, iß
erß durch feinen Bruch mit der überkommenen Auffaf-
fung von der Kirche, der freilich eine Confequenz der-
felben war, feinen Gegnern deutlich geworden. Es dürfte
aber fchwer fallen, die lutherifche Lehre von der Kirche
in derfelben Weife als das im dogmengefchichtlichen
Proceffe fich anbahnende Refultat zu erreichen, wie die
reformatorifche Heilslehre. Die Befchränkung, welche
fich der Verf. auferlegt hat, hat ferner den Nachtheil,
dafs die Auffaffungen vom Pleil auf den vorlutherifchen
Stufen formell als unvollkommen erfcheinen, während
fie — das darf man wohl fagen — formell gefchloffener
und ßringenter waren als die Luther's.

Diefe Bemerkungen follen nur darauf hinweifen, wie
fchwierig es iß, ,aus dem Entwickelungsgang chrißlicher
Wahrheitserfaffung' einen Beweis für die Lehre der
Reformation zu entnehmen. Die ganze Betrachtungsweife
, dafs die chrißliche Lehre ßufenweife immer reiner
erkannt worden fei, mufs fich ja durch die andere corri-
giren laffen, dafs fie im Laufe der Jahrhunderte immer
mehr fich verdunkelt habe. Erfcheint die Lehre der
Reformation wirklich einerfeits als die reife Frucht einer
1400jährigen Entwicklung, andererfeits doch auch als die
einfehneidende Correctur fchwerer Verirrungen, die fich
von Jahrhundert zu Jahrhundert geßeigert haben, fo kann
es nicht fo leicht fein, aus der Gefchichte einen Beweis
zu führen; denn über eine fo complicirte Erfcheinung iß
eine Verßändigung, welche doch Bedingung des Be-
weifes iß, fchwer zu gewinnen.

Der Verf. hat aber in feinen Vorträgen durchaus
nicht Alles auf feinen Beweis zugefpitzt, vielmehr fucht
er den einzelnen Perfönlichkeiten und ihrem Chrißenthum
gerecht zu werden. So bemerkt er in dem erßen Vortrage
(Jußin) S. 16: ,Es iß eine Verkümmerung des
evangelifchen Chrißenthums, wenn man bei dem Heil
immer nur die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung
im Auge hat, und die Bedeutung der Erkennt-
nifs Gottes, feines Wefens, feiner Werke und feines
Willens überfieht. Es kommt doch nicht allein darauf
an, dafs wir Vergebung der Sünden haben. Durch die
Vergebung der Sünden follen wir in den Stand der
Kinder Gottes u. f. w. verfetzt werden'. Die Formu-
lirung diefes Satzes, namentlich die Gegenüberßellung
der Rechtfertigung und der Erkenntnifs Gottes (auch
feines Willens), iß auffallend bei einem Theologen, der
Anfpruch auf die volle Vertretung der reformatorifchen
Lehre macht, aber der Verf. hat doch ohne Zweifel ein
Richtiges im Sinne. Er will das Chrißenthum Jußin's
und das der älteßen Väter überhaupt vor enger und
parteilicher Beurtheilung fchützen; in diefer Hinficht
linden fich namentlich in den erßen Vortrage eine Reihe
von zutreffenden Bemerkungen, wälirend der philofo-
phifche Schiffbruch, aus welchem Jußin zum Glauben an
die Offenbarung übergegangen iß, mir in feiner Bedeutung
nicht hinreichend gewürdigt zu fein fcheint. Für be-
fonders werthvoll dürfen die Ausführungen über den Um-
fchwung im Leben des Augußin gelten. Was der Verf.
über das Verhältnifs bemerkt, in welchem nach Augußin
Sündenvergebung und Bekehrung ßehen, iß richtig beobachtet
und präcis und feffelnd dargeßellt. Allerdings
iß gerade an diefem Punkte das völlige Abfehen von
dem, was für Augußin die Kirche gewefen iß, fehr auffallend
; aber der Kundige wird es fich zu dem richtig
gezeichneten Bilde unfehwer ergänzen können. Die

