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Ausgabe:

1882

Spalte:

529-537

Autor/Hrsg.:

Weiss, Bernh.

Titel/Untertitel:

Das Leben Jesu. (In 2 Bdn.) 1. Bd 1882

Rezensent:

Weizsäcker, Carl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 23.



18. November 1882.

7. Jahrgang.

Weifs, Das Leben Jefu. 1. Band. (W
Janffen, An meine Kritiker (Kolde).
Dittrich, Kegelten und Briefe des
Gasparo Contarini (Brieger).

eizfäcker).
[Schlufs.]
Cardinais

Harlefs, A. v., Jacob Böhme und die Alchy-

miften (Pünjer).
Marten fen, Jacob Böhme (Pünjer).
Spurgeon, Vorlefungen in meinem Predigerfe-

minar (Lindenberg).

Spurgeon, Excentrifche Prediger (Lindenberg
).

Dalton, Die Heilung des Blindgebornen. Evan-
gelifche Betrachtungen (Lindenberg).

Weiss, Bemh., Das Leben Jesu. (In 2 Bdn.) 1. Bd
Berlin 1882, Hertz. (XVI, 565 S. gr. 8.) M. 8. 60

geb. M. 10. —
Der Verfaffer legt nach dem Vorwort oder der Zu-

Recht, wenn er in diefem Sinne (ich gegen den Titel
eines Vermittelungstheologen verwahrt, und feinen ent-
fchieden fupranaturaliftifchen Standpunkt behauptet.

Nach der häufigen Bezugnahme des Verfaffers auf
feinen Vorgänger Keim dürfen wir wohl fein Werk als

fchrift an G. Voigt, welche die Stelle eines folchen ver- j einen Gegenwurf gegenüber von jenem anfehen, wozu
tritt, den gröfseren Werth auf die Ausführungen des allerdings eine zureichende Veranlaffung fchon damit ge-
zweiten Bandes, welche die Verwicklung des Lebens geben ilt, dafs Keim's Grundlage in der Kritik der Sy-
Jefu darftellen werden. Wenn die öffentliche Befprech- i noptiker eine genügende nicht genannt werden kann,
ung diefen zweiten Band nicht abwartet, fondern fich , Auch läfst fich ja nicht leugnen, dafs Keim im Aus-
fchon mit dem erften allein befchäftigt, fo darf fie fich : malen und etwas paftoralen Betrachtungen die Grenzen
damit rechtfertigen, dafs ihr auch diefer fchon Stoff ge- I des Hiftorikers überfchritten hat. Was nun die Quellen-
nug für fich darbietet. Ein Leben Jefu hat immer die ! grundlegung betrifft, fo hat Weifs im erften Buche diefes

Ausficht, in der ganzen Theologie und noch in viel weiterem
Kreife gut aufgenommen zu werden, wenigftens
mit einer viel gröfseren Aufmerkfamkeit als das meifte
andere, was wir liefern können. Der Verf. fpricht freilich
in jenem Vorworte die Erwartung aus, dafs er es
niemandem zu Danke machen werde, weder den Anhängern
der fogenannten modernen Theologie, deren

Bandes feine Anficht über den Urfprung der fynoptifchen
Evangelien, wie wir fie aus feinen umfangreichen früheren
Arbeiten kennen, hier in einer recht deutlichen und
anfprechenden Ueberficht wiederholt. Mit der Mehrzahl
der heutigen Kritiker hat er fich bekanntlich der Anficht
angefchloffen, wonach diefe Evangelien auf zwei Haupt-
quellcn beruhen, auf welche uns unfere Evangelien des

Urtheil von vorneherein feftftehe, weil das Buch vielen j Matthäus und des Markus verweifen. Seine eigenthüm-
ihrer Hauptdogmen und Lieblingsanfichten zu fcharf | liehe Anficht aber befteht darin, dafs er den fonft an-
widerfpreche; noch auch denjenigen, deren Glauben er i genommenen Hauptunterfchied von Spruchfammlung und

theile, und für deren höchfte und heiligfte Ueberzeug
ungen er auch mit feiner wiffenfehaftlichen Arbeit ein
trete; denn eben weil er das thue, könne er auch die
Evangelien nur behandeln wie hiftorifche Quellen, und
darum mit hiftorifchcr Kritik. Diefe Erwartung fieht
doch wohl zu fchwarz. Die Theologie, welche der Verf.
die moderne nennt, wird fich gerade auf diefem Gebiete
nicht durch gewiffe Differenzen, auch nicht durch die
eifrige Polemik des Verf.'s gegen fie, darin irre machen
laffen, aufmerkfam jeder feiner Unterfuchungen zu folgen
, wie es bisher fchon gefchehen ift, und anzuerkennen
, was fich als haltbar zeigt. Und die anderen werden
doch auch feine Untcrftützung gerne annehmen, wo
fie einfehen müffen, dafs damit wirklich etwas feftgeftellt
wird, was ihnen wefentlich fcheint; die wiffenfehaftliche
Methode dürfte dafür kein Hindernifs fein. Diejenigen
Leute, welche überhaupt die hiftorifche Kritik des Neuen
Teftamentes verpönen, find unter den Theologen wohl
jetzt fchwer zu finden, mindeftens in der Literatur. Und
nun können wir auch gleich hinzufügen, dafs in der
That für beide Theile kein Grund vorhanden ift, diefes
Buch fo zu verwerfen; denn was die moderne Theologie
oder die kritifche betrifft, fo ift fie, trotz der abwehrenden
Stellung des Verf.'s gegen fie, gewifs bereit, die
Leiftungen wirklicher Unterfuchung anzuerkennen, die fie
hier findet; fie findet aber auch genug deffen, was in
ihr felbft längft Gemeingut geworden ift, Fleifch von
ihrem Fleifch, Bein von ihrem Bein. Von der anderen
Seite aus dagegen wird niemand überfehen können, dafs
die Ziele des Buches fo wie feine Ergebnifse ganz wefentlich
apologetifcher Art find; der Verf. hat auch ganz

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Gefchichten nicht anerkennt. Seine erfte apoftolifche
Quelle (Urmatthäus) enthält überhaupt die ältefte Aufzeichnung
ohne diefen Unterfchied, übrigens ohne die
Leidensgefchichte; darauf folgt dann das Markusevangelium
, in welchem Markus jenen erften Vorgänger com-
binirthat mit den von ihm gehörten Vorträgen des Petrus,
und dann erft der jetzige Matthäus, der wieder aus Markus
und dem Urmatthäus zufammengearbeitet hat. Die
Controverfe über diefe Wendung jener kritifchen Anficht
ift fo ausgedehnt und bekannt, dafs wir auf die offenbaren
Unzuträglichkeiten und Unwahrfcheinlichkeiten,
die derfelben anhaften, nicht weiter einzugehen brauchen,
und nur dagegen Verwahrung einlegen müffen, als fei
diefelbe ein anerkanntes Refultat der Kritik, was doch
niemand fagen kann. Wirkliches Verdienft haben ja un-
ftreitig die bekannten fynoptifchen Textvergleichungen
des Verf.'s, wenn auch auf diefem Wege allein die Aufeinanderfolge
nie zu beweifen fein wird, wie jeder wiffen
kann, der diefes Gefchäft betrieben, und die Probe mit
verfchiedenen Hypothefen gemacht hat. Aufserdem hat
die Arbeit des Verf.'s ganz befonders den Werth gehabt,
die Ueberzeugung zu befeftigen, dafs unfere fämmtlichen
Synoptiker, nicht blofs Lukas, und nicht blofs einer von
den beiden erften, fchon fecundäre Producte find. Was
aber jene Ableitung von den Apofteln Matthäus und
Petrus betrifft, fo ruht fie ja auf dem fchwachen Fundamente
des Papias, und indem fie an demfelben fortbaut
, ftellt fie eben damit Hypothefen auf, die den Legenden
des Alterthums in diefem Gebiet fehr ähnlich
find; denn fie repräfentiren ganz ähnlich wie der Mura-
ratorifche Kanon die Vorftellung der familiären Contri-