Analyfe des Entwicklungsganges Augußin's führt den
Verf., der überhaupt ßarke Ausdrücke bevorzugt, zu dem
Urtheile, dafs der Vorgang, welcher den Abfchlufs der
Bekehrung Augußin's herbeigeführt habe, bei näherer
Betrachtung in zweifelhaftem Lichte erfcheine. Das
,abergläubifche Orakelwefen' bei dem Schriftgebrauche,
die feltfame Stimme, deren Urfprung Augußin wohl ab-
fichlich verfchleiert habe, feien an fich fchon bedenklich.
Ich kann dies Urtheil nicht unbillig finden, und bedauere
nur, dafs der Verf. es nicht vor Mifsbrauch gefchützt
hat. Der Fortfehritt, der in Bernhard über Augußin liegt,
iß vom Verf. im 3. Vortrage richtig präcifirt worden; es
wäre nur vielleicht deutlicher zu fagen gewefen, dafs der-
felbe mehr in der Praxis des religiöfen Lebens als in der
Theorie zum Ausdruck gekommen iß. Am ausführlichßen
1 verbreitet fich Dieckhoff über Luther's Entwicklungsgang
bis zum J. 1517. Seine Darßellung wäre eindrucksvoller
geworden, wenn er fie kürzer gefafst hätte. Das Wort
aber, welches er an die Spitze feiner Ausführung gehellt
hat (S. 71): ,Der Weg, auf welchem Luther zur Wahrheit
geführt werden mufstc, iß keineswegs der normale
für Alle', foll als ein befonders beherzigenswerth.es hier
mitgetheilt fein. Man mufs fich freilich faß fchämen,
dies niederzufchreiben. Wer wähnen kann, man könne
den Gang, den Luther gegangen iß, als den normalen
dogmatifch vorfchreiben, der hat Luther entweder nicht
gelefen, oder er vermag beim Lefen Lebendiges nur
als todte Formel zu verßehen.

Giefsen. Adolf Harnack.

1. Kleyn, Hendrik Gerrit, Het leven van Johannes van

Telia door Elias. Syrifche tekst en nederlandsche ver-
taling. Academisch proefschrift. Leiden 1882, Brill.
(XCI, 83 S. 8.) M. 5. -

2. Der f., Jacobus Baradeüs de stichter der syrische mo-
nophysietifche kerk. Academisch proefschrift. Leiden
1882, Brill. (210 S. 8.) M. 5. —

Mit Freuden werden die Vertreter der theologifchen
Wiffenfchaft jeden willkommen heifsen, der philologifche
Gelehrfamkeit in ihren Dienß zu hellen gewillt iß, und
doppelten Grund zur Dankbarkeit haben die Kirchen-
hißoriker, wenn einer gleich mit zwei fo gewichtigen
Beiträgen ihre Disciplin bereichert, wie dies der Verf.,
refp. Herausgeber vorliegender Differtationen gethan hat.
Ganz gelegentlich erinnert derfelbe (Baradeus, S. 33) an
eine Unterlaffung der ,kcrkhistoricil, dafs fie von fyri-
fchen Quellen, welche feit 20 Jahren fogar in englifcher
und deutfeher Ueberfctzung vorliegen, noch keinen Gebrauch
gemacht haben; mir fcheint es überhaupt eine
Verfäumnifs, dafs fich die Theologie bisher begnügt hat,
von den Stücken zu zehren, die willkürlich da und dort
ein angehender Philologe oder Theologe ans Licht zog,
ßatt dafs nach einem einheitlichen Plan die Herausgabe
einer Patrologia oder Bibliotheca Syriaca in die Hand
genommen wurde. Mit Beifpielen zu belegen, welche
Uebelßände das bisherige Verfahren mit fich gebracht,
iß nicht nöthig; erßaunlich iß, wie viel trotzdem fchon
gewonnen wurde, noch merkwürdiger, wie viel fchätz-
bares Material in den grofsen Bibliotheken verborgen
liegt. Was uns hier mitgetheilt wird , gehört nicht einmal
zu dem fchätzbarßen. Nicht blofs betrifft es eine
Zeit, deren Gefchichte für den chrifllichen Theologen
der Gegenwart faß nur noch pathologifches Intereffc
hat; die monophyfitifchen und tritheißifchen Streitigkeiten
liefern keine brauchbaren Baußeine für die dog-
matifche Erkenntnifs und die Secten- und Kirchbildungen
der damaligen Zeit ebenfowenig für die praktifchen
Fragen der Gegenwart: auch rein literargefchichtlich an-

j gefehen iß die im erßen Band mitgctheilte Lebensbe-
fehreibung des Johannes von Telia zum Theil recht lang-

! weilig, langweiliger namentlich im Eingang, als die Hei-